„Er versuchte, mich mit einer Hundeleine zu strangulieren“ Dagmar S. spricht über ihre Ehe-Hölle

Dagmar S. spricht über Gewalt in ihrer Ehe – um andere Frauen zu warnen
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„Pass auf dich auf“, hatte die Freundin sie gewarnt , „ich habe Angst um dich“. Das war vier Tage, bevor Dagmar S. beinahe umgebracht worden wäre. Von ihrem damaligen Mann. Sie hatte die Warnung ihrer Freundin nicht ernstgenommen.

Dabei gab es schon lange Alarmzeichen. Dagmar S. spricht erstmals öffentlich darüber in einem Podcast der Dortmunder Autorin Heike Wulf – und auch mit dieser Redaktion, um andere Frauen zu warnen.

Wenn man Dagmar S. (58) gegenübersitzt, kann man sich kaum vorstellen, dass sie sich über Jahre von einem Mann verprügeln ließ und ihm immer wieder verziehen hat. Die Mutter zwei erwachsener Söhne und Geschäftsfrau wirkt selbstbewusst und weiß, ihr Wort zu machen, auch wenn sie heute über die 19 gemeinsamen Jahre spricht.

Es begann wie ein Traum

Was so furchtbar endete, hatte für Dagmar S. begonnen wie ein Traum. Sie war 36 Jahre jung und litt unter einer frischen Trennung, ihre Söhne waren sieben und zwölf Jahre alt, als sie ihrem Peiniger im August 2000 begegnete.

Er war 23 und trug sie auf Händen. Ihre Freunde fanden ihn damals schon schräg, doch sie fühlte sich geschmeichelt, wenn er sie mit Aufmerksamkeiten und Liebeserklärungen überhäufte, immer schon vor der Tür stand, wenn sie nach Hause kam. „Love Bombing nennt man das“, sagt sie heute.

Bereits ein halbes Jahr später machte er ihr einen Heiratsantrag, nur ein Jahr nach dem Kennenlernen haben sie geheiratet. Ganz in Weiß. „Wir waren ein schönes Paar“, erzählt Dagmar S.

Auf ungesunde Art verschmolzen

Sie haben dann gemeinsam eine Firma aufgebaut, haben alles zusammen gemacht, hatten fast nur noch Kontakte zu Geschäftspartnern, Mitarbeitern und zu ihrer Familie. Es gab kein Raum mehr für andere. „Wir waren in einer sehr ungesunden Art miteinander verschmolzen.“

Dagmar S. mit blutiger Kopfverletzung.
Mit einer Schneeschaufel fügte ihr Mann Dagmar S. diese Kopfverletzung zu. © privat

2004, als es schon keine Freunde mehr gab, kam es zum ersten körperlichen Übergriff. Er schubste sie und zerriss ihre Bluse. Ihr jüngerer Sohn rief die Polizei. Ihr Mann wurde für 30 Tage der Wohnung verwiesen, doch sie nahm ihn kurz drauf wieder auf. Er verklickerte ihr, dass sie falsch reagiert habe. Schuldumkehrung nennt man das.

Sie sind dann in eine schöne Villa in Kirchhörde gezogen. Doch 2007 begann er zu trinken, nachdem er seine Firma in die Insolvenz geführt hatte. „Das hat an ihm genagt“, berichtet sie. Sie hat dann eine neue Firma unter ihrem Namen und mit finanzieller Unterstützung ihrer Eltern aufgebaut und nach ihren Spielregeln geleitet.

Ins Krankenhaus

Doch damit sei er auch nicht klargekommen, sagt sie. Deshalb hat sie 2009 ihre Firma auf seinen Namen überschrieben und sich parallel weiter auf eigene berufliche Füße gestellt, unter anderem mit einer Hundezucht. Als der erste Wurf Boxer drei Tage alt war, hat der Mann Dagmar S. grün und blau geschlagen. Sie musste ins Krankenhaus – und verzieh ihm erneut.

2013 hat sie einen Hund nach Amerika verkauft und freundete sich mit der wohlhabenden Käuferin an. Das ging so weit, dass ihr Mann alle sechs bis acht Wochen nach Las Vegas flog, um die Hunde der Amerikanerin zu trainieren. Doch 2015 flog er auf, weil er kein Arbeitsvisum hatte, und wurde schon am Flughafen wieder nach Hause geschickt.

Danach habe er nur noch getrunken, sagt sie, sei frustriert gewesen und habe sie immer wieder verprügelt. „Der Streit eskalierte immer häufiger“. Im April 2018 schlug er ihr eine Schneeschaufel auf den Kopf. „Da habe ich ihn rausgeworfen.“ Und ihn wieder reingelassen.

Es folgten weitere Übergriffe, und 2019 begann sie allmählich, sich emotional von ihrem Mann zu trennen. Er zog mit seinem Feldbett ins Büro, das in ihrem Haus war. Für Oktober hatte er eine eigene Wohnung in Aussicht. Zu ihrem Geburtstag am 21. August war er nicht mehr eingeladen.

