An der Eingangstür des Hema-Kaufhauses am Westenhellweg hängt ein Zettel, auf dem steht: „Wir ziehen um!“ Als letzten Verkaufstag in der Top-Lage der Dortmunder City gibt die niederländische Warenhaus-Kette, die von Babykleidung bis Bürobedarf ein breites Sortiment bietet, den 18. Februar an.
Nur ein paar Schritte weiter sind auf der anderen Seite der Einkaufsmeile die großen Ausverkaufsschilder („Sale“) beim Schuhhaus Görtz nicht zu übersehen. Das Unternehmen kämpft ums Überleben, befindet sich gerade in einem Insolvenzverfahren. Gleiches gilt für Salamander. Auch dem traditionsreichen Schuhgeschäft an der Ecke Westenhellweg/Hansastraße droht das Aus. Nebenan hat der Computerspiele- und Konsolen-Anbieter Gamestop sein Ladenlokal zu Jahresbeginn geschlossen und komplett ausgeräumt.
Gegenüber der Petri-Kirche hat Görtz seine Filiale „Görtz 17“ für eine junge Zielgruppe bereits aufgegeben und um die Ecke in der Potgasse hat der Haushaltswaren-Spezialist WMF, wie angekündigt, sein Geschäft jetzt geschlossen. Schon lange verwaist sind die ehemaligen Verkaufsflächen der Mayerschen Buchhandlung und von Esprit. Bis 2025 soll das Gebäude am Platz von Netanya nun komplett umgebaut werden. Schräg gegenüber aber schwebt das Fragezeichen über Karstadt.
Top-Lage in Schieflage?
Der stationäre Einzelhandel erlebt eine schwere Zeit. Gerät Dortmunds Top-Lage in Schieflage? Ein Ladensterben am Westenhellweg ist unübersehbar. Aber, bedeutet das auch ein Innenstadtsterben? „Nein“, sagt Andreas Grüß von der Immobilienagentur Lührmann in Osnabrück. Er vermittelt bundesweit Einzelhandelsflächen und kennt die Lage in Dortmund genau: „Der Westenhellweg ist weiterhin stabil. Er taucht jedes Jahr auf unseren Suchlisten auf. Das heißt, wir haben Anfragen von Unternehmen, die einen Standort am Westenhellweg suchen.“

Gleiches sagt auch Christian Hansmann von Ruhr Real. „Die Dortmunder City ist ein gefragter Standort, der Branchenmix ist sehr gut. Wie überall ist es aber auch in Dortmund so, dass es für große Flächen wenig Nachfrage gibt. Und die Flächen im Obergeschoss sind ein Problem. Viele Händler interessieren sich nur für Erdgeschossflächen“, so Christian Hansmann.
Andreas Grüß plädiert dafür, bei den Geschäftsschließungen jeden Einzelfall zu betrachten und branchenspezifische Veränderungen zu sehen. Von der Anziehungskraft des Westenhellwegs ist er überzeugt. „Aber die Haupteinkaufszone“, da ist er sich mit Christian Hansmann einig, „wird sich immer mehr auf den Abschnitt zwischen der Reinoldikirche und der Petrikirche konzentrieren“, sagt er. Deshalb äußert er sich auch optimistisch, dass das Hema-Kaufhaus auch mit dem Obergeschoss nicht lange leer stehen wird: „Nach meinem Kenntnisstand, soll es schon einen namhaften Nachmieter geben.“
Den Markt überschätzt
Dass Hema überhaupt die Top-Lage am Westenhellweg verlässt, hat nach übereinstimmenden Einschätzungen in Branchenkreisen nichts mit dem Standort, sondern mit dem Unternehmen zu tun. Hema habe 2017/2018 expandiert, teilweise aber zu große Flächen angemietet und den Markt überschätzt. Dies korrigiere man jetzt. Spekulationen, nach denen Hema in die Thier-Galerie umzieht, könnten für den Düsseldorfer Handelsimmobilien-Experten Jürgen Kreutz, Geschäftsführer der IPH Transact GmbH, durchaus zutreffen. „In Essen war Hema lange am Marktplatz und jetzt sind sie dort zu einer wesentlich geringeren Miete in der Rathaus-Galerie“, sagt er.
Mag also sein, dass Hema demnächst in der Thier-Galerie öffnet, Andreas Grüß sieht aber auch eine umgekehrte Entwicklung. „Die Gespräche, die wir führen, zeigen an, dass viele Marken aus der Thier-Galerie an die Straße, an den Westenhellweg möchten“, so der Immobilienexperte.
„Noch sehen wir so eine Entwicklung nicht, viele Mietverträge wurden gerade erst verlängert. Wir sind aber dennoch vorbereitet und arbeiten daran, mehr individuelle Konzepte in die Thier-Galerie zu holen“, sagt Torben Seifert, Center-Manager der Thier-Galerie. Dass man vor Kurzem ein Kinderparadies eröffnet habe, sei ja ein erster Schritt in diese Richtung. Und geplant wird von ihm gerade, mal eine Roller-Disco in dem Einkaufszentrum zu veranstalten. „Wir möchten mehr Erlebnis schaffen. Dazu kann ich mir unter dem Motto ‚Shopping meets Classic“ auch eine Zusammenarbeit mit dem Konzerthaus vorstellen. Wir haben doch alle das gleiche Thema: Frequenz. Warum sollen wir da nicht gemeinsam etwas machen?“, so Torben Seifert.
Eventkalender für die City
Damit ist der Thier-Galerie-Chef ganz auf der Linie von Klaus und Karl Schwitzke von der gleichnamigen Unternehmensgruppe in Düsseldorf. „Die Menschen in den Großstädten möchten ein Stadtzentrum zum Einkaufen. Sie möchten dazu aber auch Grünflächen mit Aufenthaltsqualität, lokale Gastronomie und Erlebnisse. Ein Eventkalender für die City gehört zur Attraktivität dazu. Kultureinrichtungen müssen auf die Straße“, sagt Klaus Schwitzke.
Beide Experten sehen in den vielen Negativmeldungen über Schließungen und Insolvenzverfahren keine Anzeichen für ein Innenstadtsterben. Aber: Der Westenhellweg ist für sie „nach wie vor zu lang“. „Es gibt zu viele Store-Fronten. 50 Prozent des Umsatzes in der Modebranche wird im Netz gemacht. Das führt dazu, dass mittelpreisige Marken nicht mehr so viele Läden brauchen“, sagt Karl Schwitzke.
Dieses Problem habe auch der Schuhhandel. Es gebe die Kunden, die sehr preisbewusst kaufen, und die, die Luxus kaufen. „Beispielsweise Salamander tut sich da im mittleren Preissegment schwer. Das mittlere Marktsegment schrumpft insgesamt und es wird auch nicht zurückkommen. Dortmund muss sich entscheiden, welche Kunden es ansprechen will“, so Karl Schwitzke.

