Tesfalem Weldemichael aus Eritrea ist voll in seinem Element: Gebäudetechnik ist sein Ding. © Oliver Schaper

Fehlende Fachkräfte

Flüchtlinge und Ausbildung: Wie ein junger Eritreer ein Glücksfall für das Handwerk wurde

Dem Handwerk fehlt Nachwuchs. Die Idee, geflüchtete Menschen für einen handwerklichen Beruf zu werben, wird in Dortmund seit drei Jahren umgesetzt. Mit erstaunlichen Ergebnissen.

Dortmund

, 09.08.2018 / Lesedauer: 4 min

Eigentlich könnte Tesfalem Weldemichael Wertvolles für sein Land tun. Der 22-Jährige wollte Ingenieur werden, studierte bereits erfolgreich, und sollte dann eingezogen werden. Das Pech für den dunkelhäutigen Mann: Sein Land ist Eritrea. Ein demokratisches Staatsgebilde auf dem Papier, nach UNO-Beobachtern aber ein Unrechtstaat, in dem Menschenrechte mit Füßen getreten werden.

Die Haftbedingungen in den geheimen, teils auch offiziellen Internierungslagern und Militärgefängnissen des Staates im nordöstlichen Afrika gelten als prekär. Es kommt zu Folter, sexuellem Missbrauch, Gewalt, sogar zu Todesfällen. Ein solches Internierungslager drohte auch dem jungen Ingenieur-Studenten, weil er nicht zum Militär wollte. Dazu ist Tesfalem Weldemichael Christ und Eritrea das Land, in dem Christen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit mit am stärksten unterdrückt werden.

Neun Monate auf der Flucht

Zwischen heute, Weldemichaels Ausbildungsplatz beim Wohnungsunternehmen Vonovia, und damals, Ende 2014, liegen nach neun Monaten Flucht viele Stationen in Italien und Deutschland, Asylheime, Deutschkurse und Praktika. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Menschen mit einem Fluchthintergrund sehr motiviert sind“, sagt Max Niklas Gille, Unternehmenssprecher von Vonovia.

Da steht er nun, schmächtig und klein, mit einem Stromprüfgerät vor zwei Steckdosen. Seit dem 1. August ist Tesfalem im zweiten Jahr der Ausbildung zum Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik. Der junge Mann aus Eritrea hat seinen Traum vom Weiterstudieren noch nicht aufgegeben. In recht flüssigem Deutsch berichtet er, dass man ihm hier sehr geholfen habe. „Für mich ist Deutschland ganz toll.“

Seine Flucht aus dem Land, in dem ihm Gefängnis und Folter drohten, ging über Eritreas Nachbarstaaten Äthiopien und den Sudan und schließlich nach Libyen mit seinen gefürchteten Flüchtlingslagern. Wiederholt landete Tesfalem Weldemichael in Gefängnissen, er fand sich in Kleinlastern wieder mit gestapelten 30, 40 Menschen darin, wanderte von Lager zu Lager und sah dort viele Menschen sterben, bis er schließlich 2015 in Sizilien aus einem Flüchtlingsboot an Land klettern konnte. Über Rom und Mailand kam er nach Deutschland, zunächst nach München, dann ins Auffanglager Unna-Massen, nach Wickede und schließlich in die Asylunterkunft der Diakonie nach Dortmund-Huckarde.

Kompetenzcheck bei der Caritas

Es dauerte bis zur Aufenthaltsgenehmigung. Im Mai 2016 konnte sich der junge Eritreer einem Kompetenzcheck über den Caritasverband unterziehen und dann einen Monat als Krankenpflegepraktikant im St.-Johannes-Hospital arbeiten. Es folgten ein zweiter Kompetenzcheck über die Handwerkskammer, Bewerber-Training, Deutschkurse, Praktika beim Dachdecker, Zahntechniker und im Sanitär- und Heizungsgewerbe.

