Wird Dortmunder Natur zur Gewerbefläche? Zoff um Landschaftsschutzgebiet

Neue Gewerbeflächen: Tauschidee der Wirtschaftsförderer stößt auf Kritik
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Äcker, Weiden und Baum-Haine, prägen die wellenförmige Landschaft, in der verstreut einige wenige Wohnhäuser und alte Bauernhöfe liegen. Wäre da nicht das Band der B236 und das Kohlekraftwerk in Lünen im Hintergrund, könnte man sich im tiefsten Münsterland wähnen. Doch der grünen Idylle droht Ungemach. Denn die städtischen Wirtschaftsförderer haben ein Auge auf das ländliche Areal an der Stadtgrenze zu Lünen geworfen.

Mal wieder könnte man sagen. Denn die Brechtener Niederung tauchte schon mehrfach in Überlegungen der Gewerbeplaner auf. Jetzt gibt es einen neuen Vorstoß, der gleich für heftige Reaktionen vor Ort gesorgt hat.

Die Planspiele der Wirtschaftsförderer haben einen ernsten Hintergrund: Der Stadt gehen die Gewerbeflächen aus. In ihrer Analyse, die zur nächsten Sitzung des Wirtschaftsförderungsausschusses am 6. März eingebracht wird, freuen sich die Wirtschaftsförderer erst einmal über eine positive wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre. Die Wirtschaftsleistung und die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sind in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen.

Die positive Entwicklung hat aber auch ihre Kehrseite. Denn die Flächen für die Ansiedlung neuer Betriebe oder die Ausweitung bestehender werden knapp. Aktuell seien rund 148 Hektar an Gewerbe- und Industrieflächen planerisch gesichert, davon aber lediglich 33 Hektar an vorwiegend kleinteiligen Flächen kurzfristig und ohne Einschränkungen verfügbar. Diese seien bereits weitgehend verkauft oder reserviert, berichten die Wirtschaftsförderer in der Vorlage an die Politik.

Luftbild des Industrie-Areals Phoenix-West in Dortmund.
Nur noch wenig Platz für Neuansiedlungen ist in Gewerbegebieten auf früheren Industrie-Arealen in Dortmund wie hier auf Phoenix-West. © Blossey

Sie haben einen Bedarf an gewerblich industriellen Flächen von 13,14 Hektar Netto-Bauland pro Jahr ermittelt. Dieser Bedarf könne aber nur noch innerhalb der nächsten zwei Jahre gedeckt werden. „Die Wirtschaftsflächen auf dem Dortmunder Stadtgebiet sind weitgehend erschöpft. Bereits heute kann den Flächenanfragen der hiesigen expandieren Unternehmen nicht mehr nachgekommen werden“, heißt es in der Vorlage. „Auch eine Ansiedlung auswärtiger Unternehmen im Sinne einer konsequenten Weiterentwicklung des Strukturwandels ist zurzeit nicht möglich.“ Es drohe sogar die Abwanderung von expandierenden Dortmunder Unternehmen, weil Ihnen keine adäquaten Flächen zur Verfügung gestellt werden könnten.

Das Fazit der Wirtschaftsförderer: „Um die erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung der letzten Dekade nicht zu bremsen, ist es mittel- und langfristig notwendig, systematisch neue gewerbliche Bauflächen zu entwickeln.“

Freiflächen im Blick

Eine Möglichkeit ist die Weiterentwicklung von bestehenden Gewerbegebieten, deren Flächen besser ausgenutzt werden sollen. Aber die Wirtschaftsförderung nimmt auch neue Flächen in den Blick. Und weil die Reaktivierung früherer Industrie-Areale wie etwa Phoenix oder Westfalenhütte weitgehend abgeschlossen ist, geht es dabei auch ins Freiland.

Nicht zum ersten Mal: Schon mehrfach wurde heftig über geplante Gewerbegebiete auf Landwirtschaftsflächen wie am Buddenacker in Asseln oder am Osterschleppweg in Wickede gestritten. „Die Entwicklung des Buddenacker wird bereits seit nunmehr circa 30 Jahren geprüft und diskutiert“, merken die Wirtschaftsförderer in ihrem Papier an.

Brechtener Niederung als Dauerbrenner

Deshalb nehmen sie jetzt eine Alternative in den Blick: die Brechtener Niederung. Die landwirtschaftlich genutzten Flächen östlich des Dorfes Brechten bis zur B236 tauchen dabei nicht zum ersten Mal als mögliche Wirtschaftsflächen auf. Schon in den 1980er-Jahren gab es Überlegungen, hier Industrie anzusiedeln. Zuletzt wurde im Rahmen der Neuaufstellung des Flächennutzungsplans Anfang der 2000er-Jahre über ein Gewerbegebiet in der Brechtener Niederung nachgedacht.

