Wir schreiben das Jahr 1968: Die ehemals herrschaftliche Burg ist verfallen. Wir stehen auf dem Hof. Vor uns die Eingangstür. In den Händen liegt je ein Controller. Per Stick lenken wir einen Laser auf die Tür und wie eine Zeitmaschine beamt uns die VR-Brille 120 Jahre zurück.
Haus Mengede im Jahr 1848. Controller und Brille führen uns durch das Gebäudeensemble des Adelssitzes in Dortmund-Mengede. Die Emscher fließt derweil noch dort, wo heute die Waltroper Straße verläuft. Die noch nicht kanalisierte Emscher treibt zwei Mühlen an.
1968 ließ die Stadt Dortmund Haus Mengede abreißen. Übrig blieben Reste der Grundmauern. Ein Bodendenkmal. Doch jetzt, 57 Jahre später, ist Haus Mengede wieder erlebbar. Und das keineswegs nur abstrakt mit verwaisten Gemäuern der digitalen Rekonstruktion, sondern belebt.
Bodendenkmal erleben
Zeitgenossinnen und -genossen des 21. Jahrhunderts haben historische Kostüme angezogen: Neun Schülerinnen und Schüler des Heinrich-Heine-Gymnasiums, bekannte Gesichter des Mengeder Heimatvereins und darunter auch Bezirksbürgermeister Axel Kunstmann sind in Rollen geschlüpft und erzählen aus deren Perspektive die Geschichte von Haus Mengede im Jahr 1848.
Es ist das Ergebnis eines vom Heimatverein ins Leben gerufenen Projektes. Die digitale Umsetzung ist durch Dr. Benjamin Weber und sein Unternehmen XRbit erfolgt. Die Untere Denkmalbehörde habe schon länger im Sinn gehabt, die Geschichte von Haus Mengede erlebbar zu machen, erzählt der Digital-Experte. Mengeder, Besucher und Radwanderer am Emscher-Weg sollten sich die Dimension der Anlage vorstellen können, die eben weitaus größer war als die heute noch sichtbaren Mauerreste auf der etwas abseits gelegenen Rasenfläche.
„Es gab zwei Herausforderungen“, erzählt Weber. „Es gab nur drei Bilder von diesem Haus. Die andere Sache ist, man muss Zeit investieren und braucht ein gewisses Budget.“ Das Denkmalamt stellt den Kontakt zum Heimatverein her. Vorsitzender Hans-Ulrich Peuser akquiriert Fördermittel des nordrhein-westfälischen Heimatministeriums sowie von Sparkasse und Volksbank Dortmund-Nordwest.

Über eine aufwändige Recherche stößt Benjamin Weber auf einen Nachlass. Darin findet sich eine Handskizze. Kurz vor dem Abriss ist Haus Mengede detailliert vermessen worden: „Wirklich jeder Zentimeter, jeder First, jede Fensterbank und jede Tür“, erzählt er. „Das war eine super Basis, um das Gebäude zu rekonstruieren.“
Daraus entsteht quasi eine Kulisse – wenn man so will: eine Lebenswelt. Die digitale Version von Haus Mengede gibt es in 3D, als virtuellen Raum erlebbar mit der VR-Brille. Und in 2D auf der Internet-Plattform von XRbit. „Wir haben etwa 1000 Entwicklerstunden investiert“, berichtet der Digital-Experte.
Das Leben produzieren das Team um Dr. Benjamin Weber und die Laiendarsteller im November 2024 im Mengeder Saalbau. Greenscreen-Technik: Die Schauspieler schlüpfen in Kostüme aus dem Theater-Fundus, sprechen vor einem giftgrünen Hintergrund ihre Rollen ein. Die Programmierer ersetzen letztlich den Hintergrund durch die digitale Kulisse von Haus Mengede.

