Von der Corona-Pandemie selbst nicht überrascht, aber von der Dimension: Dr. Frank Renken, Chef des Dortmunder Gesundheitsamtes. © Stephan Schütze
Ein Jahr Corona in Dortmund
Gesundheitsamts-Chef: „An solch eine Dimension hätte ich nicht gedacht“
Das Dortmunder Gesundheitsamt arbeitet wegen Corona seit einem Jahr im Krisenmodus. Jetzt gibt es bei der Pandemie-Bekämpfung eine Änderung der Strategie. Die soll mehr Sicherheit geben.
Die ersten Nachrichten aus China zum Jahreswechsel 2019/2020 waren für Dr. Frank Renken noch nicht besorgniserregend. Der Leiter des Dortmunder Gesundheitsamtes, seit gut 25 Jahren im Infektionsschutz tätig, hatte – wie andere vom Fach – das Thema virusbedingte Pandemie durchaus auf der Karte: „Die Idee, dass wir ein Virus bekommen, das mit höchster Wahrscheinlichkeit aus dem asiatischen Bereich kommt und die Fähigkeit hat, eine Pandemie auszulösen, begleitet uns seit Jahrzehnten quasi routinemäßig im öffentlichen Gesundheitsdienst.“
Der Verdacht, dass Corona zum Problem werden könnte, beschlich Renken erst, als er die ersten Bilder mit abgesperrten Straßen und Soldaten aus China sah.
Und dann am 27. Januar der erste Fall in Deutschland bei der Firma Webasto in Bayern. „Da wusste jeder aus der Szene, jetzt ist es da.“ Dass das Virus aber eine solche Dimension erreichen würde, sagt Renken, „da muss ich ehrlich sagen, nein, das hätte ich nicht gedacht.“
Als am 4. März 2020 die ersten beiden Fälle in Dortmund entdeckt wurden – ein Ehepaar, das von einer Reise aus einem Infektionsgebiet zurückgekehrt war – war das Gesundheitsamt vorbereitet. Renken: „Da hatten wir schon Krisenstabs-Sitzungen, innerhalb des Amtes Umstellungen vollzogen und uns Testmaterialien besorgt.“
Vom ersten Fall nicht überrascht
Der Amtsleiter selbst und auch Mitarbeiter waren bereits wiederholt für Test-Abstriche zu Bürgern nach Hause gefahren, die sich, von Reisen oder aus dem Skiurlaub zurückgekehrt, mit Erkältungssymptomen gemeldet hatten – bis dahin alle mit negativem Ergebnis. „Als wir dann tatsächlich den ersten Fall hatten, waren wir nicht überrascht“, berichtet der Dr. Frank Renken.
Seitdem hat er 400 Überstunden gemacht. Das Stammpersonal des Gesundheitsamtes kommt insgesamt auf 15.000 Überstunden. „Ich könnte jetzt zehn Leute ein Jahr nach Hause schicken.“
Sozusagen über Nacht ist Frank Renken zum wichtigsten Amtsleiter Dortmunds geworden. Er musste seine Behörde umorganisieren, die normalerweise einen ganzen Bauchladen von Aufgaben hat. Gesundheitshilfen wie zum Beispiel der sozialpsychiatrische Dienst oder die Ambulanz für nicht krankenversicherte Kinder wurden voll aufrechterhalten, doch andere Aufgaben zurückgestellt. Dazu zählten medizinische Begutachtungen und Schuleingangsuntersuchungen, von denen es nur noch ein paar Hundert gab. „Sonst machen wir 5000.“
Seit einem Jahr im Krisenmodus
Seit einem Jahr ist das Amt nun schon im Krisenmodus mit einer kurzen Verschnaufpause im Sommer. Seit Herbst geht es wieder vorwiegend um den Infektionsschutz. Normalerweise arbeiten 15 von insgesamt knapp 180 regulär Beschäftigen beim Dortmunder Gesundheitsamt in diesem Bereich, seit einem Jahr sind es durchgehend 100. Mit Verstärkung, unter anderem von bis zu 60 Bundeswehrsoldaten, waren in der Spitze 420 Menschen zur Pandemie-Bekämpfung eingesetzt, zurzeit sind es rund 250.
Drohungen von Corona-Leugnern hat das Amt in den vergangenen zwölf Monaten nicht bekommen, dafür aber mit Bezug auf das Informationsfreiheitsgesetz drei Seiten lange Fragenkataloge, heruntergeladen aus dem Internet. „Leute haben uns immer die gleichen Fragen gestellt. Das wird irgendwann auch langweilig, weil alle dieselben Antworten bekommen.“
Zudem habe es „schwachsinnige Aufrufe“ von Corona-Leugnern gegeben, Strafanzeige gegen das Gesundheitsamt zu erstatten, weil es kein Corona gebe und man deshalb auch keine Quarantäne aussprechen dürfe.