Die Ausweisung eines interkommunalen Gewerbegebiets unter Einbeziehung von Flächen auf Lünener Seite westlich der B54 scheiterte 2003 an einem erfolgreichen Bürgerbegehren in Lünen und auch im Brechten gab es erheblichen Widerstand gegen Gewerbe in der Brechtener Niederung. Die Pläne wurden zu den Akten gelegt.

Luftbild des Brechtener Dorfkerns
Ländlich geprägt ist die Umgebung des Brechtener Dorfkerns. Östlich davon (im Bild links) soll nach dem Vorschlag der Wirtschaftsförderer Gewerbe angesiedelt werden. © Oskar Neubauer (Archiv)

Die Wirtschaftsförderung ficht das nicht an. Sie sieht die Brechtener Niederung in der aktuellen Vorlage als ein „potenzielles Entwicklungsgebiet“. „Die Fläche ist eines der größten zusammenhängenden Flächenpotenziale für eine gewerblich industrielle Entwicklung im gesamten Stadtraum“, heißt es. „Die Kombination aus Lage, Topographie und Größe von 85 Hektar trägt maßgeblich zur Wirtschaftlichkeit einer potenziellen Entwicklung bei.“

Ungewöhnliches Tauschgeschäft

Und die Wirtschaftsförderer schlagen einen ungewöhnlichen Tausch vor: Bei einer positiven Entwicklung der Fläche im Brechten könnten die beiden Flächen Buddenacker und Osterschleppweg zurückgenommen und als allgemeiner Freiraum und Agrarbereich festgelegt werden, heißt es. Sollte die Fläche in der Brechtener Niederung nicht entwickelt werden können, soll für Buddenacker, Osterschleppweg und Groppenbruch, die bereits im Regionalplan als mögliche Wirtschaftsflächen ausgewiesen sind, Planrecht geschaffen werden.

In einer Art Steckbrief für die Fläche in Brechten gibt es bereits eine erste Bewertung. Knapp 70 der 82,7 Hektar werden als „GI-tauglich“, also auch für industrielle Siedlungen geeignet, eingestuft. Ein Vorteil sei zudem die direkte Anbindung an die A2, die B54 und B236. Eher ein Nachteil ist freilich der sehr hohe Erschließungsaufwand, den die Wirtschaftsförderer für das Areal ausmachen. Und: Nur 4 Prozent der Fläche sind aktuell in städtischen Besitz. Insgesamt wird die Fläche als nur gering für Gewerbe geeignet eingestuft.

Farblich markierte Fläche zeigt die Dimension eines möglichen Gewerbegebiets in der Brechtener Niederung.
Die farblich markierte Fläche zeigt die Dimension eines möglichen Gewerbegebiets in der Brechtener Niederung. © Stadt Dortmund

Nur am Rande erwähnt ist in der Vorlage, dass das Areal ein wertvoller ökologischer Raum ist. Man sei sich bewusst, dass auch diese Fläche mit Restriktionen behaftet ist, heißt es lediglich. Tatsächlich ist die Brechtener Niederung im erst 2020 vom Rat verabschiedeten Landschaftsplan der Stadt als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen worden.

„Das Gebiet ist durch Baumreihen und -gruppen, Hecken und Kopfbäume, hofnahe Weiden, zum Teil Streuobstwiesen reich strukturiert. Hinzu kommen mehrere Tümpel, die als Laichgewässer für Amphibien dienen“, heißt es im Landschaftsplan. Flora, Fauna, Biotope und Landschaftsbild werden als schützenswert eingestuft. Ziel sei der Erhalt der bäuerlichen Struktur des Raumes, der Grünflächen und Streuobstwiesen und des „unzerschnittenen Verkehrsraumes“.

Straße in der Brechtener Niederung
Als reich strukturierte und schützenswerte Landschaft wird die Brechtener Niederung im Landschaftsplan bewertet. © Oliver Volmerich

Nicht zuletzt diese Aspekte rufen jetzt erneut Widerstand vor Ort gegen die Überlegungen der Wirtschaftsförderung hervor. Als erstes hat sich bereits die örtliche SPD mit scharfer Kritik zu Wort gemeldet. Die Planungen gehörten in den Mülleimer, wettert der Vorsitzende der Evinger SPD Martin Schmitz. „Der Vorschlag, diese Fläche zu entwickeln, lassen uns ernsthaft an der planungsrechtlichen Kompetenz der Wirtschaftsförderung zweifeln“, stellte er fest.

