Dortmunder erinnern an Judenpogrom „Müssen das ‚Nie wieder‘ von den Lippen in die Köpfe kriegen“

Gedenkstunde am Dorstfelder Mahnmal erinnert an Pogrom von 1938
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„Nie wieder“ malt ein Streetart-Künstler in leuchtenden Lettern auf eine lange Wand aus Kunststofffolie. Auf dem Wilhelmplatz und der Arminiusstraße in Dorstfeld hat die Stadt Dortmund Arbeitsbühnen ausgefahren. Lange Transparente hängen von den Körben: „Gemeinsam gegen Antisemitismus“.

Die Kreuzung mit dem Dorstfelder Hellweg ist gesperrt. Stadtbahnen fahren nicht. Ein großes Polizeiaufgebot sichert den Versammlungsort. Rund 250 Menschen sind der Einladung der „Quartiersdemokraten“ gefolgt. Sie erinnern an den Judenprogrom am 9. November 1938. Wie in jedem Jahr – an diesem Donnerstag (7.11.2024) nur zwei Tage früher. Der eigentliche Gedenktag fällt auf den Schabbat, den Ruhetag im Judentum.

Ort der jährlichen Gedenkstunde ist das jüdische Mahnmal im Dorstfelder Ortszentrum. In diesem Jahr scheint der aus gelbem Stahl stilisierte Davidstern vor dem trüben Grau des Himmels noch kräftiger zu leuchten. Eine Mahnung – 86 Jahre nach jener Nacht, in der die Nationalsozialisten Synagogen in Brand setzten, jüdische Geschäfte und Wohnungen zerstörten.

Kein Platz für Antisemitismus

„Es ist wichtig, an diese schrecklichen Taten zu erinnern, weil sie der Anfang des Völkermords waren“, verweist Bürgermeister Norbert Schilff in seiner Rede auf den millionenfachen Mord in den Konzentrationslagern. Die Gedenkveranstaltung sei nicht nur ein Zeichen der Trauer über die Vergangenheit, sondern auch ein Weckruf für die Gegenwart.

Schilff verweist auf die „jüngsten antisemitischen Vorfälle auf unseren Straßen“. Es sei eine Schande, dass jüdische Einrichtungen von der Polizei bewacht werden müssen. Ein untragbarer Zustand, dass Jüdinnen und Juden nicht nicht ohne Angst leben können. Der Bürgermeister mahnt zur Wachsamkeit. „Wir müssen klar und deutlich sagen, Antisemitismus hat keinen Platz in unserer Gesellschaft.“

Norbert Schilff sagt das auch vor dem Hintergrund des Terrorangriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 – den „Beginn einer neuen Eskalationsstufe im Nahostkonflikt“. Nichts rechtfertige einen solchen antisemitischen Angriff auf unschuldige Menschen. „Die jüdische Gemeinschaft trauert. Und wir stehen an ihrer Seite.“

Bezirksbürgermeisterin Astrid Cramer am Dorstfelder Mahnmal.
Bezirksbürgermeisterin Astrid Cramer legte am Dorstfelder Mahnmal einen Kranz nieder. © Uwe von Schirp

Auch die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen erfahre in der Folge schweres Leid. Jedes Menschenleben sei schützenswert. „Der Einsatz für Frieden und Menschlichkeit muss immer unser Ziel sein.“ Der israelisch-palästinensische Konflikt zeige, wie tief verwurzelter Hass Gesellschaften zerstören könne.

Der Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Extremismus beginne bei jedem Einzelnen. Das Gedenken der Opfer von vor 86 Jahren sei gleichzeitig Appell an „unsere Verantwortung für die Zukunft“, erklärt Norbert Schilff.

Erinnerung ist anstrengend

Bezirksbürgermeisterin Astrid Cramer erinnert an die lange Geschichte des Antisemitismus, warnt aber, vor diesem Hintergrund die Gräuel der Nazis zu relativieren. Daran immer wieder zu erinnern sei schmerzhaft. Und – adressiert an die Jüngeren – anstrengend für all diejenigen, „an deren Hände kein Blut mehr klebt“.

Nur wer verstehe, was in der Vergangenheit geschehen ist, könne aktuelle Dinge einordnen, erklärte Astrid Cramer. Jüdisches Leben sei auch heute noch bedroht. Sie fordert an diesem Nachmittag: „Wir müssen das ‚Nie wieder‘ von den Lippen in die Köpfe kriegen.“

Rabbiner Avigdor Moshe Nosikov von der Jüdischen Kultusgemeinde Dortmund erinnert nach einer Schweigeminute an die Geschichte von Noah, seinen Söhnen und der Arche, die in der jüdischen Thora und im Alten Testament der christlichen Bibel niedergeschrieben ist.

„Im Laufe der Geschichte haben Juden mehrfach die Flut erlebt“, sagt Nosikov. Dabei verweist er sowohl auf den Pogrom 1938, aber auch auf den Terrorangriff 2023. Wie bei Noah und seinen Söhnen habe es nach jeder dieser Fluten immer einen Neuanfang gegeben. Darum hoffe er auf eine bessere Zukunft.

Am Ende der Gedenkstunde tragen Schülerinnen und Schüler der Martin-Luther-Gesamtschule, des Leibniz-Gymnasiums, der Emscherschule sowie des Reinoldus- und Schiller-Gymnasiums Texte und Lieder vor. Sie erinnern und mahnen gleichzeitig – wie die Kulisse aus Straßenkunst und Transparenten.

Nach gut zweieinhalb Stunden gibt die Polizei die Kreuzung am Dorstfelder Wilhelmplatz wieder frei. Polizeisprecher Peter Bandermann ist zufrieden: „Es war eine ruhige und absolut störungsfreie Veranstaltung, die wir geschützt haben.“