
© Montage: Nina Dittgen
Haftandrohung wegen Corona-Knöllchen: Das Vorgehen der Stadt ist unanständig
Meinung
Die Stadt Dortmund wollte einen mittellosen Obdachlosen wegen ausstehender Bußgelder in Haft schicken. Das ist unanständig, aber keine Überraschung, meint unser Autor.
Für Juristenverhältnisse ist es eine richtige Ansage, die das Amtsgericht Dortmund der Stadtverwaltung präsentiert hat. Ein drogenabhängiger Obdachloser darf nicht in Erzwingungshaft gesteckt werden, weil er aufsummierte Corona-Bußgelder in Höhe von sage und schreibe 7000 Euro nicht zahlen kann.
Hätte das Gericht „Ja“ gesagt, hätte das bedeutet, dass ein offensichtlich mittelloser und suchtkranker Mensch ins Gefängnis gekommen wäre - um ihn zu zwingen, die Strafe zu zahlen, wohlgemerkt. Denn nur darum geht es bei Erzwingungshaft.
Gefängnis auf Steuerkosten oder unbezahlte Knöllchen?
Man hätte dann das Offensichtliche festgestellt: Dass er das Geld einfach nicht hat. Bis dahin hätte sein Gefängnisaufenthalt den Steuerzahler eine Summe X gekostet. So wie schon der Vorgang beim Amtsgericht.
Daran ist so vieles falsch. Das beginnt beim Bußgeld-System, das durch die Corona-Pandemie noch absurder geworden ist, als es vorher schon war. Denn die eigentlich 2018 nach öffentlicher Kritik aufgegebene Praxis der Stadt Dortmund, Obdachlose mit Bußgeldern zu überziehen, ist wieder aufgenommen worden.
Der Mann erhielt die erste Ordnungswidrigkeitsanzeige wegen eines Verstoßes gegen die Kontaktbeschränkungen. Die Pandemie hat gezeigt: Wer kein Zuhause hat, in das er sich zurückziehen kann, trifft sich draußen. Egal, welche Verordnung gerade gilt.
Devise: System ist System
Im jetzt diskutierten Fall türmte sich ein Berg von 17 Anzeigen auf, zum Teil mit Summen von bis zu 2200 Euro.
Es gab mehrere Punkte, an denen Mitarbeitern in der Verwaltung hätte deutlich werden können, dass dieses Geld wahrscheinlich niemals in der Stadtkasse ankommen würde. Aber scheinbar lautet die Devise: System ist System.
Das Rechtssystem steckt an dieser Stelle in einem Dilemma. Denn natürlich müssen Verordnungen eingehalten werden. Und das Ordnungsamt muss das kontrollieren.
Dass ein Mensch keine finanziellen Mittel hat, befreit ihn nicht davon, sich an Regeln halten zu müssen. Aber: Sich summierende Strafen in letztlich schwindelerregender Höhe, die ohnehin unbezahlbar sind, bringen nichts.
Akteure aus der Wohnungslosenhilfe fordern deshalb auch vor dem Hintergrund des aktuellen Falls eine Amnestie für solche Altfälle. Das ist eine gute Idee, denn sie erspart unnötigen Aufwand und Kosten.
Weitere Kriminalisierung durch einen Gefängnisaufenthalt schließt den Kreislauf nur noch fester. Wer als säumiger Zahler aus der Haft kommt, bleibt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein säumiger Zahler.
Der Amtsgerichtsbeschluss sollte Anlass sein, diese Diskussion endlich zu führen. Denn auf eine Ansage vom Amtsgericht und eine schauerliche Außendarstellung als unmenschliches Bürokratiemonster kann die Dortmunder Stadtverwaltung sicherlich gut verzichten.
Seit 2010 Redakteur in Dortmund, davor im Sport- und Nachrichtengeschäft im gesamten Ruhrgebiet aktiv, Studienabschluss an der Ruhr-Universität Bochum. Ohne Ressortgrenzen immer auf der Suche nach den großen und kleinen Dingen, die Dortmund zu der Stadt machen, die sie ist.
