Mervet Gangir ist ein bisschen wehmütig. Die Architektin steht in einem lichtdurchfluteten Raum auf brandneuem Fischgrätenparkett und blickt aus einem riesigen Fenster mit kunstvollen Innenstreben. Seit über drei Jahren ist sie fast jeden Tag zwei- bis dreimal in diesem und den anderen Teilen des Gebäudes unterwegs. „Ein bisschen war das wie mein Baby“, sagt sie.
Ihr „Baby“, das ist eines der schönsten Häuser des Kreuzviertels. Seit 2020 wird die alte Stadtvilla am Neuen Graben 11 aus dem Jahr 1908, deren klassizistische Fassade die Blicke der Passanten auf sich zieht, komplett entkernt und auf links gedreht.
Gangir hat in den vergangenen Jahren jeden Quadratzentimeter des alten Gemäuers kennengelernt. Die 36-Jährige verantwortet für den Hausbesitzer, die Dortmunder Immobilienfirma „Casa Sogno“, die Bauleitung. Sie kann aus dem Stand sagen, wie viele neue Fenstergriffe eingebaut wurden (117), genauso wie die Anzahl der Stahlträger, die zur Stabilisierung des Tragwerks eingebaut wurden (36). Jetzt nähert sich das Mammutprojekt seinem Ende.
Einen „niedrigen einstelligen Millionenbetrag“ hat „Casa Sogno“ in das Haus gesteckt, sagt Geschäftsführer Leonard Sträter. „Das war mit Abstand unser aufwändigstes Sanierungsprojekt bisher“, sagt der 33-Jährige - das will etwas heißen, schließlich hat sich sein Unternehmen auf solche Objekte spezialisiert.
Die schwierigste Aufgabe sei es gewesen, das denkmalgeschützte Gebäude energetisch zu sanieren. Das Haus wurde unter anderem komplett neu gedämmt und bekam eine Wärmepumpe.
Beim Austausch der Fenster ging es um absolute Präzision: Auf der Rückseite des Gebäudes hatte jedes Fenster einen Stahlrahmen, da mussten die neuen Fenster millimetergenau passen. Auf der Vorderseite mussten Spezialanfertigungen aus Polen her, weil die Fassade mit ihren großen Sprossenfenstern ihr Erscheinungsbild nicht verändern durfte.

Ähnlich großer Aufwand wurde im Innern betrieben: Sträter und Gangir ließen beispielsweise moderne Heizkörper im Retro-Look extra aus Großbritannien importieren, trotz vier Monaten Lieferzeit. Die Holztreppe wurde von ihrem PVC-Belag befreit und „teilweise mit Zahnbürsten“ abgeschrubbt, um das Originalholz von 1908 wieder herauszuarbeiten.
In die Mitte des Treppenhauses ließ „Casa Sogno“ den laut Sträter „kleinsten Aufzug Dortmunds“ einbauen: Seine jeweils nur 60 Zentimeter breite und tiefe Kabine ist nichts für Menschen mit Klaustrophobie. Über 100.000 Euro kostete die Spezialanfertigung, für die um jeden Millimeter im Treppenauge gekämpft wurde.

Das Interesse an den neun Wohnungen war gigantisch: Rund 200 Mietinteressenten habe es für die neun zwischen 68 und 144 Quadratmeter großen Wohnungen gegeben, erzählt die für die Vermietung zuständige „Casa Sogno“-Mitarbeiterin Marie Mannel.
Inzwischen sind laut Mannel acht von ihnen vermietet, die neunte „so gut wie“. Die Mietergemeinschaft sei sehr gemischt: „Wir haben hier viele junge Pärchen drin, aber auch alleinstehende Mieter, dazu eine ältere Dame und eine Familie.“
Bedürftig wird niemand von ihnen sein - anderenfalls könnten sie sich die Wohnungen in der Stadtvilla nicht leisten: Die Warmmieten reichen von 1210 Euro pro Monat für die kleinste Wohnung bis zu 2600 Euro für die größte und liegen damit bei rund 18 Euro pro Quadratmeter; kalt seien es rund 15 Euro, so Sträter.

Die ersten Mieter sind bereits eingezogen. Noch leben sie in einer Baustelle: Das Treppenhaus ist noch nicht fertig, auch in einigen Wohnungen wird noch gewerkelt, dazu fehlt noch die gußeiserne Einfriedung des Vorgartens. Bis Ende des Jahres wolle man fertig sein, verspricht Sträter.
Ein bisschen Zeit bleibt Architektin Gangir also noch, von ihrem „Baby“ Abschied zu nehmen.
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