Auf dem Handy des Dortmunders Michael Schild landen immer wieder Anrufe von Senioren, die einen Impftermin wollen. © Schild

Impf-Hotline

„Falsch verbunden“: Dortmunder erhält massenweise Anrufe für die Impf-Hotline

Keiner kann so nett „Falsch verbunden“ sagen wie Michael Schild: Auf dem Handy des Dortmunders landen Dutzende Anrufe, die eigentlich für die Impf-Hotline gedacht sind. Er macht das Beste draus.

Dortmund

, 30.01.2021 / Lesedauer: 4 min

Michael Schild wurde vom Medienecho geradezu überfahren. Der 60-jährige LKW-Fahrer aus Dortmund hat eine Handynummer, die in acht Ziffern identisch mit der offiziellen Impf-Hotline für Nordrhein-Westfalen ist. Statt bei der 0800 116 117 landen die teils hochbetagten Anrufer seit Montag (25.1.) auf Schilds privatem Smartphone. Schild geht auch dran – in seiner Pause und nach Feierabend. Und er findet tröstende Worte.

Das alles hatte Schild im WDR-Radio erzählt. Und weil er ein Typ ist, rauschte seine Geschichte durch den Blätterwald und über den Äther. „Was ich da losgetreten habe, ist mir fast schon zu viel. Das war eine Mordswelle. Dabei geht es hier nicht um mich, sondern um die alten Menschen. Das sind Leute um die 80, die verzweifelt versuchen, einen Impftermin zu bekommen“, betont er in einem Telefonat aus seinem 18-Tonner, den er für das Gespräch am Straßenrand geparkt hat.

Seine Stimme klingt jung und verständnisvoll, mit der er den Anrufern immer wieder dieselbe Hiobsbotschaft übermittelten muss: „Sie sind leider falsch verbunden.“ Sauer wird er nur, wenn er daran denkt, wie sich die Senioren fühlen müssen, die immer wieder vergeblich versuchen, am Rechner oder am Telefon ans Ziel zu kommen.

Möglicherweise ein Umleitungsfehler

Sauer wird er auch bei der Vorstellung, dass NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann sich für ihre Impfstrategie „gegenseitig auf die Schulter klopfen und den alten Menschen raten, bloß nicht ungeduldig zu werden“. Er sieht das wie der Heinsberger Landrat Stephan Pusch, der in seinem Ärger um die Impforganisation und die Corona-Maßnahmen öffentlich gesagt hat, dass bei der Impfstoffbeschaffung jeder Milchbauer im Münsterland besser verhandelt hätte als die EU.

Schild glaubt auch nicht daran, dass die Anrufer sich so oft verwählt haben, sondern eher an einen Umleitungsfehler beim Netzbetreiber, weil alle falsch verbundenen Handy-Anrufer dieselbe Vorwahl wie er gehabt hätten.

Am Montag ging das los mit den Telefonaten. Um 8 Uhr morgens, pünktlich zum Start der Terminvergabe, klingelte sein Handy das erste Mal. Eine Nummer, die er nicht zuordnen konnte. Er war gerade auf Tour. „Während der Fahrt gehe ich nicht dran, wenn ich die Anrufe nicht zuordnen kann, außer es ist die Spedition oder es sind Kunden.“

„Was ist das für eine Bananenrepublik“

Doch schließlich ist er für seine Pause in der Nähe von Krefeld auf einen Parkplatz gefahren. Und kurz darauf klingelte das Telefon erneut. Ein älterer Herr war dran, meldete sich gleich mit seinem Namen, wo er wohnt, und sagte, es gehe um die Vergabe eines Impftermins. „Ich musste ihm dann sagen, dass es sich um einen fehlgeleiteten Anruf handelte.“ - „Mein Gott, was mach ich bloß“, habe der Mann an der anderen Leitung gesagt und sich vielmals entschuldigt, Michael Schild bei der Arbeit gestört zu haben.

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Er habe den Mann dann beruhigt, erzählt Schild und gesagt: „Nicht Ihnen muss es leidtun, sondern mir tut es leid, was Sie mitmachen müssen.“

Tief berührt hat Michael Schild auch für die ältere Dame, die ihn am Dienstagabend erreicht hat. Ihr Mann sitze seit zehn Stunden am Rechner, um einen Impftermin zu bekommen, berichtete sie dem LKW-Fahrer, und sie selbst telefoniere pausenlos. „Dann kriegt sie nach drei Stunden endlich einen Anschluss, aber den falschen.“ Die Frau habe geschimpft. Aber nicht auf Michael Schild, sondern auf das Impf-Chaos. „Was ist das für eine Bananenrepublik“, habe sie gesagt.

Über 100 Anrufe in Abwesenheit

Michael Schild fühlt mit den Senioren. Manche Leute hätten wahrscheinlich den ganzen Tag seine Nummer angerufen, mutmaßt er. Ganz zu schweigen von denen, die gar nicht durchgekommen seien. Am Montag waren es 63 Anrufe in Abwesenheit, am Dienstag 53, danach wurden es weniger.

Nach Feierabend ist er öfter ans Telefon gegangen. Einmal bis 21.20 Uhr. „Das waren durchgehend sehr nette, freundliche Herrschaften.“ Ganz anders, als es sonst Hotline-Mitarbeiter erlebten. Auf alle Anrufer hat Schild mit Verständnis reagiert: „Schließlich kann man den Menschen nicht plump und abgenervt kommen, wenn diese selbst schon abgenervt, aber immer noch freundlich sind.“

Dass Schild so eine Lanze für die Senioren bricht, hängt auch damit zusammen, dass seine Schwiegermutter im Dezember, also im Coronajahr, gestorben ist. „Wir haben das mit den Testungen mitgemacht. Ich habe mich immer um sie gekümmert, war für sie da, wenn sie mich gebraucht hat.“

Immer mit älteren Menschen zu tun gehabt

Michael Schild hat immer mit älteren Menschen zu tun gehabt, hat mit dem LKW Altenheime beliefert und die Menschen gesehen, die zum Beispiel auf der Station für Demente zusammengesunken im Sessel sitzen oder mit Rollatoren über die Flure schlurfen.

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Seit 1992 sitzt er als Fahrer auf dem Bock, früher im Fernverkehr, heute fährt er durch das gesamte Ruhrgebiet für eine alteingesessene Dortmunder Spedition. Davor ist er schon bei der Bundeswehr LKW gefahren.

Solange noch Anrufe bei ihm eintrudeln und er Zeit hat, dranzugehen, macht Schild weiter den Telefonseelsorger und tröstet die alten Menschen. „In 20 Jahren hänge ich vielleicht selbst am Telefon“, sagt er, „denn ich glaube nicht, dass das Virus dann bekämpft ist.“

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