Ein prägender Teil des Stadtbilds, in dem es Probleme gibt: Der Hannibal I an der Bornstraße. © Felix Guth
Hochhaus-Komplex
Im kleinen Hannibal in der Nordstadt klagen Mieter über Kakerlaken, Schmutz und Schimmel
Die überdimensionalen Schlagzeilen schrieb 2017 der große Bruder in Dorstfeld. Doch jetzt gerät der Hochhaus-Komplex Hannibal I in der Nordstadt in den Fokus. Mieter sind in Aufruhr.
Es sind grundlegende Themen, die Mieter der LEG Immobilien AG an der Bornstraße, Jägerstraße und Lauenburger Straße bewegen. Es geht um Heizungen, die nicht heizen. Es geht um Kakerlaken. Es geht um schmutzige Hausflure durch die man laut einer Anwohnerin „theoretisch nur mit einem Ganzkörperkondom gehen kann“.
Wir haben uns vor Ort umgesehen, mit dem Eigentümer gesprochen und einer verzweifelten Mieterin zugehört.
Eine Bewohnerin erzählt von ihren Sorgen mit dem Leben im Hannibal
Layla Baroumi erzählt 20 Minuten lang geduldig von den Zuständen rund um ihre Wohnung im obersten Stockwerk in einem der Häuser. Sie erzählt von kaputten Fahrstühlen, von Schädlingsbefall, von undichten Fenstern, von fehlendem Warmwasser, von schmutzigen Hausfluren. Irgendwann ist ihre Geduld zu Ende.
„Das ist hier nicht mehr einen Euro wert. Ich möchte am liebsten sofort raus“, sagt Layla Baroumi und ihre Stimme stockt dabei, weil sie weinen muss. Seit einiger Zeit hat die Mutter Mutter von drei Kindern (5 Jahre, 18 Monate, acht Wochen) Probleme mit Schimmel in der Wohnung. Die LEG habe davon Kenntnis, aber bisher nichts unternommen.
Stattdessen kam vor wenigen Wochen ein weiteres Problem hinzu. Die Heizungen in Layla Baroumis Haus liefen über mehrere Wochen nachts auf geringer Temperatur und konnten nicht höher geregelt werden.
„Meine Kinder sind regelmäßig krank“, sagt Layla Baroumi. Ihre wenige Wochen alte Tochter musste wegen einer Lungenentzündung im Januar ins Krankenhaus. Kurz nach der Entlassung sei sie erneut krank geworden.
Es geht lebendig zu rund um den Hochhaus-Komplex. Die Wege im Umfeld sind Orte der Begegnung. © Felix Guth
Die LEG bewertet die Gesamtsituation im Hannibal positiv
Auf Anfrage dieser Redaktion sagt LEG-Sprecher Mischa Lenz: „Die Heizungsanlage wird nachts nicht abgestellt, jedoch regelt die Heizungssteuerung den Tag- und Nachtbetrieb mithilfe einer Absenkung der Raumtemperatur.“
Dies widerspricht zum Teil Angaben, die LEG-Mitarbeiter gegenüber Bewohnern gemacht haben sollen. Unter anderem berichten Mieter von der Aussage, dass mit dieser Maßnahme die Nebenkosten gering gehalten werden sollen.
Am 21. Februar löste ein Heizungstechniker das Problem vorerst. Für Layla Baroumi ist die Grenze trotzdem erreicht. „Ich bin dabei, eine neue Wohnung zu suchen“, sagt die 29-Jährige.
Die LEG bewertet den Zustand der Wohnanlage positiv. „Das Wohnumfeld ist aus unserer Sicht gepflegt“, sagt Mischa Lenz. Die Anlage werde täglich über einen Dienstleister gereinigt. Zudem werden in Zusammenarbeit mit der EDG täglich die Müllstandplätze kontrolliert.“ Die Fahrstühle seien durch die hohe Bewohnerzahl stark beansprucht. Eine aktuelle Störung sei nicht bekannt.
„Neben diesen Maßnahmen sind wir selbstverständlich auch auf das Verhalten unserer Bewohner und deren Besucher angewiesen. Ein gepflegtes Wohnumfeld kann nur dauerhaft erhalten bleiben, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen“, sagt Mischa Lenz.
Der Hochhaus-Komplex ist ein prägender Teil des Stadtbilds
Das Gebäude an der Bornstraße ist auf seine Art ein besonders prägender Teil des Stadtbilds. Gegenüber dem alten Kirchturm der entwidmeten Johannes-Kirche steht seit 1972 die Siedlung mit den weißen Wänden im Baukasten-Format.
232 Wohnungen bedeuten ein Vielfaches an Menschen auf engem Raum. Hier wohnen zu einem großen Teil Menschen, die Transferleistungen vom Staat beziehen.
