Neue Studie zu Dortmunds Drogenszene Experten schätzen harten Kern auf Hunderte Menschen

Forscher durchleuchten Dortmunds Drogenszene
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Der Umgang mit der offenen Drogenszene im Zentrum ist Dortmunds am hitzigsten diskutiertes politisches Thema der letzten Jahre. Besonders über die Frage, ob der Drogenkonsumraum an der Straße Grafenhof in der City umziehen soll oder nicht (und wenn ja, wohin), gibt es im Rat und in der Stadtgesellschaft Uneinigkeit und Streit.

Die Debatte wird dadurch erschwert, dass über das Innenleben der Szene nicht genug bekannt ist: Wie ist sie genau zusammengesetzt? Welche Drogen werden konsumiert und wie ist ihr „Marktanteil“? Zwar gibt es dazu Daten aus dem Dortmunder Drogenkonsumraum „Café Kick“. Doch was ist mit den Drogenabhängigen, die ihre Drogen nicht in den Einrichtungen des Hilfesystems nehmen?

Diese Lücke will die Stadt Dortmund schließen. Sie gab deshalb vergangenes Jahr eine umfassende Studie in Auftrag. Es soll nach Angaben des Gesundheitsamts „die bisher detaillierteste Bestandsaufnahme vor Ort nach wissenschaftlichen Standards“ werden.

„Mit dieser systematischen Szeneerhebung erhoffen wir uns weitreichende Erkenntnisse über das Konsumverhalten und die Lebensbedingungen insbesondere der Abhängigen, die unsere Hilfeeinrichtungen bisher nicht in Anspruch nehmen“, so Amtsleiter Holger Keßling.

Der Frankfurter Soziologe Prof. Dr. Bernd Werse leitet die detaillierte Studie zur Dortmunder Drogenszene.
Der Frankfurter Soziologe Prof. Dr. Bernd Werse leitet die detaillierte Studie zur Dortmunder Drogenszene. © NOICrew

Die Expertise dafür hat sich die Stadt aus Deutschlands inoffizieller Drogenhauptstadt geholt, aus Frankfurt am Main, dessen Drogen-Hotspot im dortigen Bahnhofsviertel vom britischen Revolverblatt „The Sun“ im EM-Sommer 2024 als „Zombieland“ geschmäht wurde.

Ein Forschungsteam unter der Leitung des Soziologie-Professors Bernd Werse, dem Direktor des Instituts für Suchtforschung an der „University of Applied Sciences“ (UAS) Frankfurt, ist seit Dezember wöchentlich an den Orten der offenen Szene und in den Hilfseinrichtungen in Dortmund unterwegs und befragt dort Drogensüchtige.

Ziel sind rund 150 Interviews

Ende März endet die Interviewphase des Teams: Rund 150 Interviews werden Werses Mitarbeiter dann mit Dortmunder Szene-Angehörigen geführt haben.

Dabei handele es sich um ausführliche Befragungen, erklärt Werse im Gespräch mit unserer Redaktion. Es ging in ihnen unter anderem um den Gesundheitszustand der Drogenabhängigen, ob und wie sie das System der Dortmunder Drogenhilfe nutzen, aber auch darum, wie die Preise und die Qualität der Drogen seien, die auf Dortmunds Straßen gehandelt werden. „Was genau wird konsumiert? Das wird spannend, das mit anderen Städten zu vergleichen“, sagt Werse.

Keine unbemerkten Treffpunkte der Drogenszene

Ein Ziel der Studie ist es auch, die Haupt-Treffpunkte der Drogenszene zu identifizieren. Dabei habe man „keine Überraschungen“ erlebt, sagt Dr. Ines Arendt, eine der beiden Organisatorinnen der Erhebung: „Wir haben keine unbemerkten Szeneorte feststellen können.“

Die Szene treffe sich besonders an zwei Orten: „Der Bereich um den Konsumraum hat eine hohe Belastung, und der Nordmarkt.“ Abseits der Öffnungszeiten des „Café Kick“ verlagere sich die Szene in der City dann wieder in den Stadtgarten, einen weiteren traditionellen Treffpunkt.

Dr. Ines Arendt ist eine der beiden Organisatorinnen der Dortmunder Szeneerhebung.
Dr. Ines Arendt ist eine der beiden Organisatorinnen der Dortmunder Szeneerhebung. © Arendt

Teil der regelmäßigen Touren der Interviewer waren auch weitere Orte, die den Forschern im Vorfeld aus dem Dortmunder Hilfesystem heraus als mögliche Treffpunkte genannt worden waren: die Umgebung der Straße Oestermärsch im Borsigplatzviertel, der Brügmannplatz an der Grenze der Nordstadt zur City, der Hörder Bahnhof und der Wilhelmplatz in Dorstfeld. Doch an ihnen habe man nur vereinzelt Konsumenten angetroffen, so Arendt.

„Es ist in den letzten Jahren eine Szeneversprengung zu beobachten – auch wegen der verstärkten Kontrollen durch die Behörden“, sagt Arendt.

Größe der Dortmunder Drogenszene ist schwer zu bestimmen

Generell sei es schwierig, die Gesamtgröße der Dortmunder Drogenszene zu bestimmen, finden die beiden Forscher - viele Drogenabhängige konsumierten im Verborgenen, nicht in der Öffentlichkeit. Zudem gebe es Abhängige, die sich nur kurzzeitig in der Szene aufhalten und dann weiterziehen.

Mit der Erhebung erreiche sein Team eher den harten Kern, den es in jeder urbanen Szene gebe, sagt Werse. Aber selbst bei der Schätzung dieses Kerns bleibt der Forscher vorsichtig: „Nach dem, was wir aus unserer Erhebung und Befragungen in anderen Städten mitbekommen haben, gehen wir von mindestens einigen hundert Menschen in der harten Drogenszene in Dortmund aus.“

Diese Größenordnung deckt sich mit der „sehr groben und insofern kaum seriösen und objektiven Schätzung“, die der Dortmunder Aidshilfe-Geschäftsführer Willehad Rensmann auf Anfrage unserer Redaktion abgibt, nach der „sich tagtäglich einige Hundert Drogenkonsumierende in der – im weitesten Sinne – Innenstadt aufhalten“.

„Solche Erhebungen sind in deutschen Städten bislang rar“

Von der Dortmunder Studie erhofft sich Werse, der in Frankfurt bereits seit 20 Jahren regelmäßig Szenebefragungen durchführt, auch Erkenntnisse für die bundesweite Suchtforschung: „Solche Erhebungen sind in anderen deutschen Städten bislang rar.“ Sie könnten helfen, mögliche Muster in den Drogenszenen und beim Hilfebedarf in den jeweiligen Städten zu finden.

Die Drogenszenen der deutschen Großstädte würden sich teilweise stark unterscheiden, so Werse: „In Frankfurt ist sie extrem konzentriert auf das Bahnhofsviertel, in Berlin sehr verteilt. München wiederum verdrängt die Szene durch starken Kontrolldruck in die Unsichtbarkeit.“

Studie zu Dortmunds Drogenszene ist im Sommer fertig

Den letzten Teil seiner Arbeit an der Dortmunder Studie hat Werses Team noch vor sich: Nach dem Abschluss der Befragungen beginnt nun die Auswertung der Fragebögen. Mit ersten Ergebnissen sei erst Ende Juni zu rechnen, sagt Werse, mit dem Abschlussbericht wahrscheinlich noch etwas später.

Die Ergebnisse werden dann den politischen Gremien der Stadt vorgestellt - und möglicherweise noch die Diskussion um das „Café Kick“ beeinflussen.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 28. März 2025.