Gewachsene dörfliche Strukturen

Schmitz verweist auf die schutzwürdigen „kulturhistorisch gewachsenen dörflichen Strukturen mit Höfen und Hecken“, die Rolle als Frischluftschneise und den Biotopverbund der Landschaft mit gleich mehreren Naturschutzgebieten im Umfeld. „Die Menschen im Stadtteil Brechten sind bereits heute durch die Umweltbelastungen der A2, der B54 und der B236 belastet. Ein Gewerbegebiet wird zu noch mehr Verkehr, noch mehr Lärm und noch mehr Schadstoffen in der Luft führen“, merkt Schmitz an.

„Die Antwort auf den Flächenbedarf der Dortmunder Wirtschaft kann nicht eine Städtebaupolitik von gestern sein“, heißt es weiter. Nötig sei „eine intelligente und nachhaltige Stadt- und Wirtschaftsentwicklung, die innovative Wege geht und vorhandene Wirtschaftsflächen neu nutzt und weiterentwickelt. Die Wirtschaftsförderung macht es sich hier zu leicht.“

Schmitz verweist außerdem auf besonders schützenswerte Böden in der Brechtener Niederung. Ein Aspekt, der bislang auch die Gewerbeansiedlung am Buddenacker und am Osterschleppweg in Asseln und Wickede verhindert hat. Die dort aufgefundene Schwarzerde gilt als besonders wertvoll und schützenswert.

Wertvoller Boden am Buddenacker

Grundlage war ein Gutachten. Das wurde der Politik aber nie zur Verfügung gestellt, erinnert sich Elisabeth Vossebrecher, langjährige Vorsitzende der SPD-Fraktion in der Bezirksvertretung Brackel. Sie selbst habe in Erfahrung gebracht, dass der wertvolle Boden bei einer Ausweisung als Gewerbegebiet um das 14-fache ausgeglichen werden muss. Ein Umstand, der wohl mit dazu beitrug, die Pläne erst einmal nicht weiterzuverfolgen. „Jetzt überhaupt aus Umweltgründen noch über eine Nutzung nachzudenken ist wirklich fatal“, stellt Elisabeth Vossebrecher fest. Sie fordert bei einer neuerlichen Diskussion um Gewerbe am Buddenacker und am Osterschleppweg, dass die Gutachten öffentlich gemacht werden.

Elisabeth Vossebrecher und Rainer Kunkel verfolgen als ehemalige Bezirksvertreter die Diskussion über Gewerbe auf dem Buddenacker seit vielen Jahren.
Elisabeth Vossebrecher und Rainer Kunkel verfolgen als ehemalige Bezirksvertreter die Diskussion über Gewerbe auf dem Buddenacker seit vielen Jahren. © Oliver Volmerich

Generell dürfte der Vorstoß der Wirtschaftsförderer für heiße politische Diskussionen sorgen. Im März wird die Vorlage erst einmal in den Ausschuss für Wirtschaftsförderung eingebracht, bevor sie auf die Reise durch weitere Ausschüsse und die Bezirksvertretungen geht. Im Mai soll der Rat das Konzept beschließen. Ob es so weit kommt, ist unklar. Denn auch in anderen Parteien wundert man sich über die Vorschläge. Man habe jede Menge Fragen, die man jetzt zusammenstelle, erklärt Grünen-Fraktionssprecherin Katrin Lögering auf Anfrage.

Ein wenig Skepsis vor allem mit Blick auf die Brechtener Niederung klingt auch bei Udo Reppin als wirtschaftspolitischem Sprecher der CDU im Rat durch. Er verweist aber darauf, dass der Vorschlag erst einmal eingebracht und noch nichts beschlossen werde. „Es geht um eine Perspektive von 15 bis 20 Jahren“, sagt Reppin. Auch die örtliche CDU in Eving und Brechten will den Vorschlag der Wirtschaftsförderer gründlich diskutieren, kündigt die Vorsitzende Petra Frommeyer an. 2001 war man sich in der Evinger Bezirksvertretung bei der Ablehnung der Gewerbepläne für die Brechtener Niederung einig. Der Antrag, die damalige Vorlage der Verwaltung abzulehnen, kam von der CDU.

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