Hausarzt Lars Rettstadt: „Grenzenloser Egoismus, aber auch viel Dank“

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Hausarzt Lars Rettstadt: „Grenzenloser Egoismus, aber auch viel Dank“

rnPandemie-Erfahrung

Vertrauen, Nähe, ein offenes Ohr – der Hausarzt ist da. Wenn einer weiß, wie sich die Menschen verändert haben in zwei Jahren Corona-Pandemie, dann doch wohl er. Oder?

Scharnhorst

, 27.02.2022, 07:30 Uhr / Lesedauer: 2 min

Viel ist passiert in zwei Jahren. Aus Unsicherheit, Übervorsicht, Panik ist Routine geworden. „Die Menschen sind etwas gelassener geworden im Umgang mit Corona“, hat Lars Rettstadt beobachtet.

Er ist nicht nur Hausarzt in Scharnhorst, sondern auch Vorsitzender des südlichen Bezirks im Hausärzteverband Westfalen-Lippe. Er kann nicht nur die Beobachtungen aus der eigenen Praxis schildern, sondern ist auch mit vielen Kollegen vernetzt. Er weiß, was sich in den zwei Jahren seit März 2020 verändert hat.

Fast jeder Zweite macht sich deutlich mehr Sorgen um seine Gesundheit als vor Corona – so zumindest das Ergebnis unserer großen Umfrage, an der 870 Dortmunder teilgenommen haben. Mit Rettstadts Beobachtungen deckt sich das nicht. Vielleicht liegt das aber auch an einem anderen Ergebnis der Umfrage.

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Niemandem vertrauen die Menschen demnach so sehr wie ihrem Hausarzt – nicht Politikern, nicht Medien, nicht einmal Freunden und Bekannten. Drei von vier Patienten hören stark oder sogar sehr stark darauf, was der Hausarzt sagt.

Niemand sonst kommt auf solch einen Wert. Mit weitem Abstand folgen Institutionsvertreter wie der RKI-Präsident. Nur weniger als zehn Prozent der Umfrage-Teilnehmer glauben dem Hausarzt selten oder nie. Und dass ihm die meisten vertrauen, merkt Rettstadt jetzt ganz konkret im Alltag.

Patienten „sehr gut informiert“ und dankbar

„Es fällt uns schon auf, dass sehr sehr viele geimpft sind“, resümiert der Allgemeinmediziner. Dabei bezieht er sich nicht nur auf diejenigen Patienten, die ohnehin häufig in der Praxis sind. Zu dieser Jahreszeit, bei dieser Infektlage „ist es ja so üblich, dass wir viele Patienten haben, die wir sonst nicht sehen“.

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Streit um die Maske über der Nase? Nein, im Gegenteil: Die Patienten seien „sehr gut informiert“ und wirklich dankbar, zumindest die meisten. Wie sich die Menschen bei den Sonder-Impfaktionen am Wochenende bedankt hätten – Rettstadt erinnert sich genau. Nur, leider, seien nicht alle Patienten so gewesen.

„Wenn Sie mitbekommen, wie die angefeindet werden“

„Der Egoismus ist bei manchen Menschen grenzenlos – und die Dummheit auch. Wenn Sie mitbekommen, wie die MFAs bösartig angefeindet werden...“, sagt der Mediziner und bezieht sich auf den großen Streitpunkt, der sich durch das Jahr 2021 zog: Biontech oder Moderna oder sogar Astrazeneca. Seine Mitarbeiterinnen – die Medizinischen Fachangestellten, kurz MFA – hätten das am Telefon oder in der Praxis ausbaden müssen.

„Es gibt wirklich viele Menschen, die nicht kompromissbereit sind. Die flippen dann völlig aus, wenn Sie ihnen sagen, dass wir das Biontech leider für die Menschen unter 30 Jahren brauchen.“ Und das, nachdem „wir seit zwei Jahren im 120- bis 130-Prozent-Modus arbeiten“.

„Wir können das Wort ‚Corona‘ nicht mehr hören“

Doch bei allem Ärger: Das sei eine Minderheit. Und die meisten, da ist sich Rettstadt sicher, habe sich innerlich schon vorbereitet auf einen Sommer ohne Corona-Einschränkungen. Die Menschen hätten Sehnsucht. Das geben auch die Zahlen unserer Umfrage her.

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Fast 80 Prozent der Teilnehmer vermissen Reisen und Ausflüge, etwas mehr als 70 Prozent würden gerne öfter Freunde treffen, knapp 70 Prozent häufiger Essen gehen – in die Kneipe, ins Café. Dagegen klingt Rettstadts augenzwinkernd geäußerter Wunsch für den Alltag in der Praxis fast schon bescheiden:

„Wir können das Wort ‚impfen‘ und das Wort ‚Corona‘ nicht mehr hören“, sagt Rettstadt leicht schmunzelnd: „Wir freuen uns schon, wenn jemand einfach mit einer Mandelentzündung kommt oder mit einer Herzinsuffizienz.“

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