„Eskalation der Gewalt“ Pressezensur und Propaganda prägten Dortmunds Widerstand gegen die Franzosen

„Eskalation der Gewalt“: Pressezensur und Propaganda prägten Ruhrkampf
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Die Bilder waren drastisch. Verhärmte Gesichter, Soldatenstiefel und Gewehre, Gewaltdarstellungen – die Flugblätter sollten aufrütteln. Sie waren ein wichtiges Instrument des Protests und des passiven Widerstands gegen die französische Besatzung des Ruhrgebiets, die im Januar 1923 begann.

Weil Deutschland nicht in der Lage war, die Reparationsforderungen der Siegermächte nach dem Ersten Weltkrieg zu erfüllen, versuchte Frankreich mit der Besetzung des Ruhrgebiets sich Kohle und andere Güter zu sichern. „Man nannte das die Politik der produktiven Pfänder“, erklärt Dr. Karl-Peter Ellerbrock als Leiter des Westfälischen Wirtschaftsarchivs.

Im Westfälischen Wirtschaftsarchiv unter der Leitung von Karl-Peter Ellerbrock werden zahlreiche Dokumente, Flugblätter und Plakate zum Ruhrkampf bewahrt.
Im Westfälischen Wirtschaftsarchiv unter der Leitung von Karl-Peter Ellerbrock werden zahlreiche Dokumente, Flugblätter und Plakate zum Ruhrkampf bewahrt. © Oliver Volmerich

Arbeiter und Unternehmen im Ruhrgebiet reagierten mit Sabotage und passivem Widerstand gegenüber den Besatzern – angestachelt auch durch Flugblätter und Plakate, von denen vielen im Wirtschaftsarchiv erhalten sind. Sie sind Symbol für die Pflege der alten Feindbilder und die Eskalation der Gewalt, erklärt Ellerbrock.

Dass Flugblätter und auf Mauern und Bretterzäune geklebte Plakate zum Propaganda-Medium wurden, hatte auch damit zu tun, dass kritische Stimmen etwa in der Presse beschränkt wurden. Das Nachrichtenwesen war ein Schwerpunkt der Konflikte zwischen Besatzern und Besetzten, berichtet die Historikerin Margrit Schulte Beerbühl. Zeitweise reagierte die Militärführung deshalb mit Zensur, um kritische Berichte zu verhindern oder zu bestrafen.

Ein Flugblatt aus der Zeit des Ruhrkampfes
Der passive Widerstand gegen die französischen Besatzer wurde durch solche Flugblätter und Plakate angefacht. © WWA

Lambert Lensing junior, Verleger der Tageszeitung „Tremonia“, die Vorgängerin der Ruhr Nachrichten war, berichtete Jahre später von den aufreibenden Auseinandersetzungen mit den französischen Besatzern.

In den ersten Wochen habe man noch die Aufrufe der Reichsregierung und verschiedener Institutionen zum Kampf gegen die Besatzung veröffentlichen und „Übergriffe“ anprangern können. „Die Berichte über Bestrafungen und Ausweisungen, insbesondere von Beamten der Eisenbahn und Polizei, nahmen ganze Spalten in Anspruch“, erläuterte Lensing. Die Bewohner des unbesetzten Gebietes – die „Grenze“ verlief mitten durch Dortmund – seien zu Geld und Lebensmittelspenden aufgerufen worden.

Umstrittene Zeichnung

Am 24. Januar 1923 gab es erste Versuche des Generalkommandos der französischen Division, die Aufsicht über die deutsche Presse zu übernehmen. Höhepunkt der Auseinandersetzung war das Verbot der Tageszeitung „Tremonia“, der Vorgängerin der Ruhr Nachrichten. Sie veröffentliche am 3. Februar 1923 eine Zeichnung aus der französischen Zeitung „Le Journal“. Sie zeigt die Frankreich symbolisierende Marianne, die den deutschen Michel mit einem Strick erwürgt.

