„Dortmund Guides“ seit anderthalb Jahren im Nachtleben unterwegs Was der Einsatz der Helfer wirklich bringt

Idee aus Kapstadt lässt nächtliche Polizeieinsätze in Dortmund sinken
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Die Idee stammt aus Südafrika. Im März 2020 war Christoph Stemann, bekannt als DJ Firestarter, in Kapstadt. Der heutige Nachtbeauftragte der Stadt Dortmund traf dort auf junge Leute aus den Townships (Armenvierteln), die zum Vorbild für die Dortmund Guides wurden.

Sie sorgen durch zugewandte Ansprache und Hilfeleistungen für ein sicheres Nachtleben an den Party-Hotspots der Stadt – als Vorhut, damit Polizei- und Ordnungsamt erst gar nicht eingreifen müssen.

In Kapstadt wurden die jungen Leute im Rahmen eines mit der Polizei entwickelten Gewaltpräventionsprojekts zu „Friedensarbeitern“ ausgebildet und dann als Vermittler an den Konfliktherden eingesetzt. Auf Augenhöhe mit dem nächtlichen Partyvolk entschärfen sie so potenzielle Streitigkeiten und Probleme.

Aus Kapstadt zur Möllerbrücke

Zur Fußball-WM 2010 habe Kapstadt dieses kommunale Konfliktmanagement eingeführt, berichtet Stemann, „heute ist es fest etabliert“. Denn es ist erfolgreich. In Downtown Kapstadt seien die Gewaltdelikte um 60 Prozent zurückgegangen.

„Wenn es für Kapstadt reicht, sollte es auch für die Möllerbrücke funktionieren“, dachte sich Stemann, als er im August 2021 seinen neuen Job als Nachtbeauftragter der Stadt Dortmund antrat.

Neben der Unterstützung der Dortmunder Club- und Veranstaltungsszene soll er helfen, den Nutzungskonflikt zu entspannen, der sich nach der Pandemie in vielen Städten aufgetan hat: „Junge Leute brauchen Plätze zum Feiern, Anwohner brauchen Schlaf.“

Wie Gäste behandelt

Bevor die ersten Dortmund Guides im Frühjahr 2022 ihre Aufgabe aufnahmen – in Dortmund sind das meist Studenten und Studentinnen – war Stemann acht Monate lang allein „auf der Fläche“, sprach mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Wohnungslosen am U-Turm, an der Möllerbrücke und am Westpark, sprich: an den Orten, wo es die meisten Konflikte gab.

Dort sei er je nach Standort auf verschiedene Interessen gestoßen, sagt Stemann: „Das waren ganz unterschiedliche Menschen, die eine jeweils andere Ansprache brauchen.“ Eines gelte aber für alle: Sie sollen wie Gäste behandelt werden. Inzwischen ist ein Stamm von 30 Leuten als Dortmund Guides unterwegs. „Wir hätten gern 50“, sagt Stemann, zumal der Einsatzradius nach und nach in der Innenstadt ausgeweitet wurde.

Zu Beginn seien Ordnungsamt und Polizei skeptisch gegenüber dem Pilotprojekt gewesen, „jetzt sagen sie, wir müssen bleiben“, berichtet der Nachtbeauftragte.

Polizei zu Einsatzzahlen

Denn auch in Dortmund müssen Polizei und Ordnungsamt heute bei Konflikten seltener einschreiten. Auf Anfrage erklärt Polizeisprecher Gunnar Wortmann, die Einsatzzahlen an der Möllerbrücke und am Westpark seien 2023 im Vergleich zu 2022 gesunken.

Die Dortmund Guides bei einem Einsatz am U-Turm.
Die Dortmund Guides bei einem Einsatz am U-Turm. © Dortmund-Agentur / Roland Goreck

Wortmann untermauert das mit Zahlen: Von 1. April bis 13. August 2022 gab es am Westpark insgesamt 271 Polizeieinsätze, im Vergleichszeitraum 2023 nur noch 185 - ein Rückgang um fast ein Drittel also (rund 32 Prozent). Die Zahl der Körperverletzungen fiel von 18 auf sieben - ein Rückgang um rund 61 Prozent. Ausreißer sind die Einsätze wegen Ruhestörungen. Sie stiegen von 41 auf 47 (plus rund 14 Prozent).

An der Möllerbrücke sank die Zahl der Einsätze insgesamt von 70 auf 47, davon wegen Ruhestörung von 33 auf zehn und die wegen Körperverletzung von neun auf sieben.

Wortmann merkt an: „Inwieweit der Einsatz von Local Guides zu den sinkenden Einsatzzahlen beigetragen hat, lässt sich natürlich nicht statistisch erheben. Es ist aber zu mutmaßen, dass der Einsatz der Dortmund Guides neben den verstärkten polizeilichen Maßnahmen einen Teil dazu beigetragen hat.“

Eine unvermittelte Backpfeife

So sieht es auch die Stadtverwaltung laut Stadtsprecher Maximilian Löchter. Über die Anzahl und Art der Einsätze am Westpark, der Möllerbrücke und am Dortmunder U werde keine gesonderte Statistik im Ordnungsamt geführt.

Aber: Der Einsatz der Dortmund Guides habe sich positiv auf die Arbeit des Ordnungsamtes ausgewirkt: Löchter: „Zwar ist der Kommunale Ordnungsdienst weiter in den Bereichen unverändert präsent, allerdings müssen die Kräfte seltener einschreiten“. Auch wenn das anhand von statistischen Zahlen nicht belegt werden könne – „das führen wir auf das erfolgreiche Wirken der Dortmund Guides zurück“, so der Stadtsprecher.

Die in Kommunikation und Deeskalation geschulten Dortmund Guides selbst laufen bei brenzligen Situationen nicht ins offene Messer. Wenn es schwierig wird, ziehen sie sich zurück. „Es hat einmal eine unvermittelte Backpfeife gegeben“, räumt Stemann auf Nachfrage ein.

Digitale Rucksäcke

Seine frühere Tätigkeit als international gefragter DJ war noch in anderer Hinsicht hilfreich für den Job als Nachtbeauftragter. Zur Vorbereitung des Unterhaltungsprogramms der Olympischen Spiele 2021 in Tokio war Stemann eine Zeit lang einmal im Monat in Japan. Dort fielen ihm die digitalen Rucksäcke der Schüler- und Schülerinnen auf. Sie tragen Schuluniform und drücken ihre Individualität anhand von Botschaften auf den Rucksack-Displays aus.

Dortmund Guides mit den digitalen Rucksäcken.
Dortmund Guides mit den digitalen Rucksäcken. © Stadt Dortmund

Diese digitalen Rucksäcke tragen auch die Dortmund Guides mit solchen einladenden, inzwischen sogar mehrsprachigen Botschaften wie „Wir hören dir zu“ und „Wir helfen dir“. „Das sind die Icebreaker, sagt Stemann. Und sie sind ein Exportschlager. Inzwischen nutzen auch andere Städte wie München solche digitalen Rucksäcke als Eisbrecher.

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