Gegen Preissteigerungen
Demo-Aufruf mit Linksextremisten: „Wir unterscheiden, wer momentan gegen den Staat hetzt“
In Dortmund protestierten am Dienstag (4.10.) Gewerkschaften, Sozialforum, die Linke und andere demokratische Organisationen gegen die Energiepolitik. Es lässt aufhorchen, mit wem Verdi und Co. gemeinsam aufriefen.
Genug ist genug! Unter dieser Parole ruft ein Dortmunder Bündnis zu Protesten gegen die Preissteigerungen in der Energiekrise auf. Julian Koll, Verdi-Vertrauensmann und Mitbegründer des Bündnisses, spricht von einem „breiten Bündnis“, das erstmals für Dienstag (4.10.) 18 Uhr am Platz der Deutschen Einheit, unterhalb der Katharinentreppe gegenüber vom Hauptbahnhof zur Demo aufrief. Zum angekündigten Beginn hatten sich dort gegen 18 Uhr rund 120 Menschen eingefunden - bedeutend weniger als die 500 angemeldeten Teilnehmer.
Kurz nach dem angekündigten Demobeginn am 4.10., um 18.15 Uhr, war die Teilnehmerzahl überschaubar, einige Dutzend Menschen hatten sich eingefunden. © Thiel
Gemeint ist eher ein breites linkes Bündnis - bis hin zu Kommunisten. Laut Koll gehören dem Bündnis bislang die Gewerkschaften Verdi, IG BAU und junge IG BAU, die Partei Die Linke sowie die Organisationen Dortmunder Sozialforum, Gemeinsam gegen Preiserhöhungen, Linksjugend, Sozialistische Organisation Solidarität (SOL), Revolution an - und die linksextreme Partei DKP.
Vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft
Das Bundesamt für Verfassungsschutz bewertet die Bestrebungen der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) in seinem Bericht für das Jahr 2020 als linksextremistisch, da sie für eine „Abschaffung des demokratischen Verfassungsstaates“ eintrete.
Wie stellen sich die Akteure dazu, dass sie gemeinsam mit einer als verfassungsfeindlich eingestuften Partei auf die Straße gehen? Die Linke grenze sich von Extremismus jedweder Art ab, erklärte Christian Seyda, Kreissprecher von Die Linke Dortmund auf Anfrage. Die Demo sei ein demokratischer Akt, auch wenn das Bündnis „für manche schwer auszuhalten“ sei.
Im Vorfeld der Demo sei nicht „konkret diskutiert worden, wer Teil des Bündnisses ist“, so Seyda, „doch wenn die Gewerkschaft dabei ist, sind wir auch dabei.“ Zudem hege er die Hoffnung, „dass durch die Mehrheitsverhältnisse deutlich wird, wer sich hintendran gehängt hat.“
Schwerpunkt auf Gewerkschaftsseite
Betreiber der Demonstration seien „grundsätzlich andere als die DKP“, betonte auch Björn Wißuwa, Regionalleiter Westfalen der Gewerkschaft IG Bau. „Wir sehen den Schwerpunkt auf der Gewerkschaftsseite, also bei ver.di und bei uns. Wir unterscheiden auch für uns, wer momentan gegen den Staat hetzt, und das kommt für uns aus der rechten Richtung.“
IG-Bau-Vorsitzender Björn Wißuwa. © IG Bau Westfalen
Die Frage der DKP als Mitveranstalter diskutiere man auch intern, sagte Wißuwa: „Wir nehmen unseren demokratischen Auftrag sehr ernst, sehen uns aber tagtäglich mit den Sorgen der nicht ausschließlich prekär Beschäftigten konfrontiert. Dort liegt unsere Priorität auf dem Boden der Demokratie. Verfassungsfeindliche Tendenzen werden wir nicht zulassen. Da sind wir sehr klar.“
Heiko Holtgrave vom Zusammenschluss Sozialforum Dortmund führte aus, das Sozialforum habe „all die Jahre gute Erfahrungen mit der DKP gemacht. Nach so vielen Jahren vertrauensvoller Zusammenarbeit, sehe ich keinen Grund davon abzusehen. Das sind aktive Mitstreiter, die ich zum Teil sehr schätze. Als Sozialforum haben wir kein Problem, mit denen zur Demo aufzurufen.“
Grenze zum Linksextremismus teilweise fließend
Für eine Bewertung zum gemeinsamen Auftreten mit der DKP waren die Gewerkschaft Verdi und weitere Initiativen telefonisch bis zum Redaktionsschluss dieses Textes (4.10., 18 Uhr) nicht zu erreichen. Wir haben darüber hinaus per E-Mail angefragt. Die Mails blieben ebenfalls unbeantwortet.