Wie für Andreas Grüß steht auch für die Düsseldorfer Experten fest, dass sich die Einzelhandelsbranche in Dortmund auf die Kernzone „zwischen den beiden Kirchen“ konzentrieren wird. „Diesen Bereich muss man verbessern, dann haben auch die Ränder an Westen- und Ostenhellweg, eine Chance zu funktionieren“, sagt Klaus Schwitzke. Und sein Bruder Karl meint: „Auf dem Ostenhellweg kann man wieder Autos fahren lassen und einen geteilten Verkehrsraum für Fußgänger und Autofahrer schaffen - dies vor allem, wenn Wohnraum entsteht und sich auch kleine Handwerksbetriebe ansiedeln können.“ Vielfalt gelte es zu entwickeln. Die Stadt Dortmund müsse dafür die Rahmenbedingungen schaffen.
Eine Billiganbieter-City?
Tobias Heitmann als Vorsitzender des Cityrings, dem Zusammenschluss der Innenstadt-Kaufleute, kann das nur unterstreichen. Auf den Wandel im Handel, der gerade stattfinde, gelte es zu reagieren. „Wir müssen uns entscheiden, ob wir eine Billiganbieter-City sein oder für gehobenes Einkaufen stehen wollen“, sagt er. Für Letzteres gelte es, auch das Drumherum entsprechend zu gestalten, für eine gute Aufenthaltsqualität und nette Restaurants zu sorgen.

Für Thomas Schäfer, den Geschäftsführer des Handelsverbandes Westfalen-Münsterland, bereitet Dortmund diese Entwicklung auch vor. „Mit dem Quartiersmanagement für 9 Quartiere in der City wurde ein gutes Konzept entworfen. Auch der Masterplan Plätze ist gut. Es gibt kein Wissensproblem, es gibt ein Umsetzungsproblem“, sagt er und ergänzt: „Auf keinen Fall gibt es ein Innenstadtsterben. Es gibt immer Fluktuation im Einzelhandel. Derzeit ist diese stärker als üblich. Das ändert aber nichts daran, dass es Bedarf gibt.“
Und Bedarf gibt es beispielsweise, das erzählt Karl Schwitzke, für eine Markthalle. „So etwas wird in allen Städten, in denen es so etwas gibt, gut angenommen. Man könnte sich eine Markthalle doch im ehemaligen Kaufhof-Gebäude vorstellen“, sagt er. Ob die immer noch laufende Machbarkeitsstudie eine solche Möglichkeit vorsieht, muss noch abgewartet werden. Was Karl Schwitzke mit seiner Vision deutlich macht, ist: „Die Innenstadt stirbt nicht, sie muss aber neu gedacht werden.“
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