
© Tilman Abegg (Repro)
Gemälde von Bergarbeitern geben Einblicke in das Dortmunder Leben vor rund 60 Jahren
Ausstellung im U-Turm
Manche Maler können‘s nicht besonders und malen trotzdem. Was daran interessant ist, zeigt die Ausstellung „Schichtwechsel“ im U-Turm mit Bildern von Dortmunder Laienmalern.
„Mein Name ist Erich Bödecker. Ich bin mehr oder weniger ein Künstler.“ So stellt sich einer der Laienkünstler in einem Video in der Ausstellung selbst vor.
Das Video zeigt Bödecker beim Bildhauen in seinem Garten, während eine Männerstimme aus dem Hintergrund die Motive des Künstlers aufzählt: „Fußballer. Boxer. Negerinnen. Boxer. Politiker. Frauen. Stehend, liegend, sitzend, zentnerschwer, bunt.“
Die Bilder sind technisch schlecht, aber historisch interessant
Neben dem Ipad mit dem Video stehen zwei von Bödeckers Plastiken, grobschlächtige, aber interessante Figuren. Daneben hängen Gemälde von weiteren Laienmalern: eine Szene vor der Mütterberatungsstelle, ein Vatertag im Westfalenpark, eine Kneipenszene.
Technisch reichen die Bilder nicht an die von akademisch geschulten Malern heran. Aber sie sind naturalistisch und detailliert gemalt und damit so etwas wie historische Dokumente: Zeugnisse der Kleidung, der Gewohnheiten, der Lebenswelt der 50er, 60er und 70er in Dortmund und Umgebung.
Leonie Reygers sammelte und jurierte Laienkunst
Leonie Reygers, Gründungsdirektorin des Museums Ostwall (MO) von 1955 bis 1972, kaufte damals Laienkunst, vor allem aus Frankreich, erläutert Kuratorin und MO-Vizechefin Regina Selter. Reygers kümmerte sich auch um die hiesigen Laienmaler: Bergarbeiter, die in den 50er Jahren begannen, in ihrer Freizeit zu malen.
Die Arbeitgeber, sagt Selter, förderten diesen Trend, bezahlten Kulturreisen und organisierten Malworkshops für ihre Mitarbeiter. Einerseits um das Image der Industrie und der Region zu verbessern, andererseits um die Menschen zu beschäftigen, damit sie keinen Unsinn anstellten.
„Steckenpferdturniere“ waren die Wettbewerbe des kleinen Mannes
Die Bergbauunternehmen riefen „Steckenpferdturniere“ aus: Wettbewerbe für diese Hobbykünstler, in denen Leonie Reygers sich als Jurorin engagierte.
In den 60ern reichte der Dortmunder Franz Klekawka das Bild „Fronleichnamsprozession im Sauerland“ beim Hobby-Wettbewerb der Hoesch AG Westfalenhütte ein, wo er als Schlosser arbeitete. Das Bild gewann den ersten Preis.

Die „Fronleichnamsprozession im Sauerland“ von Franz Klekawka. © Tilman Abegg (Repro)
Den Ruhr Nachrichten erzählte Klekawka anschließend, dass er nicht gern über seine Malerei rede: „Manche halten mich für einen Aufschneider.“
Und er erzählt, wie er mit seinem Sohn Thomas ins Museum Ostwall ging, wo sein Bild ausgestellt war. Und wie der Zweijährige messerscharf kombinierte: „Papa, die haben dein Bild geklaut!“
Der Zeitungsartikel und das Video über Bödecker sind Ausnahmen, erklärt Karoline Sieg, die zweite Kuratorin der Schau. Denn über die anderen ausgestellten Laienmaler, alle aus Dortmund und der Region, gibt es kaum Informationen.

Das Märchenschloss von Hans Koehn. © Tilman Abegg (Repro)
Eine weitere Ausnahme ist der Briefwechsel zwischen dem Laienmaler Hans Koehn und Thomas Grochowiak, Direktor der Städtischen Museen Recklinghausen, abgedruckt in der Hoesch-Werkzeitung „Werk und Wir“. Koehn hatte beim Wettbewerb 1958 bei Hoesch an der Eberhardtstraße (heutiges Hoesch-Museum) den ersten Preis gewonnen. Mit dem Bild eines Märchenschlosses.
Recklinghauser Museum bat um das „Märchenschloss“
Grochowiak schreibt Koehn, er wolle in einem neuen Museum eine Abteilung für Laienkunst einrichten. Dafür bittet er Koehn um sein Bild - als Leihgabe oder sogar als Ankauf.
Koehn schreibt zurück: „Nach einer Woche Bedenkzeit“ danke er für die Komplimente, aber das Bild habe er auf Wunsch seiner Kinder gemalt. „Dieses Bild abzugeben, ist mir leider nicht möglich. Vielleicht einmal später, ich weiß es nicht.“ Das schreibt er 1961.
1962 erhält Grochowiak überraschend einen weiteren Brief von Koehn: „...bin bereit, das Gemälde Ihnen als Dauerleihgabe zu überlassen, oder, falls es Ihnen lieber ist, es Ihnen gegen eine Abfindung von 60 DM als Eigentum zu übergeben.“ Erfreut nimmt Grochowiak es als Dauerleihgabe an und bezahlt die 60 DM trotzdem, als „materielle Entschädigung“.
„Ich will auch nicht reich werden“
Ums Geld schien es den Laiernmalern damals nicht zu gehen. Der Bildhauer Erich Bödecker sagt im Video: „Ich bin mit meinen Plastiken noch nicht reich geworden. Und ich will auch nicht reich werden. Das habe ich mir vorgenommen.“
In Dortmund aufgewachsen, musikalische und kunsthistorische Ausbildung, journalistische Ausbildung bei den Ruhr Nachrichten. Seit 2011 Kulturredakteur für Dortmund. Berichtet über Kunst, Kultur, Kulturpolitik und alles, was man sehen, hören, fühlen, glauben oder verstehen kann.
