Dortmunder Friseurmeisterin erfüllt sich Traum Mit einem Stuhl, in dem früher Zähne gezogen wurden

Im „Abschnitt 34“ werden Kunden in ehemaligen Zahnarzt-Stuhl frisiert
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Über zehn Jahre hat es gedauert, bis sich Ulrike Wernicke ihren Herzenswunsch erfüllt hat. So lange stand ein über 100 Jahre alter Friseurstuhl erst in ihrer Garage, später auf ihrem Balkon. Seit kurzem hat er nun endlich den Platz, der ihm ihrer Meinung nach gebührt: Das gute Stück, in dem früher sogar Zähne gezogen wurden, ist der neue Blickfang im Salon der Dortmunder Friseurmeisterin.

„In dem Stuhl hat schon halb Oespel gesessen“, sagt die 60-Jährige, die sich am Donnerstag (6.10.) noch ein wenig von den Renovierungsstrapazen der vergangenen Tage erholen muss. Denn für das historische Schätzchen wurde innerhalb des Salons „Abschnitt 34“ in Oespel ein Retro-Bereich geschaffen – mit Retro-Tapete, -Spiegel und -Tisch. Das Helferteam verlegte zudem einen neuen Boden und riss sogar Wände ein.

Drei Tage lang habe das Chaos gewütet. „Allein drei Anhänger mit Steinen mussten wir wegbringen, überall, bis in jede kleinste Ritze, hat sich der Baustaub verteilt“, erzählt die Salon-Inhaberin. Doch in ihren Augen hat sich der Aufwand gelohnt: „Bislang haben alle Kunden gestaunt und waren begeistert.“

Für Ulrike Wernicke hat der Friseurstuhl, der neu bezogen und von ihrem Mann Oli (Olaf) Kötter originalgetreu aufgearbeitet wurde, vor allem eine emotionale Bedeutung. Sie habe schon als Kind darin gesessen, auch ihre drei Kinder hätten darin gespielt. Wie alt genau er ist, weiß sie nicht. „1922 haben ihn Emil und Hedwig Rüssmann, gerade frisch verheiratet, für ihr Geschäft in Oespel gekauft. Zu dem Zeitpunkt war er ein Zahnarztstuhl.“

Früher ein Zahnarztstuhl

Friseurmeisterin Ulrike Wernicke aus Dortmund-Oespel hat sich nach zehn Jahren mit diesem antiken Stück einen Herzenswunsch erfüllt.
Die Dortmunder Friseurmeisterin Ulrike Wernicke hat große Freude an ihrem neuen alten Friseurstuhl. © Beate Dönnewald

Ob auch in dem bekannten Friseur-Salon Rüssmann Zähne gezogen wurden, kann Ulrike Wernicke nicht sagen. Tatsächlich, so verrät es das Internet, kümmerten sich bis in die 1930er Jahre Friseure auch um die Zähne ihrer Kunden.

Die gebürtige Oespelerin ging bei den Rüssmanns ein und aus, half auch mal im Salon an der Marthastraße aus. Gabi Becker, Enkelin des Salon-Gründers, ist bis heute eine sehr gute Freundin. Ihr habe sie es zu verdanken, dass sie überhaupt in den Besitz der Rarität gekommen ist. „2012 ist der Salon Rüssmann geschlossen worden. Ich fand den Stuhl immer schon toll, da hat sie ihn mir einfach geschenkt.“

Seitdem hat das Schwergewicht einige Umzüge mitgemacht. „Drei Männer braucht es schon, um ihn zu bewegen“, so Ulrike Wernicke. Doch erst mit der Eröffnung des Salons „Abschnitt 34“ an der Borussiastraße vor knapp fünf Jahren konnte sie ihren Traum weiter träumen. „Denn in meinem Geschäft in Dorstfeld gab es dafür nicht genügend Platz.“

Anfang Oktober 2023 machte die Friseurmeisterin endlich Nägel mit Köpfen und läutete den Retro-Umbau ein. Zur Eröffnung im Januar 2019 war daran noch nicht zu denken. Zunächst musste sie sich in Oespel etablieren und einen Kundenstamm aufbauen. Anfangs hat sie mit ihrer Tochter Annika (33) den Salon geführt, nach und nach kamen vier weitere Teilzeitkräfte dazu. Zuletzt Susi (Susanne) Baseursinus (57), die zuvor im mittlerweile geschlossenen Salon „Rosa und Schwarz“ in Oespel gearbeitet hat.