Christian Willing vom Arbeitskreis Alt-Mengede im Heimatverein hat den Kontakt zu Kai Riese hergestellt. Der ist Musiklehrer am Heinrich-Heine-Gymnasium. Die Hälfte seines Musikkurses in der Jahrgangsstufe EF hat mitgemacht. Einer von ihnen ist Philip Lieber.
In der virtuellen Welt von Haus Mengede ist der 16-Jährige ein Torwächter. „Für uns stand das Schauspielerische im Vordergrund“, erzählt der Mengeder. Aber sein Blick für den alten Ortskern hat sich gewandelt. Natürlich habe er vorher schon die alten Fachwerkhäuser an der evangelischen Kirche wahrgenommen. „Weil die Ruinen von Haus Mengede so versteckt liegen, wusste ich vorher nicht viel davon“, sagt er. „Ich habe mehr von der Geschichte erfahren, vor allem von diesem Haus Mengede.“
Axel Kunstmann ist auch in der virtuellen Welt der Mengeder Vorsteher. „Es ist ein hervorragendes Projekt, um junge Menschen für Heimatgeschichte zu begeistern“, sagt der pensionierte Gesamtschullehrer.

Hans-Ulrich Peuser ist im realen Leben Vorsitzender des Heimatvereins, Kirchenmusiker und Organist in der evangelischen Noahgemeinde. In der virtuellen Welt des Jahres 1848 ist er der Pfarrer. „Als wir mit dem Projekt begonnen haben, hatte ich noch keine Vorstellung, was dabei rauskommt. Jetzt bin ich begeistert. Es ist fantastisch.“
Die Experten von XRbit haben mit einer CAD-Software die Außenansicht der Anlage von Haus Mengede exakt rekonstruiert. Da Zeugnisse zur Inneneinrichtung fehlen, haben sie sie anhand vergleichbarer westfälischer Adelssitze wie Schloss Bodelschwingh oder Haus Wenge in Lanstrop rekonstruiert. Die CAD-Rekonstruktion haben Benjamin Weber und sein Team in eine moderne Spiele-Engine integriert.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, in die Mengeder Welt des 19. Jahrhunderts einzutauchen. Der Heimatverein hält im Heimathaus mehrere Virtual-Reality-Brillen bereit. Mit den Controllern in den Händen bewegen sich die Nutzer, wie an einer Spielekonsole durch die Anlage von Haus Mengede. Mit einer interaktiven Schnitzeljagd können die Besucher das Gelände erkunden und versteckte Gegenstände finden.
Für „VR-Anfänger“ haben die Programmierer einen virtuellen Rundflug um die Anlage eingerichtet. Der kann zwar mit der VR-Brille, aber bequem sitzend im Sessel unternommen werden. Letztlich gibt es die Möglichkeit, an Handy, Tablet oder Rechner Haus Mengede in einer zweidimensionalen Version zu erkunden.
Das wird in naher Zukunft auch am Bodendenkmal selbst möglich sein. Im Rahmen des Stadtentwicklungsprojekts „Nordwärts“ entfernt die Stadt Dortmund die Zäune auf dem Areal zwischen Waltroper Straße und Emscher Weg. Besucher können dann durch die Ruine laufen. Neue Infotafeln informieren über die Geschichte von Haus Mengede. Vier Stelen werden mit QR-Codes versehen. Per Handy oder Tablet ist dann auch vor Ort eine Zeitreise zum Haus Mengede im Jahr 1848 möglich.
Infoabend im Mengeder Saalbau
Der Heimatverein Mengede und das Unternehmen XRbit stellen das Projekt bei einer Informationsveranstaltung im Mengeder Saalbau vor. Besucher bekommen einen Einblick zu den Hintergründen des aufwändigen Projekts und können mit der VR-Brille selbst eine Zeitreise ins Jahr 1848 unternehmen.
Was: Infoabend „Haus Mengede vom Bodendenkmal zur digitalen Visualisierung“
Wann: Dienstag, 8. April 2025, 17 Uhr
Wo: Kulturzentrum Mengeder Saalbau, Marktplatz Mengede
Eintritt frei.