Um eine Stellungnahme gebeten war auch der Dortmunder SPD-Bundestagsabgeordnete und Dortmunder SPD-Chef Jens Peick, selbst Verdi-Mitglied und früher Bezirksvorstand sowie Vertreter der Ampelregierung, gegen die sich der Protest richtet. Peick ließ über sein Berliner Abgeordnetenbüro ausrichten, dass er dafür heute keine Zeit finde – zu viele Termine.
Die Abgrenzung der Demo-Veranstalter zum Linksextremismus ist teilweise fließend. So bezeichnet sich die Dortmunder Ortsgruppe der Sozialistischen Organisation Solidarität (SOL), die zu den Mitveranstaltern gehört, als Teil der weltweiten sozialistischen Organisation Komitee für eine Arbeiterinternationale. Ziel sei der weltweite Aufbau sozialistischer Massenorganisationen, die dafür sorgen könnten, „den Kapitalismus durch Massenbewegungen zu stürzen und durch eine sozialistische Demokratie zu ersetzen“.
Anders die Initiative Care-Revolution Dortmund als Teil der bundesweiten Care-Revolution-Bewegung. Die Akteure kommen nach eigener Aussage aus sozialen Berufen. Gemeinsam ist ihnen der Kampf gegen Lücken in der öffentlichen Daseinsvorsorge, die zum Beispiel in Pflegeberufen zu Überforderung und Zeitmangel führen.
Die Initiative „Gemeinsam gegen Preiserhöhungen“ kommt aus dem „Offenen Zentrum“ in der Nordstadt. Das Offene Zentrum versteht sich neben dem Treffpunkt für Einzelpersonen, Initiativen, Vereine, Parteien und Verbände auch als politischer Raum gegen Unterdrückung und Diskriminierung, für nachhaltigeres Leben und ein friedliches Miteinander.
Verdi-Vertrauensmann Julian Koll, selbst Mitglied der demokratisch gewählten Partei „Die Linke“, begründet in der Presseerklärung die Demo so: „Wegen der Preissteigerungen wissen viele Menschen einfach nicht mehr weiter. Bisher sollen die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen die Energiekrise ausbaden. Aber nicht mit uns! Wir wollen der unsozialen Politik der Ampelregierung etwas entgegensetzen.“
Weitere Kundgebungen geplant
Das von der Bundesregierung angekündigte Entlastungspaket sei nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Jeder sei eingeladen, zu der Kundgebung zu kommen, und sei es, um sich erst einmal zu informieren.
„Wir fordern: Runter mit den Preisen, rauf mit den Löhnen und Sozialleistungen“, so der Verdi-Vertrauensmann. An den beiden folgenden Dienstagen (11. Oktober und 18. Oktober) soll es weitere Kundgebungen geben. Bei guter Resonanz sei ein Demozug für Dienstag (25.10.) geplant.
Einige Forderungen schon überholt
Durch die Entwicklung in Berlin sind allerdings einige Forderungen des Bündnisses bereits überholt, wie der Wegfall der Gasumlage und die Forderung nach einem Gas- und Energiepreisdeckel. Genau das hat die Regierung inzwischen angekündigt.
Weitere Forderungen der Demonstrierenden sind ein armutsfester Mindestlohn, das Abschöpfen von Krisengewinnen, höhere Besteuerung von Gewinnen und Vermögen, das Einführen einer Finanztransaktionssteuer und die Wiedereinführung des 9-Euro-Tickets.
Vielen Dank für Ihr Interesse an einem Artikel unseres Premium-Angebots. Bitte registrieren Sie sich kurz kostenfrei, um ihn vollständig lesen zu können.
Jetzt kostenfrei registrieren
Einfach Zugang freischalten und weiterlesen
Werden auch Sie RN+ Mitglied!
Entdecken Sie jetzt das Abo, das zu Ihnen passt. Jederzeit kündbar. Inklusive Newsletter.
Bitte bestätigen Sie Ihre Registrierung
Bitte bestätigen Sie Ihre Registrierung durch Klick auf den Link in der E-Mail, um weiterlesen zu können.
Prüfen Sie ggf. auch Ihren Spam-Ordner.
Einfach Zugang freischalten und weiterlesen
Werden auch Sie RN+ Mitglied!
Entdecken Sie jetzt das Abo, das zu Ihnen passt. Jederzeit kündbar. Inklusive Newsletter.