
Professor Christian Rehtanz von der TU Dortmund sieht den geplanten Reservebetrieb der Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 (Bild) kritisch. © dpa, TU Dortmund / Montage: Pietsch
Dortmunder Professor kritisiert Robert Habecks Atom-Pläne
Energiekrise
Um die Energieversorgung im Winter zu sichern, will Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck zwei Kernkraftwerke in Reserve halten. Ein Dortmunder Professor sieht in dem Plan verschenkte Chancen.
Nach einem Strom-Stresstest hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vorgeschlagen, zwei Atomkraftwerke als Reserve bereit zu halten, um die Energieversorgung im Winter zu sichern. Der Dortmunder TU-Professor für Energiesysteme Christian Rehtanz sieht darin verschenkte Chancen.
Weiterbetrieb statt Reserve
Der Stresstest selbst sei sehr realistisch und habe auch schwierigere Szenarien wie einen besonders kalten Winter berücksichtigt, so Christian Rehtanz. Mit der politischen Folgerung daraus stimmt er jedoch weniger überein: „Die Atomkraftwerke in Reserve zu nehmen, halte ich für einen Fehler. Wenn sich die Mitarbeitenden dort eh bereit halten, kann man die Kraftwerke auch gleich am Netz lassen.“ Ursprünglich war geplant, die letzten drei deutschen Kernkraftwerke Ende 2022 abzuschalten.
Für den Reservezustand sei im Prinzip der gleiche Aufwand an Personal nötig wie für einen Weiterbetrieb, so Christian Rehtanz. „Da wir wissen, dass insgesamt Energie fehlt, müssen wir alle Möglichkeiten in Betracht ziehen“, so der Ingenieur. Je mehr Kraftwerke am Netz seien, desto höher sei die Chance, dass der Strompreis geringer ausfalle.
Auf Abschaltung eingerichtet
Einige Hürden gebe es für einen Betrieb der in Frage kommenden Kraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 über das Ende des Jahres hinaus allerdings zu beachten, sagt Christian Rehtanz. „Die Betreiber haben sich auf eine Abschaltung eingerichtet und ich habe das Gefühl, dass sie sich nicht darum reißen würden, weiterzumachen.“
Unter anderem sei erfahrenes Personal in Ruhestand gegangen und Wartungen seien reduziert worden. „Bei einem Weiterbetrieb dürfte es natürlich kein Risiko geben. Es müssten Sicherheitskontrollen durchgeführt und gegebenenfalls Dinge erneuert werden.“
Zur Frage nach anfallendem Atommüll erklärt Christian Rehtanz, es gebe zwei Möglichkeiten, die Reaktoren weiter zu betreiben: eine Zeit lang im Streckbetrieb mit den vorhandenen Brennstäben - oder mit neuen. Selbst in letzterem Fall fiele der anfallende Atommüll allerdings gemessen am bereits vorhandenen kaum ins Gewicht.
Nicht alle Probleme in diesem Winter gelöst
„Ich bin kein besonderer Freund der Kernenergie“, betont Professor Christian Rehtanz. „Aber es ist ein Zeitfaktor.“ Der Ausbau erneuerbarer Energieträger, um die Lücke bei der Gasversorgung zu schließen, sei in kurzer Frist nicht möglich und durch zugekauftes Flüssiggas ließen sich die ausfallenden Lieferungen aus Russland nicht vollständig ersetzen.
Ziel müsse sein, „mit möglichst wenig Gas im Strom auszukommen“, so Christian Rehtanz. Auch Kohlekraftwerke seien dafür eine Option. Diese seien jedoch wegen des Niedrigwassers auf dem Rhein aktuell schwierig mit Rohstoff zu versorgen. Im August war das Steinkohlekraftwerk im niedersächsischen Mehrum als erstes aus der Reserve zurück ans Netz gegangen.
Dortmund selbst habe kaum eigene Stromversorgung und müsse daher - wie alle Großstädte - die Versorgung am europäischen Strommarkt einkaufen. So würden auch die Dortmunder und Dortmunderinnen von einer Preissteigerung am Strommarkt voll getroffen werden.
„Ich fürchte, dass wir mit diesem Winter noch nicht alle Probleme gelöst haben werden“, so Christian Rehtanz. Immerhin: Für die Energiewende in Deutschland wirke die aktuelle Krise wohl eher beschleunigend. Und wenn erneuerbare Energien weiter ausgebaut werden, verdrängen sie perspektivisch automatisch andere Energieträger wie auch die Kernenergie vom Markt.
Geboren in Dortmund. Als Journalist gearbeitet in Köln, Hamburg und Brüssel - und jetzt wieder in Dortmund. Immer mit dem Ziel, Zusammenhänge verständlich zu machen, aus der Überzeugung heraus, dass die Welt nicht einfacher wird, wenn man sie einfacher darstellt.
