Das letzte Lebenszeichen gab es am 10. August gegen 19 Uhr. Danach konnten weder Maren Hagel ihre Stiefmutter noch andere Angehörige die 74-jährige Rentnerin erreichen. Dabei hatte sie zuvor im Frankreichurlaub täglich ihre WhatsApp-Story mit Fotos befüllt. Plötzlich aber konnte niemand mehr die Dortmunderin erreichen.
Nach ein paar Tagen wundern sich die Angehörigen. Hast du etwas von Oma gehört? Hat Oma dir geschrieben? „Es war vollkommen untypisch“, sagt Maren Hagel. „Vor allem, als sie einem ihrer Söhne nicht zum Geburtstag gratuliert hat. Das hat sie noch nie vergessen.“ Aus Verwunderung wird Sorge.
Die Rentnerin war mit ihrem Camper mit Dortmunder Kennzeichen in der Bretagne am Atlantik unterwegs. Zu dem Zeitpunkt, ab dem sie nicht mehr zu erreichen ist, ist sie schon seit drei Wochen unterwegs.
Familie sorgt sich
„Der Atlantik ist gefährlich, vielleicht ist ihr etwas zugestoßen. Vielleicht ist sie beim Wandern abgestürzt. Vielleicht geht es ihr gesundheitlich nicht gut“, das seien die Gedanken gewesen, die sie sich gemacht haben, sagt die 49-jährige Stieftochter. Sie ist selbst bei der Polizei in Rottweil. „Man fragt sich, wann ist es nur Theater und wann ist es wirklich ernst?“
Über den Rechner der Rentnerin hatten sie auf die Google-Standortdaten des Handys zugreifen können, bevor es nicht mehr erreichbar war und finden heraus, auf welchem Campingplatz die 74-Jährige war, als ihr Handy ausging. Sie rufen dort an. Die Rentnerin habe dort am 12. August ausgecheckt.

Die Erleichterung habe nur kurz angehalten, sagt Maren Hagel. „Wenn man einmal im Sorgenstrudel drin ist, denkt man sich: Vielleicht ist auch jemand anders gefahren.“ Im Kontakt mit der Dortmunder Polizei sind sie zu diesem Zeitpunkt schon. Dort haben die Söhne der 74-Jährigen eine Vermisstenanzeige aufgegeben. In Absprache mit den Beamten veröffentlicht man auch einen privaten Suchaufruf. Die Familie teilt ihn in Campinggruppen, auch in Dortmunder Facebook-Gruppen wird er geteilt.
Französische Polizei involviert
„Wenn wir die Vermisstensuche auf unseren Kanälen geteilt hätten, hätte das vermutlich nicht viel gebracht, da die Frau in Frankreich vermisst wurde“, sagt Polizeisprecher Steffen Korthoff am Montag (28.8.). Man habe aber Kontakt zu den französischen Behörden aufgenommen. Durch die Vernetzung der Polizeibehörden waren die 74-jährige Dortmunderin und ihr Kennzeichen in der Folge im gesamten Schengenraum in den Systemen der Polizei.
Wenig später ruft Steffen Korthoff noch einmal an. Die Frau sei wieder aufgetaucht, sagt der Sprecher. Polizeibeamte seien in Köln auf den Camper mit den Dortmund-Kennzeichen aufmerksam geworden. Am Steuer saß die Dortmunder Rentnerin, die wohl etwas überrascht gewesen sei, als ihr die Beamten sagten, dass sie vermisst werde. „So wie es mir übermittelt wurde, war sie ganz fröhlich. Ja klar, die kam ja auch gerade aus dem Urlaub.“
Auch Maren Hagel wird von der Dortmunder Polizei angerufen. Als sie mit dieser Redaktion spricht, konnte sie noch nicht wieder mit ihrer Stiefmutter telefonieren, aber sie erfährt, dass ihre Stiefmutter meinte, dass sie ihr „Handy verdaddelt“ habe. Was genau das bedeutet, kann sie noch nicht sagen. Jedenfalls habe die 74-Jährige keine Nummern aufgeschrieben, um sich bei ihren Angehörigen melden zu können. Ihren Urlaub habe sie aber auch nicht abbrechen wollen.
Erleichterung und Wut
„Ich war sehr erleichtert. Dann kam aber auch die Wut, muss ich ehrlich sagen“, sagt Maren Hagel. „Sie bekommt noch etwas von mir zu hören. Konstruktiv, aber ihr muss bewusst sein, was sie für einen Apparat in Bewegung gesetzt hat.“ Bevor die Beamten in Köln die 74-Jährige kontrollierten, war ihr Kennzeichen auf einer belgischen Autobahn von einer automatischen Kameraüberwachung registriert worden. Wer am Steuer saß, konnte man dadurch aber nicht nachvollziehen.
„Jetzt kann man darüber lachen, aber ich merke auch, wie die Anspannung von mir abfällt“, sagt Maren Hagel. „Die Ungewissheit war wirklich schlimm.“
Hass auf Facebook
Die Geschichte wird die 49-Jährige wohl noch etwas länger verfolgen, auch wegen der Erfahrungen, die sie auf Social Media gemacht hat. Die Polizistin Maren Hagel macht Medienprävention in Schulen. Hass und Hetze sind dabei immer Thema. Wie es ist, Hass abzubekommen, hat sie nach dem Hilfeaufruf auf Facebook am eigenen Leib erfahren.
„Mir wurde unterstellt, dass ich eine Stalkerin sei, und ich die Frau auf dem Foto verfolgen würde, oder dass das alles nur ein Fake sei. Andere haben mich einfach nur beleidigt“, sagt Hagel. Sie wolle es als Negativbeispiel bei ihrer Arbeit erzählen.
Gleichzeitig hätten sie aber auch viele nette Menschen bei der Suche unterstützt, sagt die Polizistin und appelliert: „Social-Media verpflichtet auch. Wenn man plötzlich nichts mehr von einem Menschen hört und sogar der Geburtstag des Sohnes nicht beachtet wird, sollte man sich Gedanken machen.“
Wann ist es ein Vermisstenfall?
Tatsächlich ist ungewöhnliches Verhalten auch für die Polizei ein Grund, um einen Vermisstenfall als solchen einzustufen, sagt Steffen Korthoff von der Dortmunder Polizei. Wenn sich jemand von heute auf morgen nicht mehr meldet, kann das ein Indiz sein. „Allerdings muss dann immer im Einzelfall entschieden werden. In Deutschland haben erwachsene Menschen ein Aufenthaltsselbstbestimmungsrecht.“ Manche Menschen würden ihren Kontakt mit Verwandten schließlich auch bewusst abbrechen.
Die Polizei leitet deshalb nur Fahndungen ein, wenn eine Gefahr für Leib und Leben vermutet wird, sei es für sich selbst oder für andere. Etwa, weil man einen Abschiedsbrief gefunden habe oder Hinweise auf eine Straftat erhalten habe.
Minderjährige gelten für die Polizei bereits als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben und ihr Aufenthalt nicht bekannt ist. Gleiches gilt für Menschen, die nicht im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind, etwa ein dementer Bewohner eines Seniorenheims, der aus der Einrichtung verschwindet.
Glücklicherweise ist die 74-jährige Dortmunderin wohlbehalten wieder aufgetaucht. Von nun an wird sie sich wahrscheinlich eine Notfallnummer notieren, wenn sie wieder verreist.
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