Dagmar S. mit blauem Auge.
Der Mann von Dagmar S. schlug ihr immer wieder ein blaues Auge. © privat

„Jetzt wird alles anders“

Ihr 55. Geburtstag war so etwas wie ihr zweiter Geburtstag; denn beinahe hätte sie wohl diesen Tag nicht überlebt. Ihr Mann hatte sich morgens bei einem trockenen Alkoholiker über eine Suchttherapie informiert, kam nach Hause und sagte zu ihr: „Jetzt wird alles anders.“

Doch sie wollte nicht mehr, wünschte ihm alles Gute und sagte ihm, sie könne ihn nicht mehr sehen, nicht mehr riechen, er solle einfach gehen. „Das wollte er nicht wahrhaben“, sagt sie. „Er lief immer hinter mir her und sagte ,Ich hätte nicht gedacht, dass ich das tun muss, aber dann muss ich das wohl tun.‘“

Dagmar S. bekam Panik, rief ihren Sohn an, lief nach draußen in den von hohen Mauern umgebenen Innenhof und schrie um Hilfe. Dort packte er sie an den Haaren und zog sie wieder ins Haus. „Er schlug mich mit unbändiger Wut, trat mir immer wieder gegen den Kopf und versuchte, mich mit einer Hundeleine zu strangulieren.“ Sie hatte allerdings wie automatisch die Hände dazwischen geschoben, um ihren Hals zu schützen.

Tortur dauerte 15 Minuten

Die Tortur habe 15 Minuten gedauert, sagt sie. Drei Nachbarn und ihre Schwiegertochter, die die Szenen von oben aus umliegenden Fenstern beobachten konnten, und ihr Sohn riefen die Polizei. Ein Nachbar schaffte es schließlich ins Haus, ging dazwischen und holte sie auf die Straße. Der Krankenwagen war eher da als die Polizeibeamten.

Ihr Mann bekam erneut ein 30-tägiges Rückkehrverbot. Mehr nicht. Weil sie keine Würgemale am Hals hatte, sagt sie. Vermutlich hätten die Polizeibeamten ihr auch nicht glauben können, dass es dieses Mal ein versuchter Femizid war, weil sie ihn vorher immer wieder verziehen hatte.

Ein Femizid ist ein Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist. Jeden Tag versucht ein Mann, seine Partnerin umzubringen. Jeden dritten Tag gelingt es ihm. „Der 21. August war der zweite Tag. Ich hatte Glück“, sagt Dagmar S.

Eine fremde Frau

Doch warum hat sie es überhaupt soweit kommen lassen? „Wenn ich zurückschaue, betrachte ich eine fremde Frau.“ Ihre Therapeutin habe ihr erklärt, dass emotionale Abhängigkeit körperliche Reaktionen auslösen könne, die einer Sucht ähnlich sind.

Es habe ja auch schöne Zeiten gegeben, und sie habe in schlimmen Zeiten immer wieder die Hoffnung gehabt, den Menschen, den sie damals kennengelernt und geliebt hat, wiederzufinden. „Man lebt nicht mehr in der Gegenwart sondern in der Vergangenheit und der Zukunft. Man möchte zurück auf das Level, als es mal schön war.“ Zudem sei sie 2017 sehr krank geworden, hatte Sorge, nicht mehr allein zurechtzukommen, und er hatte sie darin immer bestärkt und sie kleingemacht.

Ihr Mann kam am 8. November 2019 wegen versuchten Totschlags in Untersuchungshaft, war aber nach sieben Tagen schon wieder auf freiem Fuß und stalkte sie und ihr Umfeld trotz Kontaktverbots sofort wieder. Er rief sie rund um die Uhr an, schickte Blumen und Karten, kurvte mit seinem Auto sogar um die Polizeiwache, wo sie gerade wieder Anzeige erstattete.

Ein Jahr Haft auf Bewährung

Seine Tat wurde auf gefährliche Körperverletzung heruntergestuft, weil er nach eigener Aussage eigenständig von der Tat abgelassen habe und nicht etwa, weil der Nachbar dazwischengegangen war. Er bekam eine Haftstrafe von einem Jahr, die zu drei Jahren Bewährung ausgesetzt wurde.

Seit dem 24. Juni 2020 ist Dagmar S. von ihrem Mann geschieden. Doch sie leidet noch immer unter den Folgen der toxischen Beziehung. Sie kann nicht allein im Dunkeln nach draußen gehen, ist noch immer in Therapie und kämpft sich in ein normales Leben zurück.

Ohne Respekt keinen Sinn

Heute warnt sie andere Frauen: „Es fängt nicht mit dem ersten Schlag an, sondern früher. Man sollte nicht erst gehen, wenn geschlagen wird, sondern wenn die verbalen Respektlosigkeiten kommen. Jeder hat Anspruch auf Respekt. Wenn der Respekt weg ist, macht es keinen Sinn. Man sollte seinen Stolz behalten, sich nicht unterbuttern lassen. Und wenn etwas passiert, sich Unterstützung suchen.“

Von den Gerichten wünscht sie sich mehr Konsequenz und dass Körperverletzung als solche behandelt wird und nicht – wie vor dem Familiengericht – als Auseinandersetzung in der Familie. Außerdem wünscht sie sich mehr Plätze in Frauenhäusern und alternative Unterbringungsmöglichkeiten für Frauen, die im Frauenhaus etwa wegen ihrer Hunde keinen Platz bekommen.

  • „13 Frauen“ heißt der Podcast von Heike Wulf.
  • Dort kommen Frauen zu Wort, die sich für andere Frauen und Kinder einsetzen, die Opfer geworden sind. Heike Wulf stellt ihre Arbeit und ihren Alltag vor.
  • 13 Frauen – weil 2021 in jeder Stunde des Jahres 13 Frauen Opfer durch ihren Mann geworden sind.

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