Die Corona-Pandemie schränkte den Schulunterricht massiv ein. Die Folgen bekommen Dortmunder Schülerinnen und Schüler nun zu spüren.

Die Corona-Pandemie schränkte den Schulunterricht massiv ein. Die Folgen bekommen Dortmunder Schülerinnen und Schüler nun zu spüren. © picture alliance/dpa (Symbolbild)

„Ich komme gar nicht mehr hinterher“ – Corona vermasselt Til (18) das Abi

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Til Kahnert war ein durchschnittlicher Schüler. Dann kam Corona. Und damit auch Defizite in Mathe. Nun wiederholt er die Klasse. Kein Einzelfall: Die Zahl der Sitzenbleiber ist zuletzt gestiegen.

Dortmund

, 27.06.2022, 08:05 Uhr / Lesedauer: 4 min

„Weitermachen ist Quatsch, das wäre einfach nur Zeitverschwendung“, meint Til Kahnert. Der 18-jährige Schüler hat am Freitag (24.6.) sein Zeugnis erhalten. Das sieht allerdings nicht so gut aus.

Til hat zwar eigentlich die 12. Klasse des beruflichen Gymnasiums auf dem Robert-Bosch-Berufskolleg beenden können, er wird versetzt. Aber auf seinem Zeugnis stehen für das Fach Mathematik nur zwei Punkte. Eine glatte Schulnote Fünf.

Abitur-Chance „nahe null“

Er könnte zwar in die 13. Klasse gehen, um sein Abitur zu machen, aber die Chance, das zu schaffen, sei laut Til „nahe null“. Die Defizite in Mathematik seien einfach zu groß. Er ist sich sicher: Sie seien hauptsächlich durch die Corona-Pandemie entstanden.

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Zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020, im ersten Lockdown, war Til noch in der 10. Klasse des Gymnasiums an der Schweizer Allee. Es gab „ab und zu Videokonferenzen, mal Aufgaben, mal aber auch gar nichts“, so Tils Erfahrungen. „Die Aufgaben bringen aber nichts, wenn sie mir niemand erklärt“, sagt er.

Und „richtigen“ Unterricht gab es nicht. Vorwürfe macht er der Schule deshalb nicht, denn es war nun mal eine Ausnahmesituation.

Schon vor der Pandemie hatte sich der 18-Jährige bereits dazu entschieden, die Schule nach der 10. Klasse zu wechseln. Ihm sei gesagt worden, dass es auf dem Robert-Bosch-Berufskolleg „ein wenig leichter“ sei.

„Ich komme gar nicht mehr hinterher“

In die 11. Klasse des Berufsgymnasiums wird er dann zwar versetzt, aber er merkt schnell, dass ihm wichtiger Stoff durch die Schulschließung fehlt. „Ich wusste gar nicht, wo die sind“, sagt Til.

Der fehlende Stoff wäre sogar wiederholt worden – aber wegen des zweiten Lockdowns im Schuljahr 2020/2021 klappt das letztlich auch nicht. Zu Hause könne er sich nicht konzentrieren, in der Schule gelinge das besser. „Das ist halt der Ort zum Lernen“, sagt Til.

Die Konsequenz merkt der 18-Jährige schnell: „Ich komme gar nicht mehr hinterher, es ist vorbei mit Mathe.“ Am Ende stehen zwei Punkte auf dem Zeugnis.

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Der Rückstand sei so groß, dass er es für „unmöglich“ hält, am Ende der 13. Klasse eine Schulnote 4 in Mathematik zu erreichen. Nur so könnte er das Abitur noch schaffen.

Seiner Ansicht nach hätte in den Hochzeiten der Corona-Pandemie vieles anders laufen müssen. Der 18-Jährige hätte sich mehr Förderung gewünscht, für Schülerinnen und Schüler wie ihn, die mit Videokonferenzen und Lernaufgaben nicht mitkommen.

Sonderregelungen verschieben Probleme nur

Es gab während der Pandemie einige Sonderregelungen des Schulministeriums, die pandemiebedingte Defizite ausgleichen sollten. Die sonst klar definierten Bedingungen, wann man versetzt wird, oder eben nicht, wurden mehrmals angepasst und erleichtert. „Das ist aber auch Quatsch, weil: Dann habe ich im Jahr danach Probleme“, findet Til. „Wenn ich in einem Fach nicht klarkomme, komme ich nicht klar. Da bringt es mir nichts, wenn ich trotzdem weiterkomme.“

Zahlen aus der amtlichen Schulstatistik vom Land NRW unterstützen Tils Argumente.

