Matthias Hilgering ist Weinhändler am Westenhellweg in Dortmund. Er merkt, dass weniger Kunden in sein Geschäft kommen, glaubt aber dennoch an das Weihnachtsgeschäft.

Matthias Hilgering ist Weinhändler am Westenhellweg. Er merkt, dass weniger Kunden in sein Geschäft kommen, glaubt aber dennoch an das Weihnachtsgeschäft. © Peter Wulle

City-Händler vor dem Weihnachtsgeschäft: „Merken, dass es ruhiger wird“

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Nach der Corona-Krise hofften die Einzelhändler auf einen Neustart mit guten Umsätzen. Krieg und Energiekrise bremsen aber die Kauflaune. Droht der City ein Ladensterben? Nicht unbedingt.

Dortmund

, 22.10.2022, 05:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Die Beleuchtung im Laden schaltet er da aus, wo es geht. Auch eines seiner Lieferfahrzeuge hat er schon abgeschafft. „Wir sparen so viel wir können“, sagt Weinhändler Matthias Hilgering.

Was an Mehrkosten für Strom und Heizung auf ihn zukommt, kann er noch gar nicht abschätzen. „Klar ist aber, dass es deutlich teurer wird. Zudem müssen wir auch noch mit steigenden Löhnen rechnen“, so Hilgering.

Seit Jahrzehnten betreibt er den Weinhandel am Westenhellweg und erlebt in dieser Zeit so viel Krise wie noch nie. Erst die Corona-Pandemie, nun Inflation, Ukraine-Krieg und Energiepreisschock. „Und jetzt fängt das Weihnachtsgeschäft an, das wir Händler alle so dringend brauchen. Aber, wir merken bei uns, dass es ruhiger wird“, sagt Matthias Hilgering.

Überall hört und sieht er in den Medien die für ihn bösen Worte wie Konsumverzicht, Kaufzurückhaltung oder Konsumflaute. „Ich will die Sorge darum nicht noch befeuern, indem ich die Preise erhöhe“, sagt der Kaufmann und zeigt quer durch seine Weinregale.

„Wir haben bisher nur bei ganz wenigen Artikeln den Preis äußerst moderat erhöht. Hier zum Beispiel unser Hauswein: Weil auch Verschlüsse und die Glasflaschen teurer werden, kostet er jetzt 8,50 statt 7,95 Euro“, so Hilgering.

Handelsverband meldet sinkendes Konsumbarometer

Mit dem Kundenrückgang und dem Preisdruck ist er nicht allein. Das Konsumbarometer des Handelsverbandes Deutschland (HDE) geht den dritten Monat in Folge zurück.

„Die Leute halten ihr Geld zusammen. Und wenn sie etwas kaufen, gucken sie sehr genau auf den Preis“, sagt Thomas Schäfer, der Geschäftsführer des Handelsverbandes für Westfalen-Münsterland.

Thomas Schäfer ist Geschäftsführer des Handelsverbandes Westfalen-Münsterland, der seinen Sitz in Dortmund hat. „Die Leute halten ihr Geld zusammen“, stellt er fest.

Thomas Schäfer ist Geschäftsführer des Handelsverbandes Westfalen-Münsterland, der seinen Sitz in Dortmund hat. „Die Leute halten ihr Geld zusammen“, stellt er fest. © HDE

Von vielen Händlern in Dortmund bekommt er gespiegelt, dass in diesem Herbst weniger Kunden in die Geschäfte kommen. Dabei ist die reine Passantenfrequenz, die das Portal Hystreet jeden Tag ermittelt, gar nicht schlecht.

Im Gegenteil: Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 hielten sich in diesem Jahr sogar rund 12 Prozent mehr Menschen auf dem Westenhellweg auf. Sie kaufen allerdings weniger.

Anders als man vielleicht vermutet, gibt es im Vergleich zu 2019 keinen Besucherschwund auf dem Westenhellweg in Dortmund. Das Portal Hystreet, das die Passanten zählt, weist eine in diesem Jahr um 12 Prozent höhere Frequenz aus.