Traumberuf Friseurin

Susi (Susanne) Baseursinus (57) ist neue Mitarbeiterin im Team von Ulrike Wernicke. Zuvor hat sie im mittlerweile geschlossenen Salon „Rosa und Schwarz“ in Oespel gearbeitet.
Susi (Susanne) Baseursinus (57) ist neue Mitarbeiterin im Team von Ulrike Wernicke. Zuvor hat sie im mittlerweile geschlossenen Salon „Rosa und Schwarz“ in Oespel gearbeitet. © Beate Dönnewald

Ihren größten Wunsch hat sich Ulrike Wernicke schon mit 16 Jahren erfüllt. „Für mich war schon als Kind klar, dass ich Friseurin werden wollte.“ Sie habe mit Hingabe ihre Puppen und Barbies gekämmt und „auf dem Campingplatz allen Frauen die Haare toupiert.“ Also sei sie direkt nach der Schule in die Lehre gegangen. „Das war am 1. August 1979.“ Seit 44 Jahren arbeitet die dreifache Mutter fast ohne Unterbrechung in ihrem Traumberuf.

Der Sprung in die Selbstständigkeit kam eher unfreiwillig – obwohl es ihr ihre Eltern mit einem Lebensmittelgeschäft (Düding), ebenfalls in Oespel, bereits vorgemacht hatten. Aufgrund der Trennung von ihrem Mann im Jahr 2002 musste sie ihr Leben neu sortieren. „Irgendwas musste passieren.“ Also entschied sie sich, ihren Meister zu machen.

„Ohne meine Mutter hätte ich das nicht geschafft, sie hat sich um die Kinder gekümmert, während ich die Meisterschule besucht habe“, erzählt Ulrike Wernicke. Passend nannte sie anschließend ihren Salon „Abschnitt 34“. „Weil für mich ein neuer Lebensabschnitt begann.“ Die „34“ war die Hausnummer ihres ersten Geschäfts in Dorstfeld.

Den Umzug nach Oespel, wo es sie ohnehin hinzog, habe sie einem Zufall zu verdanken. „Wir waren in der Eisdiele, als ich das leere Ladenlokal entdeckt habe.“ Ein Ladenlokal, das genauso viele Geschichten zu erzählen hat wie ihr alter Friseurstuhl. Denn vorher befanden sich darin unter anderem eine Hausarzt-Praxis und eine Apotheke. Kurzerhand nahm Ulrike Wernicke Kontakt zum Eigentümer auf und machte Nägel mit Köpfen. „Es ist verrückt, man geht Eis essen und hat ein neues Geschäft.“

Spontane Friseurmeisterin

Friseurmeisterin Ulrike Wernicke arbeitet seit 44 Jahren in ihrem Traumberuf.
Friseurmeisterin Ulrike Wernicke arbeitet seit 44 Jahren in ihrem Traumberuf. © Beate Dönnewald

Einfälle würde sie in der Regel nie auf die lange Bank schieben. „Es rödelt sofort in meinem Kopf“, so die Friseurmeisterin. Den Umzug von Dorstfeld nach Oespel habe sie innerhalb von drei Monaten perfekt gemacht.

„Rödelt“ aktuell schon wieder was Neues in ihrem Kopf? Ulrike Wernicke lacht: „Ja, mein Urlaub, darauf freue ich mich jetzt erstmal.“ Wenige Sekunden später fügt sie hinzu: „Ach ja, der neue Boden gefällt mir so gut, dass wir ihn auch bei uns zu Hause verlegen werden.“ Nach dem Urlaub. Ihr Mann habe bereits zugestimmt.

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