Eltern-Sprecherin der Waldorf-Förderschule „Ich bin einfach fassungslos“

Eltern-Sprecherin der Waldorf-Förderschule: „Ich bin einfach fassungslos“
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Weil das Schulministerium NRW eine Verordnung strenger beurteilt als in der Vergangenheit, könnten viele Quereinsteiger-Lehrkräfte an Waldorf-Förderschulen ihren Job verlieren. Insgesamt sind in NRW 60 Personen betroffen – vier von ihnen an der Georgschule in Dortmund-Brünninghausen, die auch von Kindern aus Schwerte besucht wird. Darüber hatten wir berichtet.

Dort haben am Montag (24.4.) Landtagsabgeordnete der SPD bei der Geschäftsführung, Eltern- und Waldorfvertretern nachgehört, ob inzwischen eine Prüfung durch das Schulministerium erfolgt sei. Denn Schulministerin Dorothee Feller (CDU) hatte in einer Schulausschusssitzung des Landtags am Montag (15.3.), also vor genau sechs Wochen, auf Druck der Öffentlichkeit eine Prüfung der Fälle angekündigt. Passiert ist bisher offenbar nichts – jedenfalls nichts, was die betroffenen Schulen bemerkt hätten.

Esther Adams (v.l.), Paul Berge und Martin Frische sind Quereinsteiger an der Georgschule. Ändert das Schulministerium seinen Kurs nicht, verlieren sie zum Schuljahresende ihren Job.
Esther Adams (v.l.), Paul Berge und Martin Frische sind Quereinsteiger an der Georgschule. Ändert das Schulministerium seinen Kurs nicht, verlieren sie zum Schuljahresende ihren Job. © Martina Niehaus

Das erfuhren Vertreterinnen und Vertreter der Opposition, die die Georgschule besuchten. Die SPD-Landtagsmitglieder Anja Butschkau, Volkan Baran und Roland Spieß aus Dortmund sowie die Bildungspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion Dilek Engin waren gekommen, um sich ein Bild von der Situation zu machen – und mit den Jugendlichen, Eltern und Lehrkräften zu sprechen.

Sigrun Cramer-Conjaerts gehört zum Sprecherkreis des Elternrats der Georgschule. Sie sagt: „Ich bin einfach sprach- und fassungslos, was das Vorgehen des Schulministeriums betrifft.“ Ihre Tochter besucht die Schule seit der ersten Klasse. „Uns war klar, dass unser besonderes Kind auf eine besondere Schule gehen soll. Und wir haben noch keinen Tag hier bereut.“

Vor den Lehrkräften, die sich täglich für die Kinder einsetzen, könne sie „nur den Hut ziehen“. Dass es Quereinsteiger-Lehrkräften nach jahrzehntelanger Praxis plötzlich nicht mehr möglich sein soll, bereits während ihrer Zusatzausbildung gegen Bezahlung zu unterrichten, hält Cramer-Conjaerts für realitätsfremd. „Der Lehrerberuf ist eine Herausforderung. Jedes Kind hat hier sein Päckchen zu tragen. Die Arbeit der Lehrkräfte ist wichtig und tut unseren Kindern gut.“

Bei der Schulbesichtigung: Geschäftsführer Stefan Sonnaband (v.l.) erklärt Sigrun Cramer-Conjaerts sowie den SPD-Vertretern Volkan Baran, Roland Spieß, Anja Butschkau (hinten) und Dilek Engin die Lage.
Bei der Schulbesichtigung: Geschäftsführer Stefan Sonnaband (v.l.) erklärt Sigrun Cramer-Conjaerts sowie den SPD-Vertretern Volkan Baran, Roland Spieß, Anja Butschkau (hinten) und Dilek Engin die Lage. © Martina Niehaus

„Notfalls kleben wir uns fest“

Die insgesamt 14 Waldorf-Förderschulen in NRW sind vom Lehrermangel besonders stark betroffen: Von 450 Lehrkräften sind rund 250 Seiteneinsteiger. Jürgen Möller von der Waldorf-Förderschule in Wuppertal-Barmen vertritt die Schulen. Er sagt: „Das Ausbildungssystem wurde über 20 Jahre so praktiziert. Es hat sich bewährt. Es muss doch irgendwie gelingen, dass sich das Schulministerium in einer Prüfung mit Fachleuten zusammentut, die Ahnung von Schule haben.“

Doch bisher habe es keine Prüfungen oder Gespräche gegeben, in denen die Schulen ihre Situation oder die ihrer Lehrkräfte hätten darstellen können.

Geschäftsführer Stefan Sonnabend sorgt sich um die Kinder und Jugendlichen. „Viele Kinder haben in ihrer Biografie Vernachlässigung erfahren. Die können keine erneuten Beziehungsabbrüche ertragen. Und die Qualität unserer Lehrkräfte hat sich bisher immer gezeigt.“ Die Zusatzausbildungen von Martin Frische, Esther Adams und Paul Berge wären im nächsten Jahr abgeschlossen. Doch bis dahin müssten sie nach dem Willen des Ministeriums unbezahlt unter Aufsicht anderer Lehrkräfte unterrichten – das können sich weder die Quereinsteiger noch die Schule leisten.

Marvin (17) möchte auch, dass seine Lehrerinnen und Lehrer bleiben dürfen. Zusammen mit weiteren Jugendlichen zeigte er dem Besuch seine Schule.
Marvin (17) möchte auch, dass seine Lehrerinnen und Lehrer bleiben dürfen. Zusammen mit weiteren Jugendlichen zeigte er dem Besuch seine Schule. © Martina Niehaus

Rückendeckung bekommen die Betroffenen von Dilek Engin. Sie sagt: „Ich hatte immer gedacht, nach Frau Gebauer könne es nicht schlimmer werden. Doch ich habe mich geirrt.“ Sie werde, versichert sie, die Anliegen der Schulen bei Schulministerin Dorothee Feller erneut vortragen und auch auf der nächsten Schulausschusssitzung, die für diesen Mittwoch (26.4.) angesetzt ist, nachhaken. Auch Anja Butschkau, Volkan Baran und Roland Spieß sichern zu, die Entscheidungsfindung weiter kritisch zu begleiten.

Die Schülerinnen und Schüler, die dem Besuch an diesem Tag die Schule gezeigt haben, haben nur einen Wunsch: Sie wollen ihre Lehrkräfte behalten. Marvin (17) hat sich für den Tag extra ein feines Jackett angezogen. Auch Gianluca (15), Max (16) und Marianthi (15) sind aufgeregt. Sie möchten die Unterschriften, die sie gesammelt haben, demnächst persönlich im Landtag abgeben. „Notfalls kleben wir uns fest“, scherzt Gianluca. Und Martin Frische, einer der betroffenen Lehrer, scherzt zurück: „Aber nicht an mir.“

Manchmal scheint eben nur Galgenhumor zu helfen.

Wir haben am Montag (24.4.) beim NRW-Schulministerium angefragt, ob und wie die angekündigte Prüfung der Situation der Lehrkräfte erfolgt ist. Sobald wir eine Antwort erhalten, berichten wir weiter.

Gianluca (15) und Pauline (18) haben eine Bitte: „Unsere Lehrer dürfen nicht weggehen!“

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