Das Schuljahr 2020/2021 haben demnach deutlich weniger Schülerinnen und Schüler begonnen, die eine Klasse wiederholen mussten, als in den Jahren zuvor. In den Dortmunder Gymnasien waren es beispielsweise 195, auf den Realschulen 80. Also nur 195 Gymnasiasten und 80 Realschülerinnen und -schüler haben im Schuljahr davor das Klassenziel nicht erreicht.

Zum Vergleich: Auf den Dortmunder Gymnasien wiederholten im Jahrgang 2019/2020 340 Schülerinnen und Schüler das Schuljahr, 2018/2019 388 und 446 im Jahrgang 2017/2018.

An den Realschulen ist der Unterschied ähnlich. 2019/2020 waren es 330 das Schuljahr wiederholende Schülerinnen und Schüler, 2018/2019 423 und 2017/2018 noch 406.

Dieser Einbruch bei den Dortmunder Zahlen zum Ende des ersten Schuljahres in der Corona-Pandemie liegt laut der Bezirksregierung Arnsberg an den bereits erwähnten vereinfachten Regelungen für die Versetzung an Schulen.

Im Schuljahr 2021/2022, das am Freitag (24.6.) zu Ende gegangen ist, mussten dann wieder mehr Schülerinnen und Schüler in Dortmund ein Jahr wiederholen.

An den Gymnasien waren es 390 Schülerinnen und Schüler, auf den Realschulen 495. Ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Jahrgang zuvor – was wohl auch daran liegen dürfte, dass die gelockerten Sonderregelungen für die Versetzung nicht mehr galten.

Tatsächlich sind es auch in beiden Schulformen mehr Wiederholende als in dem Schuljahr 2019/2020, in dem die Corona-Pandemie gerade begann. Damals waren es 330 Wiederholende an den Realschulen und 340 an den Gymnasien.

Dies lässt sich durchaus als Unterstützung für Til Kahnerts Vermutung interpretieren. Es könnte sein, dass mehr Schülerinnen und Schüler Probleme bekommen haben, obwohl sie vorher mithilfe gelockerter Regeln versetzt wurden.

Til Kahnert wiederholt die Klasse freiwillig

Wie viele Dortmunder Schülerinnen und Schüler das nun beendete Schuljahr 2021/22 nicht geschafft haben, lässt sich indes noch nicht sagen. Laut IT.NRW werden die Daten erst nach den Sommerferien erhoben und im Frühjahr 2023 vorliegen.

In Dortmunds Nachbarschaft, in Essen, das in Größe und Struktur mit Dortmund vergleichbar ist, zeigt sich eine ähnliche Tendenz, wie die WAZ berichtet: Nach dem ersten Lockdown hätten sechs Prozent der Realschülerinnen und -schüler zum Schuljahr 2020/2021 das Schuljahr wiederholt. Zum jetzt beendeten Schuljahr 2021/2022 ebenfalls – an den Gymnasien waren es zwei Prozent.

An den Essener Realschulen sei das Problem sogar so drastisch, dass 260 Schülerinnen und Schüler zum nächsten Schuljahr auf die Hauptschule wechseln müssten, weil sie zum zweiten Mal nicht versetzt wurden, wie unter Berufung auf interne Informationen aus Essener Schulkreisen berichtet wird. Entsprechende Zahlen zu Dortmund liegen noch nicht vor.

Til hat sich derweil dazu entschieden, die 12. Klasse freiwillig zu wiederholen. Gut findet er das nicht. Mit Nachhilfe versucht er, den Stoff aufzuholen. Das gelinge ihm aber nur schwer, denn die Lücke sei groß.

Er ist sich sicher, dass er ohne die Corona-Pandemie jetzt in die 13. Klasse wechseln würde, auf dem Weg zu einem soliden Abi – und seinem Ziel näher, ein duales Studium bei der Polizei zu beginnen.

Einen Überflieger-Schnitt würde er zwar nicht schaffen, sagt Til. Er beschreibt sich eher als durchschnittlichen Schüler. Aber er wäre nach eigener Einschätzung besser als jetzt. Vor der Corona-Pandemie lag er in Mathe zwischen den Noten 3 und 4.

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