Anders als man vielleicht vermutet, gibt es im Vergleich zu 2019 keinen Besucherschwund auf dem Westenhellweg. Das Portal Hystreet, das die Passanten zählt, weist eine in diesem Jahr um 12 Prozent höhere Frequenz aus. © Joscha F. Westerkamp

„In die Geschäfte gehen die Kunden gezielt und kaufen dann auch“, sagt Thomas Schäfer. So sei der September bei aller feststellbaren Konsumzurückhaltung gar nicht so schlecht gewesen wie befürchtet.

„Die Abschlagszahlungen für die Energiekosten sind noch nicht von jedem Vermieter erhöht worden. Viele werden wohl jetzt erst ihre deutlich erhöhten Vorauszahlungen sehen“, so Schäfer.

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IHK stellt gewachsene Skepsis im Handel fest

„Obwohl sich am Arbeitsmarkt bislang keine Eintrübung abzeichnet, blicken Verbraucher pessimistisch auf die Entwicklung ihres verfügbaren Einkommens. Eine Entspannung ihrer wirtschaftlichen Situation erwarten sie in nächster Zeit nicht“, stellt der Handelsverband zu seinem jüngsten Konjunkturbarometer fest.

Für das bevorstehende Weihnachtsgeschäft verheiße das nichts Gutes, sagt Thomas Schäfer: „Die Leute werden Geschenke kaufen, aber nicht so viele wie früher.“ Steigende Lebenshaltungskosten und die gesamtwirtschaftliche Lage werden nach seiner Einschätzung bis ins Frühjahr 2023 dafür sorgen, dass der reale private Konsum sinken wird.

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Das deckt sich mit dem sich abzeichnenden Ergebnis der aktuellen Konjunkturumfrage, die die Industrie- und Handelskammer zu Dortmund in der nächsten Woche vorstellen wird.

Nicht nur die gegenwärtige Geschäftslage wird im Handel deutlich schlechter beurteilt, als in der Industrie und bei Dienstleistern, auch die Zukunftserwartung ist im Handel inzwischen am schlechtesten.

Schuhfilialist Görtz in Not, Sorge um Karstadt

„Der Handel“, sagt der IHK-Experte Ulf Wollrath, „ist mit der Gastronomie von den sich überlagernden Krisen am stärksten betroffen. Die Umsatzspritze, die der Handel eigentlich dringend bräuchte, ist nicht zu erwarten. Die Leute müssen sparen. Selbst im Lebensmittel-Einzelhandel, wo es die geringste Nachfrage-Elastizität gibt, gibt es Umsatzeinbußen.“

Der Schuhfilialist Görtz - hier das Geschäft am Westenhellweg in Dortmund - hat eine Insolvenz in Eigenverwaltung eingeleitet. „Aufgrund enormer Kaufzurückhaltung der Kunden“, wie es heißt.

Der Schuhfilialist Görtz - hier das Geschäft am Westenhellweg - hat eine Insolvenz in Eigenverwaltung eingeleitet. „Aufgrund enormer Kaufzurückhaltung der Kunden“, wie es heißt. © Peter Wulle

„Aufgrund enormer Kaufzurückhaltung der Kunden“, so erklärte jetzt der Schuhfilialist Görtz, habe man die Insolvenz in Eigenverwaltung einleiten müssen. Görtz hat auch ein Geschäft am Westenhellweg. Es bleibt unverändert geöffnet.

Geöffnet ist auch das große Karstadt-Haus. Auch bei dem Warenhaus-Konzern aber ist die Lage schwierig und es gibt neue Sorgen um den Kaufhaus-Riesen. Um Energie zu sparen, sind einige Rolltreppen stillgelegt.

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„Die finanzielle Situation sei angespannt und schwierig, hat uns die Geschäftsführung in Gesprächen vor Kurzem deutlich gemacht“, sagt Joffrey Kallweit, Betriebsratsvorsitzender im Haus am Westenhellweg.

„Top-Einkaufsstraßen werden nicht sehr leiden“

Wenn Energiekosten zum Problem werden, Kunden ausbleiben und die Inflation den ohnehin geringeren Umsatz schmälert, drohen dann neue Leerstände in der City - gar eine Geisterstadt?

Axel Schroeder ist Inhaber der Postergalerie an der Kampstraße und Vizepräsident der IHK zu Dortmund. Es ist optimistisch, dass der Westenhellweg als Top-Einkaufsstraße auch gut durch die Energiekrise kommen wird.

