In Dortmund vergessen, in Argentinien Thema Gut Reichsmark war Schauplatz großer Spektakel

Reitjagden: Gut Reichsmark war einst Schauplatz großer Spektakel
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In der idyllischen Reichsmark in Dortmund-Syburg, wo heute Golfspieler ihre Runden drehen, preschte früher alljährlich eine große Schar Reiter durch Wiesen und Felder in Richtung Tal, beobachtet und angefeuert von Tausenden Schaulustigen.

Die Reitjagden am Gut Reichsmark waren legendär und ein Publikumsmagnet in Dortmund. Sie führten vom Gutshof an der Wittbräucker Straße Richtung Wannebachtal und im weiten Bogen zurück. Alles, was in Reitsport und Pferdezucht Rang und Namen hatte, folgte der Einladung der Gutsfamilie Overweg zu diesem großen Ereignis.

Inzwischen sind sowohl diese gesellschaftlichen Höhepunkte als auch das Gut Reichsmark in Dortmund weitgehend in Vergessenheit geraten. Im fernen Argentinien hingegen war das Anwesen kürzlich noch Gegenstand eines Radio-Interviews. Bei dem Gespräch mit dem Tourismus-Direktor der Sierra de la Ventana, Sergio Marto, ging es unter anderem um die Estancia Reichsmark II, eine große Farm, welche die letzte Besitzerin des Dortmunder Gutshofs, Jutta Overweg, südöstlich von Buenos Aires aufgebaut hatte.

Ein altes Foto zeigt Menschen, Hunde und Pferde bei der Reitjagd in Dortmund-Syburg.
1955 begleitete eine Hundemeute die traditionelle Reitjagd. Das Haus im Hintergrund steht noch heute. Es ist auf dem aktuellen Bild oben zu erkennen. © Archiv Schulte

Rinder- und Pferdezucht

Bis 1982 züchtete sie dort sehr erfolgreich Rinder und Pferde. Dann ging sie ihrer zweiten großen Leidenschaft nach: der Oper. Jutta Overweg zog nach Buenos Aires, wo sie 30 Jahre lang als PR-Managerin für das Teatro Colón, das bedeutendste Opernhaus Lateinamerikas, arbeitete und sich mit vielen Stars anfreundete.

Das geschwungene schmiedeeiserne „R“, das sie vom stattlichen Einfahrtstor des Guts Reichsmark an der Wittbräucker Straße mitgenommen hatte, schmückte weiterhin die Estancia Reichsmark II nahe der Stadt Tornquist.

Im Dortmunder Süden aber verfallen auch die letzten Hinweise auf den ehemaligen prachtvollen Hof, den die großen Reitjagden alljährlich zum Anziehungspunkt für Reiter-Prominenz und Tausende Zuschauer machten. Heute erstreckt sich dort der Syburger Golfplatz, den der renommierte Golfplatzarchitekt Dr. Bernhard von Limburger ab 1956 entworfen hat.

Einflussreiche Familie

Die Historie des bedeutungsvollen Anwesens und der Gutsfamilie Overweg mit ihren hochkarätigen Verbindungen in die Politik und zur Syburger Gemeinde hat der Dortmunder Klaus-Peter Schulte zusammengetragen. Er besitzt eine große Sammlung an historischen Fotos, Dokumenten und hat unzählige Schilderungen von Zeitzeugen dokumentiert.

Durch ihn ist auch der weitere Lebensweg der letzten Gutsbesitzerin Jutta Overweg-Wahnschaffe spätere Ohlsson, bekannt, die 1959 nach Argentinien auswanderte und dort 2015 mit 87 Jahren nach einem äußerst bewegten Leben starb.

Reiter zu Pferd stehen auf dem Gut Reichsmark in Dortmund-Syburg.
Alles, was Rang und Namen hatte, fand sich auf dem Gutsgelände ein. © Archiv Schulte

Jutta Overweg hatte die Immobilien in der Syburger Reichsmark geerbt und mitsamt Ländereien zunächst verpachtet und später an die Stadt Dortmund verkauft. Nur ein Stück des ehemaligen Parks behielt sie und ließ dort für sich und ihre Mutter ein großzügiges Haus bauen.

1964/65 wurden alle Hofgebäude mitsamt dem prachtvollen Herrenhaus, Wirtschaftshof, Ställen, Mühle und Brennerei von der Stadt Dortmund abgerissen. Bis auf das Einfahrtstor und eine Umfriedung aus Sandstein ist nichts geblieben von dem einstigen Herrschaftssitz.

Reiter zu Pferd stehen nach der Reitjagd nebeneinander.
Jutta Overweg (l., mit Blumen) 1955 nach der Reitjagd. © Archiv Schulte

Wer sich auskennt, findet aber dennoch Hinweise auf das Gut und seine Vergangenheit. Von der Wittbräucker Straße aus führt eine Allee aus Bergahornbäumen Richtung Wannebachtal. Sie ist nicht mehr vollständig und durch den Elektrozaun des Golfplatzes beeinträchtigt, aber dennoch gut zu erkennen.

Die gesetzlich geschützte Allee ist offiziell in das Alleenkataster NRW eingetragen. Klaus-Peter Schulte bemüht sich seit Ende 2020 um die Aufnahme in das Verzeichnis der Naturdenkmäler der Stadt Dortmund und die Schließung der Baumlücken mittels einer Spende.