Ein Flugblatt gibt die umstrittene Zeichnung aus der französischen Zeitung "Le Journal" wieder.
Ein Flugblatt gibt die umstrittene Zeichnung aus der französischen Zeitung "Le Journal" wieder. Zuerst hatte die Tageszeitung "Tremonia" das Bild nachgedruckt. © WWA

„Das Bild erschien nach wenigen Tagen in der gesamten Presse des Ruhrgebietes und wurde außerdem in tausenden von Flugblättern und Maueranschlägen verbreitet“, berichtet Lambert Lensing. Anfang Februar gab es die ersten Einschränkungen für die Verbreitung der „Tremonia“ durch das französische Militärkommando. Am 13. März wurde die Zeitung dann „wegen tendenziöser und aufreizender Artikel“ für den Zeitraum von drei Monaten verboten. Als der Verlag das ignorierte, wurden Zeitungspakete beschlagnahmt. Boten seien misshandelt und mit Bestrafung bedroht worden, schildert Lensing.

Einen Monat später kam der Zeitungsverleger selbst in den Fokus. Am 13. April wurde er gemeinsam mit zwei Mitarbeitern verhaftet und ins Militärgefängnis nach Castrop gebracht. „Eine Durchsuchung der Betriebsräume fand glücklicherweise nicht statt“, merkt Lensing selbst an. „In der Druckerei der ‚Tremonia‘ lagerten große Mengen von Flugblättern, deren Auffindung den Franzosen zweifellos Anlass gegeben hätte, den ganzen Betrieb zu schließen.“

Lambert Lensing
Lambert Lensing kam für fünf Wochen in französische Untersuchungshaft. © Archiv Lensing

Das Weitererscheinen der „Tremonia“ war allerdings nicht mehr möglich, berichtet Lensing. Nach zwei ganz zeitungslosen Tagen wurde den Lesern der „Herner Anzeiger“ mit einigen wenigen lokalen Berichten geliefert.

Während die beiden Mitarbeiter noch am Abend des 13. April wieder aus dem Militärgefängnis entlassen wurden, blieb Lambert Lensing bis zum 15. Mai in Untersuchungshaft und wurde dann gegen Zahlung von 500.000 Mark entlassen. Das Verbot der „Tremonia“ wurde aufgehoben. Sie musste aber auf der Titelseite eine „Ermahnung“ des französischen Divisionsgenerals abdrucken.

Die Geschehnisse hatten Folgen: „Nach diesen Ereignissen war es klar, dass die bisherigen offene und kühne Sprache gegenüber der Besatzungsbehörde gemäßigt werden musste. Anderenfalls war mit einem dauerhaften Erscheinungsverbot zu rechnen“, merkte Lensing an. Trotzdem kam es nach einer als „ironisch“ empfundenen Darstellung eines französischen Marschalls vom 25. bis 29. März 1924 zu einem zweiten Verbot der „Tremonia“.

Probleme an der Grenze

Noch ärger trafen den Verlag und auch andere Zeitungshäuser die Folgen der Grenzsperrungen zwischen besetzten und unbesetzten Gebieten. Papier wurde knapp, musste, wie Lensing berichtet, „auf allen möglichen Schleichwegen und gegen hohe Unkosten über die Grenze gebracht werden“. Auch die Leserschaft und damit der Vertrieb wurden durch die Grenze geteilt. Teilweise seien die Zeitungen „unter den Kohlen von Lokomotiven oder in Lebensmittelwaggons versteckt“ über die Grenze gebracht worden, erklärt Lensing.

„Am Schluss des Ruhrkampfes war die ‚Tremonia‘ wirtschaftlich aufs schwerste erschüttert“, bilanzierte Lambert Lensing in einem Beitrag zum 50-jährigen Bestehen der „Tremonia“ 1926. „60 Prozent ihres Inserenten- und fast 35 Prozent ihres Abonnentenstandes hatte sie verloren.“

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