„Ich hab mich betäubt in den Spielhallen, saß die ganze Nacht dort“

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„Ich hab mich betäubt in den Spielhallen, saß die ganze Nacht dort“

rnGlücksspielsucht

Zu D-Mark-Zeiten gewann er 10.000 Mark in der Spielbank. Ein Anfang vom Ende. Heute ist er spielsüchtig. Einer von mehr als 3300 Dortmundern, die krankhaft spielen müssen, erzählt.

Dortmund

, 20.08.2018, 04:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

In Dortmund wird die Zahl der Glücksspielsüchtigen auf 1555 und die Zahl der problematisch Glücksspielenden auf 1765 geschätzt. Ein Rückgang ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. Die Beratungsstelle für pathologische Glücksspieler, angesiedelt beim Caritasverband Dortmund, meldet, dass die Anzahl der behandelten Glücksspieler mit 237 Klienten in der Beratung und 89 Angehörigen im letzten Jahr unverändert hoch war.

Viele Spieler mit Migrationshintergrund

Diplom-Psychologe Jürgen Güttel hat vor Jahren die Beratungsstelle mit aufgebaut. Geleitet wird sie von Diplom-Sozialarbeiterin Monika Wulf. Das Team macht die Erfahrung, dass immer mehr Betroffene mit Migrationshintergrund behandelt werden, unter anderem über ambulante Entwöhnungstherapien in der Beratungsstelle oder stationär in Suchtkliniken.

156 Spielhallen in der Stadt

Vor Ort, in der Suchtberatung des Caritasverbandes mit Adresse Stefanstraße 2, kann die Therapie aber nur in deutscher Sprache stattfinden. „Für türkischsprachige Betroffene und Angehörige existiert die ‚Hotline Glücksspielsucht NRW‘ auch als Angebot in türkischer Sprache“, so Güttel.

Die Gefahr, sich von Spielhallen geradezu magnetisch angezogen zu fühlen und später in die Sucht abzurutschen, lauert in einer Großstadt wie Dortmund nahezu auf Schritt und Tritt. Aktuell gibt es 156 Spielhallen in der Stadt. Vor fünf Jahren waren es sogar noch 176.

Überwiegend männlich

Spielsucht ist überwiegend männlich. Einer, der reinrutschte in die Sucht, ganz langsam, ist ein Dortmunder, der nun die Initiative ergreift und eine anonyme Selbsthilfegruppe Glücksspiel gründen möchte. Wir nennen ihn Richard. Seinen richtigen Namen möchte der End-Fünfziger nicht in der Zeitung lesen. Er hat ein sehr ernstes Anliegen: Richard möchte als Betroffener eine neue, anonyme Selbsthilfegruppe gründen. Es geht um Glücksspiel jedweder Art, nicht nur um die Sucht im Kasino oder an Automaten, auch um Lotto, Toto, Bingo, Würfeln, Pferdewetten, Bridge, Skat, um Telefongewinnspiele und vieles mehr. Wer um Geld zockt, kann schleichend suchtkrank werden und arm sowieso.

Gewinn beim Zéro-Spiel

Richard war ein selbstständiger Geschäftsmann. Aus Spaß und Neugier wollte er einmal einen Abend in der Spielbank Hohensyburg verbringen. Am Roulette-Tisch schlug der Croupier dem Anfänger das Zéro-Spiel vor. Richard glaubt noch heute, er tat dies zum „Anfüttern“ eines neuen Kunden, denn Richard gewann und gewann.

Das Spiel setzt auf benachbarte Kesselzahlen, und zwar auf die Nachbarzahlen der Null. Durch geschicktes Einwerfen der Kugel beherrschten dies fast alle Croupiers, hörte Richard später von Bekannten. An dem Abend nahm er seine gewonnenen 10.000 D-Mark und ging nach Hause. Oft kam der Dortmunder nicht zurück in den Glücksspieltempel auf dem Syburger Berg. Vielleicht achtmal schätzt er.

Lotto für 300 Mark

In die Sucht rutschte der Gelegenheitsspieler erst sehr viel später vor diversen Automaten. Als er mit 18 Jahren von einem Bekannten zum ersten Mal in eine Spielhalle geschleppt wurde, interessierte sich Richard noch mehr für Billard- und Kicker-Tische, die dort herumstanden. Später begann er Lotto zu spielen, über ein System für 300 Mark. Gewonnen hatte er nie mehr als drei Richtige. Gelegentlich zockte er an Automaten in Pommesbuden oder Kneipen, „um meine Portion Pommes wieder rauszuholen“, sagt er. „Wenn dann 20 Euro weg sind, wollen Sie die wiederhaben und kommen richtig in einen Rausch hinein. Sie spielen weiter, Ihr Ehrgeiz ist geweckt“, erklärt Richard.

Dann erlebte er die größte Klatsche seines Lebens. Der Geschäftspartner versuchte ihn aus der Firma zu drängen. Am Ende mit Erfolg. Richard war fertig. „Ich hab mich betäubt in den Spielhallen, saß die ganze Nacht dort“, sagt er. Gut 15.000 Euro hatte er in dieser Zeit verspielt.

Zweite Reha

Richard suchte Hilfe in der Suchtberatung, machte eine Reha, zog in eine ruhigere Gegend ohne Spielhallen – und ging dann online. Die Sucht begann von Neuem. Bei einem Internet-Spielkasino ließ er sich sperren. „Es ging nur bei einem“, sagt er und kritisiert gleichzeitig die Praktiken der Online-Kasinos. Diese säßen auf Malta, wo man es mit den Vorschriften nicht so genau nehme. Selbst Fünfjährige könnten schon online zocken, nur noch nichts dabei gewinnen.

Seit acht Wochen ist Richard, der inzwischen gesundheitlich stark angeschlagen ist und eine kleine Frührente bezieht, komplett weg vom Spielen. Bald wird er seinen Erfolg vertiefen in einer neuen Reha, und danach möchte er eine Stütze sein für andere Betroffene. Im Januar soll die anonyme Selbsthilfegruppe „Spielfrei“ an den Start gehen. Geplant sind wöchentliche Treffen im vertrauten Rahmen. Es gilt die Schweigepflicht.

Die geplante Selbsthilfegruppe will eine erste Anlaufstelle sein, bei der sich Spielsüchtige aller Art anonym Rat holen können. Geplant sind wöchentliche Treffs am frühen Freitagabend zentral in der Dortmunder Innenstadt. Interessierte melden sich bei der Selbsthilfe-Kontaktstelle, Tel. 52 90 97.