Die aktuellen Grundsteuerbescheide sorgen besonders im Dortmunder Süden für viel Ärger und auch Existenzängste. Bei vielen Menschen ist vermutlich der Blutdruck nach dem Gang zum Briefkasten direkt mal nach oben geschnellt angesichts der teils exorbitant angestiegenen Summe, die es zu zahlen gilt. Reinhard Kilmer ist Steuerexperte und betreut drei Klienten Auf dem Höchsten, die Grundstücke liegen an der Obermarkstraße und an der Höchstener Straße. Ergebnisse der Bescheide: Erhöhungen zwischen 252 und 379 Prozentpunkten.
Dass die südlichen Stadtteile so häufig betroffen sind, liegt an Struktur und Geschichte des Dortmunder Stadtrandgebiets: So manch einer wohnt in Häusern, die hier oft seit Jahrzehnten stehen, auf oftmals großen Grundstücken; in vielen Fällen waren es ehemals landwirtschaftliche Höfe. Durch die Grundsteuerreform haben unbebaute Grundstücke mit Grünland stark an Wert gewonnen, weil sie unbebaut sind und damit als Nicht-Wohngrundstücke gewertet werden.
Gleichzeitig sind die Grundstücke oft Landschaftsschutzgebiete und damit gar nicht bebaubar oder nicht erschließbar – und sind damit für die Eigentümer zwar schön, aber finanziell eigentlich eher wertlos: Für so ein Grundstück finden sich keine Käufer. So ein Grundstück besitzt auch Lothar Marquard. Er ist auf dem Sommerberg zu Hause und soll jetzt statt 219 Euro 833 Euro zahlen.

Das Haus der Familie Marquard liegt nahe der Ecke Höchstener Straße/Hamsterweg: das Haus an der Straße, dahinter ein langer Schlauch von Grundstück entlang der Bebauung am Hamsterweg – kein Bauland, kein Zugang, keine andere Nutzung als Garten. Dennoch: Der neue Grundsteuerbescheid für die Marquards beläuft sich auf 833 Euro statt bisher 219 Euro. „Völlig daneben“ sei das, sagt Reinhard Kilmer. Im Grunde zwinge einen das Finanzamt, einen Gutachter zu bestellen, um zu beweisen, dass das so nicht stimmen kann. „Das System stimmt nicht, die Berechnungsgrundlage ist einfach falsch“, sagt Kilmer. Er hat für seinen Mandaten Widerspruch eingelegt; von dem Zwang zu zahlen, befreit es ihn indes nicht.
Und das, obwohl, so schätzt es Kilmer ein, die Rechtsgrundlage fehle, weil der Bundesfinanzhof längst „erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide“ geäußert habe. Kilmer rechnet damit, dass es Jahre dauern wird, bis das alles vor Gericht letztlich geklärt sei. Parallel sei die Stadt aber gezwungen, Steuern zu erheben, seien die Finanzämter längst am Limit und bei all’ dem gehe die Akzeptanz der Bürger den Bach runter.
Der „Fall Marquard“ ist typisch für den Dortmunder Süden: Mit den neuen Steuerbescheiden hadern vor allem Besitzer von viel unbebautem Grünland. Nach der Entscheidung durch den Stadtrat im Dezember, die Hebesätze zwischen Wohnen und Gewerbe zu splitten, stieg der Hebesatz für Nicht-Wohngrundstücke auf 1245 Prozent; der Hebesatz für Wohnen auf 625 Prozent. Nun müssen die Eigentümer für ihr Grünland einen anderen Hebesatz zahlen als für ihre bebauten Grundstücke: Statt dem Hebesatz von 625 Prozent wird mit dem Hebesatz von 1245 Prozent gerechnet. Dieser ist eigentlich vor allem für Gewerbeimmobilien vorgesehen, gilt aber für alle Nicht-Wohngrundstücke. Des Pudels Kern: Im Gesetz sei lediglich die Rede von unbebauten Grundstücken; dabei werde nicht unterschieden zwischen Landschaftsschutzgebieten, nicht bebaubaren Gärten und bebaubaren Grundstücken, alle Grundstücke werden gleichbehandelt, sagt Dennis Soldmann, einer der Geschäftsführer bei Haus & Grund in Dortmund. Wer viel Grünland besitzt, auch wenn es gar nicht bebaubar ist, muss den höheren Hebesatz zahlen.
„Der Mann müsste verkaufen“
Manche können das aber nicht. Kilmer: „Einer meiner anderen Mandanten besitzt ein mehr als 3000 Quadratmeter großes Grundstück. Es handelt sich dabei um einen ehemaligen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb, der von seinem Vater vererbt wurde.“ Die bisherige Grundsteuer von 200 Euro jährlich würde bei der Anwendung der neuen Gesetzesregelung auf über 1.000 Euro ansteigen, sagt Kilmer. Das sei aber für den Rentner nicht zu finanzieren: „Das kann der Mann nicht bezahlen, er müsste verkaufen“.
Was den Steuerexperten ärgert: In insgesamt drei Fällen lägen dem Finanzamt Dortmund-Hörde Anträge auf „Aussetzung der Vollziehung der angegriffenen Bescheide seit mehr als sechs Monaten“ vor. Der Steuerexperte sagt: „Durch die Nichtbearbeitung der Anträge wird die in der Abgabenordnung festgelegte Rechtsnorm unterlaufen und ad absurdum geführt“. Vereinfacht gesagt bedeute dies, so Killmer, dass die Steuern oder einen Teil der Steuern vorerst nicht gezahlt werden müssten, denn: „Eine Aussetzung der Vollziehung kann gewährt werden, wenn zumindest die Möglichkeit besteht, dass Ihre Steuern aufgrund Ihres Einspruchs nachträglich niedriger festgesetzt werden“, erklärt Kilmer.
Viele Betroffene aus dem Dortmunder Süden haben inzwischen Einspruch eingelegt. Allerdings: Auf Antwort vom Finanzamt warten viele, aber eben vergeblich: Weder wird dem Einspruch stattgegeben, noch gibt es einen ablehnenden Bescheid. Deswegen können sie nicht klagen.
Gerichtsurteil 2018
Ausgangspunkt des aktuellen Schlamassels: 2018 erklärte das Bundesverfassungsgericht die bisherige Berechnungsmethode für verfassungswidrig, da die zugrunde liegenden Einheitswerte veraltet waren. Dies führte zu einer umfassenden Reform, die ab dem 1. Januar 2025 in Kraft trat. Die neue Regelung sieht vor, dass rund 36 Millionen Grundstücke neu bewertet werden mussten.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien erstmals am 19. Februar 2025.
Grundsteuerbescheide sorgen für Existenzängste: Eigentümer im Dortmunder Süden extrem betroffen