Gebäudetechnik, das war sein Ding. „Frau Efe half mir viel. Meine erste Bewerbung ging zu Vonovia, ich bekam eine Einladung zum Praktikum, dann hatte ich Glück und bekam einen Ausbildungsplatz“, erzählt Tesfalem. Meryem Efe ist bei der Handwerkskammer Ausbildungsstellenvermittlerin mit dem Schwerpunkt Migration.

Ein junger Flüchtling im Glück: „Mein Ausbilder Thomas Lenzing ist ein guter Chef.“ Beim Technischen Betriebsleiter Elektro lernt der 22-Jährige Steckdosen und Schalter anzuschließen, Kabel zu verlegen, Rauch- und Bewegungsmelder zu installieren. Er wird fit gemacht rund um die Elektrik im ganzen Haus.

60 Nationen in den Vonovia-Wohnungen

Damit passt der junge Geflüchtete exakt ins Konzept des Wohnungsunternehmens. „Wir haben einen hohen Bedarf an Mitarbeitern, weil wir stark wachsen und viele internationale Mieter haben.“ Max Niklas Gille spricht von 60 Nationen, die in den 400.000 Vonovia-Wohnungen bundesweit leben. Mitteilungen an die Mieter sind in vier Sprachen abgefasst.

Etwa 20 Geflüchtete sind beim Unternehmen deutschlandweit in der Ausbildung. Vonovia wächst stark – von 5000 Mitarbeitern vor drei Jahren auf 10.000 jetzt. Das Unternehmen will das Gebäudemanagement mit eigenen Kräften stemmen. Fest angestellt hat Vonovia bereits einen Gesellen, der 2015 aus dem Kosovo geflohen war und erfolgreich seine Ausbildung absolvierte. Das Zukunftsmodell könnte auch Tesfalem Weldemichael in zwei Jahren beschert sein. Er träumt noch vom Studium. Kein Problem für Vonovia: „Wir haben schon jetzt viele Dualstudierende“, sagt Unternehmens-Sprecher Gille.

2015, im Jahr der Massenflucht Richtung Deutschland, startete die Handwerkskammer ihr Pilotprojekt, Geflüchtete auf dem Weg in eine Ausbildung zu unterstützen. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanzierte den Start mit 19 Männern und drei Frauen.

Gut Vernetzung hilft der Ausbildung von Flüchtlingen

Tobias Schmidt, Projektmanager für internationale Projekte und Nachwuchswerber bei der Handwerkskammer, vernetzte sich mit Ausländerbehörden, Jobcentern, caritativen Einrichtungen, Arbeitsagenturen, und Flüchtlingshilfeeinrichtungen. Neben umfassender Beratung und Berufsorientierung durch Schnupperpraktika gibt’s für die Geflüchteten Bewerbertraining und berufsbegleitenden Sprachunterricht. Die meisten stammen aus Syrien, dem Irak, Iran, aus Eritrea und auch aus Russland. Das Ziel: die Bewerber-geeignete Ausbildung.

Von gut ausgebildeten Flüchtlingen könnte künftig das deutsche Handwerk profitieren, oder auch die Heimatländer der Geflüchteten, wenn zum Beispiel nach dem Krieg in Syrien das Land wieder aufgebaut werden muss. „Primär haben wir nach Flüchtlingen gesucht, die anerkannt sind, aber auch nach solchen, die nur eine Duldung hatten“, sagt Schmidt. Ihm ist kein Fall bekannt, wo ein Flüchtling aus der Ausbildung abgeholt und abgeschoben wurde.

Nachwuchs fehlt überall

Gefragt sind Nachwuchskräfte in fast allen Handwerksbereichen, von A wie Anlagenmechanik bis Z wie Zahntechnik. Aus dem Pilotprojekt wurde längst eine Dauer-Einrichtung: Inzwischen sind fast 200 Geflüchtete in die Qualifizierung der Kammer eingebunden, 96 haben ihre Ausbildung begonnen oder sie befinden sich in einem Einstiegsqualifizierungsjahr. Das ist ein von der Arbeitsagentur finanziertes Langzeitpraktikum.

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