Axel Schroeder ist Inhaber der Postergalerie an der Kampstraße und Vizepräsident der IHK zu Dortmund. Es ist optimistisch, dass der Westenhellweg als Top-Einkaufsstraße auch gut durch die Energiekrise kommen wird. © Peter Wulle

Axel Schroeder, Inhaber der Postergalerie an der Kampstraße und Vizepräsident der IHK zu Dortmund, macht sich um eine Verödung der Dortmunder City keine Sorgen.

Klar, müssten auch hier neue Nutzungs- und Attraktivitätsprofile entwickelt werden, aber: „Ich war gerade beim Deutschen Industrie- und Handelskammer-Tag in Berlin. Dort hieß es, dass die Top-Einkaufsstraßen - und ich zähle den Westenhellweg dazu - nicht sehr leiden werden. Es gibt viele Händler, die investieren und mit neuen Konzepten überzeugen.“

„Leerstand in Dortmund auf niedrigem Level“

Auch Dortmunds Wirtschaftsförderin Heike Marzen sieht zwar „erneut schwere Zeiten“ für den Einzelhandel, stellt aber fest, dass die City eine große Magnetwirkung für Besucher aus dem Umland hat.

„Schaut man sich einmal die Zentralitätskennziffern im Ruhrgebiet an, welche den Zufluss an Kaufkraft in eine Stadt messbar und vergleichbar machen, so zeigt sich, dass Dortmund mit einem Zentralitätswert von 118,2 noch immer die Einkaufsstadt im Ruhrgebiet ist - auch was den getätigten Gesamteinzelhandelsumsatz angeht. Hier teilen wir uns die Spitze allerdings mit der Stadt Bochum“, sagt sie.

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„Wenn wir von Schließungen am Standort sprechen oder von Insolvenzen“, sagt Heike Marzen weiter, „so lässt sich feststellen, dass nicht ein Geschäft corona-bedingt aufgegeben hat. Vielmehr waren dies in der Corona-Zeit ausschließlich Filialisten, die sich komplett aus deutschen Fußgängerzonen verabschiedet haben und somit die Schließung auch nichts mit dem Standort Dortmund, sondern allgemein mit unserem veränderten Konsumverhalten zu tun hat.“

Auch wenn große Handelsimmobilien wie etwa die Ex-Mayersche Buchhandlung leer stehen oder die Kaufhof-Immobilie interimsmäßig genutzt werde, so halte sich der Leerstand in Dortmund auf einem noch niedrigen Level im Bereich der A-Lagen, erklärt Heike Marzen.

Und man sei bei diesen großen Immobilien ebenso mit den Eigentümern in Kontakt wie auch bei C&A oder der Corso-Passage: „Wir sind soweit involviert, dass wir sagen können, dass die Eigentümer allesamt an den Standort Dortmund glauben und nennenswert in ihre Immobilien investieren werden. Das ist ein gutes und wichtiges Signal und dies wird auch im Umfeld jeweils Folgeinvestitionen mit sich ziehen.“

„Man muss sich auch mal was gönnen“

Der Handel werde, so betont die Wirtschaftsförderin „in unserer Stadt immer eine herausragende Rolle spielen“. Allerdings gelte es die innerstädtischen Immobilien in ihren zum großen Teil leerstehenden Obergeschossen neu zu denken.

„Städte, denen es in Zukunft gelingt, ihre Aufenthaltsqualität zu steigern, gleichzeitig aber auch Lebenswelten wie Arbeiten, Wohnen, Hobby, Freizeit und Entertainment zu vereinen, werden die Gewinner sein“, sagt sie und ist überzeugt, dass dies in Dortmund gelingen wird.

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Händler wie Matthias Hilgering und Axel Schroeder hören das gern und wünschen sich lieber heute als morgen, dass die City deutlich aufgehübscht wird. Und für das anstehende Weihnachtsgeschäft sehen sie auch nicht so schwarz.

„Bei den ganzen Schreckensnachrichten, muss man sich auch mal was gönnen. Und das werden die Leute zu Weihnachten auch tun“, sagt Matthias Hilgering. Axel Schroeder unterstreicht das: „Wir haben schon wahnsinnig viele Adventskalender verkauft. Die Leute wünschen sich was für die Seele.“