Vergleicht man Dortmund mit anderen Ruhrgebietsstädten wie Essen, Bochum, Hagen, Mühlheim und Oberhausen, steht die Stadt bei der Bekämpfung der Pandemie gut da. „Wir sind meistens im besseren Drittel und hatten meist die geringsten Inzidenzen“, so Renken.
Zahlendreher in Handynummern
Anders sieht der Vergleich zum Münsterland aus. Doch Großstädte wie Dortmund hätten immer den Nachteil der „schlechten Risiken“, erläutert Renken. Dazu zählten neben Verständnisschwierigkeiten mancher Bevölkerungsteile aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse auch prekäre Arbeitsverhältnisse, durch die sich Menschen gezwungen sähen, trotz Quarantäne arbeiten zu gehen mit der Folge, möglicherweise andere anzustecken.
Zudem machten falsche Mailadressen und Zahlendreher bei Handynummern es dem Amt schwer, positiv getestete Menschen zu erreichen, erst recht, wenn, wie ebenfalls vorgekommen, die angegebene Meldeadresse nicht stimmte.
In der ersten Infektionswelle stand Dortmund sogar bundesweit noch extrem gut da. Lediglich Leipzig und Dresden sowie einige Stadtbezirke von Berlin hätten einen niedrigeren Inzidenzwert gehabt, sagt der Amtsleiter: „Ich habe das darauf zurückgeführt, dass wir mit als erste eine eigene Teststelle hatten. Die hat uns einen entscheidenden Startvorteil gesichert.“
Aktive Fallfindung
Doch mit sämtlichen Verordnungen seit Jahresmitte habe sich dieser Vorteil schnell erledigt. Mit der Ausweitung der Testungen auf 450 Arztpraxen gab es keine einheitliche Diagnostik mehr. Bei unspezifischer Symptomatik kam es zu unterschiedlichen Entscheidungen, ob ein Test nötig ist oder nicht. Diese Einflussfaktoren haben die anfänglich erfolgreiche Test-Strategie geschwächt. Als Amt alle Bürger selbst zu testen, dazu fehlte und fehlt aber das Personal.
Doch die aktuelle 7-Tage-Inzidenz, die um die 60 liegt, verschafft dem Gesundheitsamt und den beteiligten Laboren Kapazitäten für eine Strategie-Ergänzung: die aktive Fallfindung. Sie verknüpft die Kontaktnachverfolgung zur Unterbrechung von Infektionsketten mit der Testinfrastruktur, die heute aus zwei Teststellen und mehreren mobilen Testteams besteht. Renken: „Das heißt, wir bieten in einer Familie oder Schulklasse, insbesondere in Gruppen, mehr Testungen an als bisher.“
Sobald Infektionsfälle entdeckt würden, biete das Gesundheitsamt eine Testung an. Eine weitere Testung im Laufe der Quarantäne und immer auch eine am Ende. „Das soll dazu dienen, dass wir einfach mehr Fälle aufspüren, die keine Symptome zeigen, aber sich trotzdem in der Quarantäne entwickeln können“, so der Amtsmediziner. Das gebe mehr Sicherheit und sei gerade auch vor dem Hintergrund der Kita- und Schulöffnungen wichtig. „Wir werden sehen, inwieweit solch eine Strategie-Ergänzung hilfreich ist.“
Digital aufgerüstet
Auch die digitale Aufrüstung ist seit Jahresende vollzogen. Das Dortmunder Gesundheitsamt hat zwar noch immer ein Faxgerät, allerdings vor allem deshalb, weil einzelne Labore nicht in der Lage sind, auf ihres zu verzichten. „Wir könnten das“, sagt Renken. Aber die automatisiert erstellten Meldungen der Labore passten nicht zum Deutschen Elektronischen Melde- und Informationssystem (Demis), an das die Gesundheitsämter angeschlossen sind. „Die Labore müssen uns die Meldungen per Fax zukommen lassen.“
Ursprünglich war Renken der Hoffnung, dass Corona im Herbst weitgehend abgehakt ist. Das setze aber, kurzfristig betrachtet, voraus, dass die massive Ausbreitung der aktuellen Varianten in Dortmund, insbesondere der britischen, verhindert wird und die Impfungen deutlich ausgeweitet werden können.
„Ich hoffe, dass wir wirklich ab Juli etwa so viel Impfstoff haben, dass wir breite Impfangebote streuen können.“ Darunter müssten unbedingt die Impfstoffe sein, die von den niedergelassenen Ärzte verimpft werden können. Renken: „Das System, was bei uns große Impfzahlen schaffen kann, ist das niedergelassene System. Erst wenn wir das mit beteiligen, können wir es schaffen, die Bevölkerung durchzuimpfen. Ansonsten haben wir bei der aktuellen Lage keine Chance.“
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