Die Namen auf den reichlich abgegriffenen Klingelschildern erzeugen ein geografisches Suchbild im Kopf, das um den gesamten Weltball reicht. Hier leben auf bis zu zwölf Geschossen Familien mit mehreren Kindern, ältere Menschen mit geringer Rente, ehemalige Geflüchtete und Alteingesessene.
In den zur Bornstraße ausgerichteten Untergeschossen spielt das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben, das auch ein Teil der Hannibal-Welt ist. Hier befinden sich ein Handwerker-Betrieb, ein Reisebüro, dazu der Kinder- und Jugendtreff Hannibal des Vereins Stadtteil-Schule, das Mieterbüro der LEG sowie der bunt bemalte Eingang des Projekts „Hannibal Nr. 2“, das seit 2016 Generationen und Kulturen zusammenbringt.
Es ist lebendig hier. Mit allem, was daraus folgt.
Müll liegt außerhalb der Tonnen im Hannibal I. © Felix Guth
So ist die Lage rund um den Hannibal
Videoüberwachte Durchgänge führen auf die Rückseite des Hannibal. Neutraler Eindruck: Es könnte sauberer sein und es könnte weniger Müll neben der Tonne liegen. Aber es erscheint im Rahmen dessen, was bei so vielen Menschen auf engem Raum unvermeidbar ist. Manche Hauseingänge sind ungepflegt. Der Spielplatz und die Sportanlage sind dagegen sauber.
Zwei ältere Frauen gehen mit ihren Hunden eine Runde. Sie wohnen schon seit mehr als einem Jahrzehnt hier. „In unserem Alter geht man hier nicht mehr weg“, sagen sie. Am Ende reiche es zum Leben, zumal die Miete niedrig sei. „Und in meinem Haus habe ich mit den Nachbarn eigentlich Glück“, sagt eine der Frauen.
Zufrieden wirken sie die beiden Freundinnen nicht. „Unterste Schublade“, entfährt es einer der beiden Hundehalterinnen, auf die Themen Sauberkeit und Probleme mit Fahrstühlen, Heizungen und Kakerlaken angesprochen.
LEG: Beim Thema Kakerlaken-Befall sind wir auf „angemessenes Wohnverhalten“ angewiesen
Über die Hinweise auf Kakerlaken in mehreren Häusern sagt LEG-Sprecher Mischa Lenz: „Leider kommt es im Hannibal auch immer wieder zu Meldungen bezüglich Schädlingsbefall. Auch hier wird unsererseits alles Notwendige veranlasst und unverzüglich ein Schädlingsbekämpfer beauftragt“, sagt Mischa Lenz. Die Kunden seien in den vergangenen Monaten mehrfach über Aushänge und Mieteranschreiben informiert worden.
„Wir sind auf ein angemessenes Wohnverhalten unserer Mieter angewiesen“, sagt Mischa Lenz auch zu diesem Thema. Oftmals ist das offenbar nicht gegeben. Bewohner melden Schäden zu spät oder gar nicht und gehen nicht pfleglich mit ihrem Umfeld um, berichten zwei LEG-Techniker vor Ort.
Es gibt mehrere Intitativen, die sich für das Hannibal-Quartier einsetzen. © Felix Guth
Wie groß sind die Probleme im Hannibal I?
Die Analyse führt zu einem differenzierten Bild. Es gibt die Bewohner, die sagen: „Nicht nur der Hannibal in Dorstfeld ist gefährlich, sondern auch der in der Nordstadt. Aber niemand sagt etwas. Alle, die ihren Mund aufmachen sind raus. Die Neuen kennen ihre Rechte nicht und werden ausgenutzt.“
Es gibt das börsennotierten Eigentümerunternehmen, das durchaus den Eindruck erweckt, sich um die Siedlung zu bemühen. Aber die LEG-Mitarbeiter und viele ehrenamtliche Unterstützer kommen an vielen Stellen nicht hinterher.
Der deutlich größere, aber nahezu baugleiche Hannibal II-Komplex in Dorstfeld musste 2017 wegen gravierender Brandschutzmängel geräumt werden und ist bis heute unbewohnbar.
2016 hatte ein Brand auch in der Nordstadt für Aufregung gesorgt. Ein großes Feuer in einer Tiefgarage an der Lauenburger Straße hatte die Sanierung mehrerer Wohnungen erforderlich gemacht. Wobei sich immerhin herausstellte, dass das Brandschutzkonzept hier grundsätzlich in Ordnung ist.
Städtebau-Experten haben den Hannibal an der Bornstraße im Jahr 2017 als „Weißen Riesen“ geadelt und die architektonische Besonderheit des Modul-Baus hervorgehoben. Das hat seine Berechtigung. Genauso wie der Frust einiger Mieter über die schwierigen Bedingungen.
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