Ein Kamm, eine Brosche, ein Esslöffel und eine Taschenuhr mit Gravur in kyrillischer Schrift – das sind Fundstücke, die Geschichte erzählen können. Geschichten von Menschen, die ihr Leben fern der Heimat lassen mussten, ermordet in einer Nacht-und-Nebel-Aktion. Denn es sind Hinterlassenschaften der Opfer der Gestapo-Morde, die in den letzten Wochen vor Kriegsende in Dortmund stattfanden. Vor genau 80 Jahren also.
Bei der diesjährigen Gedenkfeier am Mahnmal für die Gestapo-Opfer in der Bittermark spielen die Fundstücke eine besondere Rolle. Gefunden und eingesammelt wurden sie bei der Exhumierung der Leichen wenige Tage nach dem Einmarsch amerikanischer und britischer Truppen im April 1945.
Die Nachricht verbreitete sich damals wie ein Lauffeuer. Viele Menschen strömten in den Rombergpark, um sich mit eigenen Augen von den Berichten über Leichenfunde zu überzeugen. Ihen bot sich ein Bild des Grauens: Entstellte Gestalten lagen dort, die Hände mit Stacheldraht zusammengebunden, an den Körpern Merkmale schwerer Misshandlungen. Sechs Bombentrichter mit Leichen wurden im Rombergpark gefunden. In der Bittermark, dem großen Wald im Dortmunder Süden, wurden drei weitere versteckte Massengräber entdeckt.
Wut kam auf. Bekannte Nationalsozialisten wurden aus ihren Häusern geholt. Mit Spaten und Schaufeln ausgerüstet, mussten sie an den Bombentrichter antreten und unter Aufsicht von Widerstandskämpfer alle geschundenen Körper ausgraben. Am 19. April wurden 91 Leichen exhumiert,15 davon im Rombergpark. Die meisten von ihnen wurden drei Tage später in einem Gemeinschaftsgrab auf einer Wiese in der Bittermark beerdigt.

Die 136 Toten, die insgesamt im Rombergpark gefunden wurden, fanden zunächst auf den katholischen und evangelischen Friedhöfen ihre letzte Ruhe. 1954 wurden 106 Ermordete in die Bittermark umgebettet, wo zunächst eine kleine Gedenkstätte entstanden war. 1960 wurde schließlich das von dem Bildhauer Karel Niestrath geschaffene Mahnmal eingeweiht, zu dessen Füßen alljährlich an Karfreitag die offizielle Gedenkfeier der Stadt Dortmund für die Opfer des Nationalsozialismus stattfindet.
Unbekannte Opferzahl
Wie viele Menschen insgesamt den Mordaktionen kurz vor Kriegsende zum Opfer fielen, ist unklar. Britische Quellen sprechen von 287 „allied nationals“, also Angehörigen aus den Kriegsgegner-Staaten Deutschlands. Es waren Menschen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Jugoslawien, Polen und der Sowjetunion. Sie mussten in Dortmund in verschiedenen Betrieben Zwangsarbeit leisten, waren im Lagern interniert und wurden schikaniert.

