Der selbstständige Apotheker versteht die Welt nicht mehr. Seit 2013 lebt er mit seiner Familie in Deutschland und hat sich hier ein neues Leben aufgebaut. Seine Frau ist angestellte Fachärztin, sein Sohn ist 2019 in Dortmund geboren. Sie leben zusammen in einer eigenen Wohnung. Doch mit der Einbürgerung will es nicht vorangehen.
Seit März 2022 möchte die Familie einen deutschen Pass. Den Einbürgerungstest haben sie bestanden – aber nun warten sie auf den vorgeschriebenen Beratungstermin bei der Ausländerbehörde, auch um ihre Unterlagen vorzulegen und prüfen zu lassen, ob die Dokumente vollständig sind.
Das geht aus einem Beschwerde-Schreiben an das Ordnungsamt hervor, zu dem das Ausländeramt gehört. Die Redaktion hat von der Stadt alle Beschwerde-Briefe, -Mails und -Anrufe an das Amt von Oktober 2022 angefordert. Aus welchem Land die Familie kommt, ist daraus nicht zu erkennen, solche Angaben wurden aus Datenschutzgründen geschwärzt.
Gestiegene Nachfrage
Aber der Ärger und die Enttäuschung des Mannes sprechen aus jeder Zeile: „Ich finde die ganze Situation ungerecht“, schreibt er.
Das Ordnungsamt hatte ihm im Oktober 2022 mitgeteilt, man freue sich über seinen Wunsch, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, doch die Terminkapazitäten der Einbürgerungsstelle seien bis Ende 2022 ausgeschöpft. Und das habe Gründe.
Ein Großteil der Geflüchteten, die seit 2015 eine Flüchtlingsanerkennung erhalten hätten, erfüllten derzeit die zeitlichen Voraussetzungen für eine Einbürgerung. „Auch dies führt aktuell nochmal zu einer deutlich gestiegenen Nachfrage an Terminen für das Stellen von Einbürgerungsanträgen“, schreibt die Stadt.
Reisepässe laufen ab
Außerdem seien aufgrund der gegenwärtigen Fluchtbewegung aus der Ukraine die personellen Ressourcen der Einbürgerungsstelle und der Ausländerbehörde der Stadt Dortmund aktuell gebündelt, mit Auswirkungen auf den Dienstbetrieb. Die Kapazitäten zur Terminvergabe und Antragsbearbeitung in der Einbürgerungsstelle könne man kurz- und mittelfristig nicht erweitern.
Der Krieg in der Ukraine sei natürlich ein Problem und habe für große Überlastung gesorgt, räumt der Apotheker ein und schreibt gleichzeitig: „Sind ich und meine Familie nicht gleichberechtigt? Die Gleichbehandlung ist eines der wichtigsten Gesetze in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland sowie in der europäischen Verfassung.“
Ihre Reisepässe und Ausweise liefen ab, und sie müssten immer wieder von der Arbeit fernbleiben, um sie zu verlängern, berichtet der Mann: „Ist dieses Problem schon bekannt? Gibt es eine Lösung dafür? Was kann man in diesem Fall machen?“
Zahl fast verdoppelt
Wie dem Apotheker geht es zurzeit vielen in Dortmund – und nicht nur hier. Überall in Deutschland gibt es aufgrund der erneuten massiven Zuwanderung Verdruss über lange Wartezeiten auf einen Termin bei der Ausländerbehörde.
Das ist eine Belastung für die Betroffenen, die oft Monate, manchmal ein Jahr warten, und für die städtischen Mitarbeiter, die sich immer wieder mit verzweifelten Hilferufen konfrontiert sehen, denen aber die Hände gebunden sind.
Die Zahl der vollzogenen Einbürgerungen hat sich laut Stadtsprecher Maximilian Löchter seit 2020 fast verdoppelt, von 963 auf 1802. Rund ein Fünftel davon stammt aus Syrien, gefolgt von der Türkei, Marokko, Iran und Irak. Gleichzeitig müssen andere Aufenthaltserlaubnisse erteilt und in bestimmten Zeiträumen verlängert werden. Dazu kommt aktuell das verheerende Erdbeben in der Türkei und Syrien.
Online-Antrag für Termine
Inzwischen kann man den persönlichen Beratungstermin für das hochkomplexe Einbürgerungsverfahren zwar online beantragen, aber mehr Termine gibt es trotzdem nicht.
Die Wartezeit zwischen Terminanfrage zur Abgabe eines Einbürgerungsantrages und der notwendigen persönlichen Vorsprache zur Antragstellung betrage gegenwärtig neun Monate, berichtet Löchter. Dabei wurden zum Jahreswechsel 2022/2023 zusätzlich 5 Planstellen für die Einbürgerung eingerichtet. Löchter: „Mit einer Entlastung kann nach erfolgter Einarbeitung erst im zweiten Quartal 2023 gerechnet werden.“ Doch schon jetzt sei klar, dass auch diese neuen Planstellen nicht reichen werden.
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