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Forscher fordert Blick auf Dortmunds Nationalisten mit ausländischen Wurzeln
Rechtsextremismus
Dortmunds bekannte Neonazis sind geschwächt, wie Prof. Dierk Borstel feststellt. Sorgen bereiten ihm aber ganz andere Gruppen von Nationalisten. Er stellt Forderungen an die Dortmunder.
„Die Dortmunder Rechtsextremisten haben ihren internationalen Ruf eingebüßt.“ Das sagt Prof. Dr. Dierk Borstel, Politikwissenschaftler der FH Dortmund. Die zielstrebige Polizeiarbeit, Haftstrafen und Wegzüge aus der Stadt haben ihm zufolge in den vergangenen Monaten sogar zu einer teilweisen Auflösung der Szene geführt.
Der Extremismusforscher lobt Polizei, Politik und Stadtverwaltung deutlich, sagt aber auch: „Eine veränderte Lage fordert auch neue und den aktuellen Herausforderungen angepasste Strategien.“
Zum einen bereitet ihm die Radikalisierung Sorgen, die eine neue Gruppe aus der Mitte der Gesellschaft mit Kontakten zur AfD erfahre. „Andererseits hat sich mit der Vielfalt in der Stadtgesellschaft auch die Vielfalt der Radikalisierungen ausdifferenziert“, so Borstel.
Islamismus sei immerhin bereits ein Thema, viel zu wenig betrachtet würden aber Radikale und Ultranationalisten etwa mit türkischen, russischen, bosnischen oder polnischen Wurzeln. Diese Fälle nennt der Verfassungsschutz „auslandsbezogener Extremismus“.
Es handele sich nicht um ein „Ausländerproblem“
Für Dierk Borstel ist dieser Begriff „Blödsinn“. Auch in diesen Fällen habe man schließlich mit Dortmunderinnen und Dortmundern zu tun, die zumindest teilweise auch rechtlich Deutsche sind und hier geboren wurden. Es handele sich somit nicht um ein „Ausländerproblem“.
Im aktuellen Verfassungsschutzbericht ist Dortmund abseits von Neonazis und Islamisten nur an einer Stelle genannt: Eine verbotene Partei aus der Türkei habe hier Ende 2019 eine Kundgebung abgehalten. Die linksextreme „Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front“ wolle das türkische Staatssystem durch eine bewaffnete Revolution zerschlagen, heißt es vom NRW-Innenministerium.
Wenn man sieht, wie viele junge Dortmunder sich in erster Linie über die Herkunft ihrer Familien identifizieren, sei das zwar legitim, so Borstel. Wichtig sei aber die Frage, wann es sich um Patriotismus und wann um Nationalismus handelt.
Der Forscher beschäftigt sich mit dieser Frage nicht um mit dem Finger auf die Menschen zu zeigen, sondern um sie zu integrieren. „Ich will eine vielfältige Gesellschaft“, sagt er: „Aber der Artikel 1 des Grundgesetzes schließt eine Radikalisierung aus.“
Borstel fordert alle Akteure der Stadtgesellschaft auf, die Strategien zum Rechtsextremismus auf den Prüfstein zu stellen. Einen aktuellen Anlass für seine Veröffentlichung habe es übrigens nicht gegeben - durch Diskussionen mit Sozialarbeitern und anderen Forschern sei ihm die Problematik aufgefallen.
Unterschied zwischen Folklore und Gefährdung
Das Thema ist nicht wirklich neu: Schon vor vielen Jahren hat es Auseinandersetzungen etwa zwischen türkisch- und kurdischstämmigen Jugendlichen in Dortmund gegeben. „Wir brauchen Übersichten über diese Konfliktlagen“, sagt Borstel.
Einige Stellen würden schon etwas in diesem Bereich tun. Erfahrungen müssten aber besser koordiniert werden: „Wo sind Gefährdungslagen, was ist nur harmlose Folklore?“, fragt der Forscher.
Die lange bekannten deutschen Neonazis dürfe man sicherlich nicht aus dem Blick lassen. Aber es sei auch wichtig, zu untersuchen was andere Konflikte für das demokratische Gemeinwesen bedeuten. „Ein reines ‚Weiter so‘ darf es nicht geben“, sagt Borstel: „Dafür ist zu viel Geld und auch zu viel Engagement im Spiel, was nicht verschleudert werden darf.“
Kevin Kindel, geboren 1991 in Dortmund, seit 2009 als Journalist tätig, hat in Bremen und in Schweden Journalistik und Kommunikation studiert.