Unklar ist, ob in der von den Briten genannten Zahl auch die deutschen Widerstandskämpfer mitgerechnet sind, die ebenfalls in den letzten Tagen von der Gestapo und ihren Helfern ermordet wurden. 90 Namen sind von ihnen bekannt.
Sie waren zuvor in der Steinwache und in dem Keller der Gestapo-Leitstelle in der Benninghofer Straße in Hörde inhaftiert. Von Hörde aus wurden die kommunistischen und sozialdemokratischen Bewegungen verfolgt. Ebenso die Gruppen des kirchlichen Widerstands und Juden. Seit Kriegsausbruch gab es auch eine Abteilung für Zwangsarbeiter.
Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden Kriegslage verschärfte die Gestapo seit März 1944 ihre Aktionen. Angesichts der zusammenbrechenden Fronten und der näherrückenden alliierten Truppen ging man mit härtestem Terror gegen jeden vor, der dem nationalsozialistischen Regime Schwierigkeiten bereiten könnte. Der frühere KPD-Funktionär Heinrich Muth wurde als Spitzel eingesetzt, um die kommunistische Widerstandsbewegung zu enttarnen.
Am 24. Januar 1945 kam aus Düsseldorf schließlich der Befehl zur Verhaftung. „Die gegenwärtige Gesamtlage wird Elemente unter den ausländischen Arbeitern und auch ehemalige deutsche Kommunisten veranlassen, sich umstürzlerisch zu betätigen. Größte Aufmerksamkeit ist daher geboten. Es ist in allen sich zeigenden Fällen sofort und brutal zuzuschlagen, die Betreffenden sind zu vernichten“, lautete die Anweisung an die Staatspolizei.
Vor Ort wurden die Befehle prompt umgesetzt. In der Nacht vom 8. auf den 9. Februar wurden 50 Widerstandskämpfer verhaftet. Die NS-Herrscher holten ihre Opfer aus den Wohnungen und von den Arbeitsplätzen, pferchte sie wie Vieh in die engen Zellen der Steinwache und in den Gestapo-Keller in Hörde. Zwangsarbeiter aus dem gesamten Regierungsbezirk wurden in ein Lager im Bereich der Hüttenunion in Hörde gebracht. Die Gefangenen wurden verhört, gefoltert, geprügelt und schließlich wie gefordert „vernichtet“.
In den letzten Kriegswochen
Die Todestransporte begannen vermutlich am 7. März 1945. Spätnachts erschienen Gestapo-Beamte mit Namenslisten in den Kellern. Gefangene wurden aufgerufen und auf Lastwagen gezerrt. Das Ziel der nächtlichen Fahrt war die Bittermark. Dort wurden die mit Stacheldraht gefesselten Gefangenen von den Ladeflächen geholt und zu einem auf einer Waldwiese gelegenen Bombentrichter geführt. Hier wurden sie durch Genickschuss aus nächster Nähe getötet. Der Trichter wurde notdürftig zugeschaufelt und zwei Tage später dann eingeebnet.
Unmittelbar vor den Ostertagen folgten nach dem gleichen Muster eine ganze Reihe weiterer nächtliche Exekution. Nach zwei weiteren Hinrichtungen in der Bittermark von jeweils mehr als 20 Häftlingen wurden am Karfreitag, dem 30. März 1945, mindestens 43 Menschen im Rombergpark erschossen und in einem Bombentrichter verscharrt. Diese Untaten gingen als Karfreitagsmorde in die Geschichte der Stadt ein. Bei weiteren Erschießungen in den nächsten Tagen starben noch einmal insgesamt rund 110 Häftlinge in der Nähe des Rombergparks. Und noch am 12. April 1945, als die amerikanischen Truppen schon unmittelbar vor der Dortmunder Innenstadt standen, wurden in Hörde drei Widerstandskämpfer erschossen.

Beteiligt waren, neben der Gestapo, auch Beamte der Kriminal- und der Schutzpolizei. „Es war der wahnwitzige Vorsatz, niemanden aus den Reihen der politischen Gegner am Leben zu lassen, damit sie nach dem Zusammenbruch nicht führende Position besetzen konnten, der die Gestapo zu dieser letzten Abrechnung bewegte“, stellte der Polizei-Historiker, Alexander Primavesi, fest.
Zumindest die ermordeten deutschen Widerstandskämpfer sind namentlich bekannt. Zu Ihnen gehören etwa die KPD-Mitglieder Karl Altenhenne, Willi Beutel und Martha Gillessen, Sozialdemokraten wie Julius Nierstenhöfer und Karl Schwartz, aber auch Menschen aus dem christlichen Widerstand wie Karl Klose, Friedrich Schramm und Paul Weber und auch der frühere Ballwart des BVB Heinrich Czerkus, zu dessen Ehren alljährlich ein Gedächtnislauf vom Stadion Rote Erde in die Bittermark stattfindet.

Am Ende der diesjährigen Gedenkfeier wird es eine besondere Aktion geben, bei der die Fundstücke der Opfer eine besondere Rolle spielen. Zum Abschluss werden sich 194 Menschen vor je ein Grab stellen und jeweils ein großes Foto von einem der gefundenen persönlichen Gegenstände der Opfer in den Händen halten.
Gedenken an Karfreitag
- Die Gedenkfeier am Mahnmal in der Bittermark beginnt am Karfreitag (18.4.) um 15 Uhr.
- Zu den Rednern gehören Bürgermeister Norbert Schilff, Madame Nicole Godard, Präsidentin des Verbandes der französischen Zwangs- und Arbeitsdeportierten, und Georg Deventer, Vorsitzender des Fördervereins der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache/Internationales Rombergpark-Komitee.
- Die Moderation hat Friedhelm Evermann, Sonderbeauftragter der Stadt Dortmund/Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie.
- Der Heinrich-Czerkus-Gedächtnislauf startet um 13 Uhr für Wanderer, um 13.30 Uhr für Walker und um 14 Uhr für Jogger und Radler am Stadion Rote Erde.