Gemütlich im Ohrensessel sitzen und vor einer riesigen Bücherwand mit Kamin lesen - ein Ambiente, das Obdachlose bislang wohl eher selten genießen konnten. Jetzt können sie es - im neu eingerichteten Wohnungslosen-Zentrum der Diakonie im Wichern-Haus, das nun offiziell eröffnet wurde.
1928 als Gemeindezentrum entstanden, hat das Wichern-Haus in der Nordstadt einen weiteren umfassenden Wandel erlebt. Zuletzt wurde es als Kulturzentrum mit Kindergarten genutzt. Jetzt ist aus dem Komplex eine zentrale Adresse für Wohnungslose geworden. Und das kann man durchaus wörtlich nehmen.
Denn das Wichernhaus an der Stollenstraße 36 fungiert als Postadresse für inzwischen rund 700 Menschen, die sonst keine Adresse haben - weil sie wohnungslos sind.

Das ist nur ein Service, den das Wohnungslosen-Zentrum bietet. Es gibt auch Möglichkeiten, sich selbst und seine Wäsche zu waschen und neue Kleidung in der Kleiderkammer zu bekommen.
In einem Ruheraum kann man nach einer Nacht im Freien tagsüber schlafen, zählt Diakonie-Geschäftsführer Niels Back auf. Es gibt medizinische Angebote. Man kann PCs und Wlan nutzen, sein Handy aufladen, in Schließfächern seine wenigen Habseligkeiten sichern und in der Küche sein eigenes Essen zubereiten. „Wir haben hier alle Themen unter einem Dach vereint, die für Wohnungslose wichtig sind“, erklärt Niels Back.

Unter dem gemeinsamen Dach mit untergebracht ist auch das Beratungsangebot der Diakonie für Wohnungslose. Insgesamt 20 Fachkräfte bieten Rat und Tat. Das Ziel ist klar: „Wir wollen Wohnungslosigkeit beenden, damit die Menschen aus dem Wohnzimmer auf Zeit in ihr eigenes Wohnzimmer auf Dauer finden“, erklärt Niels Back.
Und das gelingt auch immer wieder. „Wir haben im vergangenen Jahr um die 260 Menschen über die Beratung wieder in eigenen Wohnraum gebracht“, berichtet Timo Stascheit als Leiter des Wohnungslosen-Zentrums.
Bücher durch Spendenaktion
Für alle, bei denen das noch nicht gelungen ist, gibt es jetzt im Wichern-Haus zumindest ein Wohnzimmer auf Zeit - mit meterhoher Bücherwand und zumindest virtuell flackerndem Kamin.
Christiane Schäfer-Winkelmann, die sich mit Ehemann Adolf Winkelmann ehrenamtlich im Wichern-Haus engagiert, hat sich wie Architekt Andreas Hanke vom englischen Landhaus-Stil inspirieren lassen.
„Wir wollten eine schöne Atmosphäre in diesem Wohnzimmer schaffen, um vom Leben auf der Straße einen Ruhepunkt zu haben“, erklärt sie. Die neuwertigen Bücher sind durch Spenden in Zusammenarbeit mit Dortmunder Buchhandlungen und der Stadt- und Landesbibliothek zusammengekommen.

Und das kommt gut an. „Das ist eine schöne Sache“, stellt Ingo fest. Der 53-Jährige ist seit vier Jahren wohnungslos und engagiert sich nun selbst ehrenamtlich bei er Organisation der Bibliothek.
„Wir wollten einen Ort schaffen, an dem man sich angenommen fühlt“, stellt Diakonie-Geschäftsführerin Uta Schütte-Haermeyer. Es gehe um „eine besondere Kultur des Willkommens und der Wertschätzung“, ergänzt Niels Back.

„Das ist wirklich etwas ganz Besonderes“, lobte Dortmunds Sozialdezernentin Birgit Zoerner als Eröffnungsgast. „Das Wichern-Haus ist ein zentraler Anker für obdachlose Menschen in Dortmund und ein Zeichen, dass Dortmund eine solidarische Stadt ist“, sagte sie. Und vielleicht auch mit Blick auf das Protestcamp einer Initiative in der City, das Lücken im Hilfsangebot für Obdachlose beklagt, hob Birgit Zoerner hervor, dass die Obdachlosen-Hilfe immer wieder angepasst werden müsse. Die Hilfsangebote und das Wohnzimmer im Wichern-Haus setzen da in der Tat neue Maßstäbe.
Einen Video-Rundgang gibt es unter rn.de/dortmund
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