Nadja Reigl will Cannabis Club in Dortmund gründen „Niemand soll auf Dealer angewiesen sein“

Nadja Reigl will Cannabis Club in Dortmund gründen
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Wie stellen Sie sich einen typischen Kiffer vor? Vielleicht mit Dreadlocks oder Basecap. Mit Schlabber-Jeans und müden Augen. Ohne geregelte Arbeit und viel Zeit zum Chillen. Na klar, den gibt es.

Nadja Reigl, Dortmunds bekannteste Cannabis-Aktivistin, ist ein Gegenentwurf. Ihre blauen Augen sind wach. Beim Treffen auf einen Eiscafé in der City trägt sie ein weißes Hemd, darunter ein schwarzes Oberteil und dazu einen roten Rock, der zu ihrer Haarfarbe passt. Sie ist 45 Jahre alt. Als sie zum ersten Mal gekifft hat, war sie 21 oder 22. Ganz genau weiß sie es nicht mehr.

Sie mag die Kiffer-Klischees nicht, weil sie nicht die Realität abbilden. „Die meisten Menschen, die Cannabis konsumieren, führen ein ganz normales Leben, stehen morgens pünktlich auf und gehen zur Arbeit. Abends rauchen sie dann vielleicht mal einen Joint“, sagt die Dortmunderin. Das Bild vom Taugenichts, der nur bekifft abhängt und Videospiele zockt, statt zu arbeiten. Das sei einfach Quatsch.

Nadja Reigl ist alleinerziehende Mutter von zwei Teenagern. Sie lebt mit ihrem Sohn (15) und ihrer Tochter (17) in Wickede. Früher war sie Dortmunder Ratsmitglied für die Piratenpartei. Inzwischen ist sie parteilos und arbeitet als Geschäftsführerin der Stadtratsfraktion von der Satire-Partei Die Partei. Das heißt: viel Büroarbeit und Terminkoordinierung für die Politiker.

Cannabis-Demo seit 2013

Die Dortmunderin kifft regelmäßig, Alkohol trinkt sie selten. Mit beiden Drogen beziehungsweise Genussmitteln kam sie schon als Teenagerin in Kontakt. „Ich hatte damals einen Freundeskreis, in dem nicht alle ein intaktes Elternhaus hatten. Saufen und Kiffen war da normal.“ Für Nadja Reigl aber nicht. Sie, das Kind aus gutem Hause, hielt sich zurück. Sie stellte aber fest: Wenn ihre Freunde betrunken waren, bauten sie Mist. Wenn sie bekifft waren, waren sie entspannt.

„Ich habe schon damals nicht verstanden, warum man Cannabis verbietet“, sagt sie. Trotzdem wartete sie noch Jahre, bis sie Marihuana probierte. Aus Rücksicht aufs Gehirn. Denn der Konsum kann bei jungen Menschen zu negativen Veränderungen führen. „Als ich dann Cannabis probiert habe, habe ich noch weniger verstanden, warum es verboten ist“, sagt Nadja Reigl.

Schon vorher hatte sie begonnen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und wurde so zur Cannabis-Befürworterin vor ihrem ersten Joint. „Ich habe mit schon mit 20 Jahren alle möglichen Leute damit zugetextet“, sagt sie und lacht.

Seit 2013 ist ihr Cannabis-Aktivismus in Dortmund weithin bekannt. Vor zehn Jahren organisierte Nadja Reigl den ersten „Global Marijuana March“ in der Stadt und war damit eine Vorreiterin in NRW. Die Cannabis-Demo setzt sich für die Legalisierung in Deutschland ein.

Kritik an Gesetzentwurf

Die steht bald vor der Tür. Oder auch nicht, wenn man Nadja Reigl fragt. „Das ist doch keine Legalisierung“, sagt sie über den 184-seitigen Gesetzentwurf der Bundesregierung, der im kommenden Jahr umgesetzt werden soll.

Geplant sind unter anderem Cannabis Clubs beziehungsweise Anbauvereinigungen als eingetragene Vereine, in denen Privatleute selbst Cannabis anbauen und an die Mitglieder abgeben können.

Nadja Reigl möchte einen solchen Cannabis Club in Dortmund gründen. „Irgendwer muss es ja machen“, sagt sie über ihre Beweggründe. Sie möchte selbst mit Marihuana versorgt sein. Und sie findet: „Niemand sollte auf Dealer und den Schwarzmarkt angewesen sein.“

Nadja Reigl organisiert seit zehn Jahren den Global Marijuana March in Dortmund. Die Aufnahme entstand in diesem Mai.
Nadja Reigl organisiert seit zehn Jahren den Global Marijuana March in Dortmund. Die Aufnahme entstand in diesem Mai. © Schaper (Archiv)

Gleichzeitig spart sie nicht mit Kritik an dem Gesetzentwurf. Je mehr sie sich damit beschäftige, desto eher halte sie es für unmöglich, einen Cannabis Club zu betreiben. Beispiel: der Mindestabstand zu Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen oder Kinderspielplätzen muss 200 Meter betragen. Nadja Reigl sagt, dass der Betrieb eines Cannabis Clubs unter diesen Voraussetzungen innerstädtisch kaum möglich sei.

Zudem seien die Auflagen für Anbau, Transport und Abgabe so streng, dass enorme Kosten auf Betreiber zukommen. „Die Finanzierung ist das größte Problem“, sagt sie.

Nadja Reigl versteht auch nicht, dass der Anbau nur indoor erlaubt sein soll. Das verursache hohe Stromkosten und sei aus ökologischer Sicht widersinnig. Ihr Urteil: „Ich finde das ganze Konzept absurd. Das ist viel zu professionalisiert und aufwendig für normale Leute.“

Konsum im Cannabis Club

Der Deutsche Hanfverband, der sich für die Legalisierung von Cannabis stark macht, rät derzeit von Club-Gründungen ab. Ein Sprecher moniert mit Blick auf den Gesetzentwurf „zu viele Unsicherheiten“.

Nadja Reigl hofft, dass der Entwurf noch geändert und letztlich eine andere Fassung beschlossen wird. Sie wünscht sich zum Beispiel auch, dass der Konsum im Cannabis Club erlaubt wird, was derzeit nicht vorgesehen ist. Reigl fehlt dabei die soziale Komponente.

Außerdem findet sie, dass es auch Fachgeschäfte geben solle, die Cannabisprodukte verkaufen - und zwar nicht nur Cannabis-Blüten und Haschisch, sondern auch sogenannte Edibles. Das sind Lebensmittel, die das berauschende THC enthalten. Die Bundesregierung will keine Edibles erlauben.

Trotz ihrer Bedenken sagt Nadja Reigl über den Legalisierungs-Verstoß der Ampel-Koalition: „Es ist schön, dass es sich etwas bewegt hat. Gerade, wenn man sich seit zehn Jahren dafür engagiert und sieht, dass das etwas bringt.“

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