Geschützte Bergahorn-Allee

Genau diese Allee spielte auch bei den traditionellen Reitjagden auf dem Gut eine wichtige Rolle. 27 solcher Reitwettbewerbe veranstaltete die Gutsfamilie auf der Reichsmark, hat Klaus-Peter Schulte recherchiert.

Die Reiterinnen und Reiter stürmten in schmucken, schwarzen und roten Röcken und ab 1955 mit voran preschender Hundemeute durch die Allee hinunter durch die „Wanne“ und zurück über den „Sonnenweg des Südens“ zum Gut Reichsmark.

Reiter beim Einreiten für die Reitjagd auf dem Gut Reichsmark in Dortmund-Syburg.
Unterhalb der Wirtschaftsgebäude wurde ein riesiges Zelt für die Reiter aufgebaut. Davor - dort, wo heute der Anderson Kurzplatz ist - ritten sie sich ein. Vor den Augen Tausender Zuschauer. © Archiv Schulte

Tausende Zuschauer verfolgten das Spektakel, obwohl es sich eigentlich um eine private Veranstaltung handelte. Fotos dokumentieren, wie die Bürger in dichten Reihen Felder und Gelände säumen, um die Reiterjagd und das anschließende Fuchsschwanzgreifen, bei dem die Trophäe einem Vorausreitenden abgerissen werden musste, zu verfolgen.

3.500 Zaungäste hatten sich 1955 für das Spektakel eingefunden, berichtete eine Dortmunder Tageszeitung. Und auch bei den Reitern war die Beliebtheit der Jagd im Dortmunder Süden so groß, dass Jutta Overweg ein riesengroßes Zelt aufbauen ließ, um alle unterzubringen.

Ein altes Foto zeigt Reiter, Hunde und Menschen auf dem Gut Reichsmark in Dortmund-Syburg.
Hundemeute und Reiter versammelten sich auf dem Hofgelände. Im Hintergrund sind Wirtschaftsgebäude und der Schornstein der Brennerei zu sehen. © Archiv Schulte

Sie selbst gehörte zu den besten Reiterinnen der Region. Nach Eröffnung der neuen Westfalenhalle 1952 ritt sie im Vorprogramm der internationalen Springreitturniere mit und freundete sich bei internationalen Turnieren in Aachen, Hamburg und Dortmund mit bekannten Springreitern an. Viele von ihnen besuchten sie im Herrenhaus und später in ihrer neuen Villa im alten Gutspark.

Legendäre Anekdoten

Jutta Overwegs Eskapaden waren legendär. Schon als junges Mädchen fiel sie durch Selbstbewusstsein und Eigensinnigkeit auf, wie Klaus-Peter Schulte anhand der Erzählungen von Zeitzeugen und Jutta Overwegs Aufzeichnungen festgehalten hat. Viele Anekdoten sind eng mit ihrer Leidenschaft für Pferde verbunden, die sie von klein an auszeichnete.

So ritt Jutta als Kind mit ihrem ersten Pferd Hopsa zur Schule nach Schwerte. Sie band es dort in einem Unterstand fest, wo sie es aus dem Klassenraum sehen konnte. So trug es sich zu, dass Jutta mitten im Unterricht ihre Sachen zusammenpackte und sagte: „Fräulein Lehrerin, ich muss los, mein Pferd wird unruhig.“

Zu sehen sind Tor und Einfahrt zur ehemaligen Estancia Reichsmark II in Argentinien.
Noch heute schmückt eine Reiterfigur die Einfahrt zur ehemaligen Estancia Reichsmark II in Argentinien. © Archiv Schulte

Mitte der 50er-Jahre ritt Jutta zu Silvester im Kostüm auf ihrem Lieblingspferd Freiheit über die Tanzfläche des besten Restaurants auf der Hohensyburg. Sie überraschte die Silvestergäste mit kleinen Ferkeln als Glücksbringer, die daraufhin im Restaurant unter lautem Gelächter der Partygesellschaft zwischen Stühlen und Tischen herumwuselten.

„Im Grunde hat Jutta Overweg vorweggenommen, was Bianca Jagger 20 Jahre später im Mai 1977 im legendären New Yorker Nachtclub Studio 54 berühmt machte“, sagt Biograph Klaus-Peter Schulte. „Jutta hatte zeitlebens solche verrückten und amüsanten Ideen.“

Schillernde Persönlichkeit

Die geliebte Stute Freiheit – später spanisch Libertad – holte Jutta Overweg Anfang der 60er-Jahre per Schiff nach Tornquist auf ihre Estancia Reichsmark II. Mit ihr legte sie den Grundstein für die vielfach preisgekrönte Pferdezucht in Argentinien. Auch dort machte sie ihrem Ruf als schillernde Persönlichkeit alle Ehre. So kommt es, dass ein argentinischer Radiosender einen Bericht unserer Redaktion zum Anlass nahm, über Jutta Overwegs faszinierende Geschichte zwischen Pferdesport und Opernhaus zu berichten.

Das Radio-Interview bewarb der Sender mit einem Zeitungsausschnitt aus den Ruhr Nachrichten, in dem es um die Verbindung der Familie Overweg mit Syburg und der Alten Kirche St. Peter ging. Tourismus-Direktor Sergio Marto, mit dem der Dortmunder Klaus-Peter Schulte in Kontakt steht, berichtet über die „illustre Persönlichkeit in der Geschichte beider Länder“.

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