
© Oliver Schaper
Ein Dortmunder Wettbewerb, der zur Wiege der Jugendjazzbewegung wurde
„Jugend Jazzt“
40 Jahre ist es her, dass in Dortmund zum ersten Mal der Wettbewerb „Jugend Jazzt“ lief. Generationen von Musikern begannen hier ihre Karriere.
1975: Es ist das Jahr, in dem Steven Spielbergs „Der weiße Hai“ in die Kinos kommt und das erste YPS-Heft erscheint. Es gründen sich die Metalband Iron Maiden, die Europäische Weltraumorganisation (ESA) und die Firma Microsoft. Nachdem Willy Brandt als Regierungschef zurück getreten war, hatte Helmut Schmidt seit gerade einem halben Jahr das Amt des Bundeskanzlers inne.
Der Dortmunder Rainer Glen Buschmann war 47 Jahre alt, als er im März jenes Jahres das „Jugend Jazz Orchester Nordrhein-Westfalen“ (JJO NRW) gründete. Er unterrichtete an der Hochschule für Musik in Köln Hauptfach Saxofon, genoss in der Szene bereits einen Namen. Heute kennt ihn dort jeder: Denn mit der Gründung des Orchesters legte er den Grundstein für die deutsche Jugendjazz-Bewegung.
Nach und nach gründeten sich in allen Bundesländern Jugendjazz-Orchester und 1988 das Bundesjazzorchester. All das entstand im Keim hier, in Dortmund. Wie auch, vor genau 40 Jahren, der Wettbewerb „Jugend jazzt“. Aus ihm wird seitdem der Nachwuchs für das JJO NRW rekrutiert – und aus den entsprechenden anderen Landeswettbewerben und der sogenannten Bundesbegegnung der Nachwuchs für die anderen Big Bands. Kommende Woche wird dieser Geburtstag mit dem Preisträgerkonzert des jüngsten Wettbewerbs im Opernhaus gefeiert.
„Ich habe eine ganze Menge mitgenommen“
Thomas Haberkamp ist seit 1996 Geschftsführer des JJO NRW und seit 2007 Projektleiter des Landeswettbewerbs. 1980 spielte er noch gemeinsam mit Glen Buschmann in dessen Ensebmle „Fun“: Eigenkompositionen, die die Musiker selbst schrieben, „Bergheim Blues“ von Buschmann, „Informal Delivery“ von Flügelhornist Wolf Escher, „Fun“ vom Posaunisten Meinhard Puhl. Und parallel, zwischen 1979 und 1983, war Haberkamp selbst im JJO. Als Saxofonist.
„Ich habe eine ganze Menge aus der Zeit mitgenommen“, sagt er beim Gespräch am Montag. „Das Gemeinschaftsgefühl in einer so tollen Band zu spielen. Aber vor allem waren die Tourneen unvergesslich.“ Noch heute tourt die Big Band jedes Jahr durch die Welt, 2019 geht es nach Amerika, zuletzt flogen sie nach Zypern, Südamerika, England und Island. Viele junge Jazzer begannen mit der erfolgreichen Teilnahme am „Jugend Jazzt“-Wettbewerb ihre Karriere. Sie bekamen anschließend, nach einer weiteren Aufnahmeprüfung, die Chance als Solisten, als Musiker im JJO weiter zu wachsen.
„Wir versuchen ihnen in erster Linie zu vermitteln, woher Jazz eigentlich kommt“, sagt Haberkamp. „Es ist wichtig den historischen und gesellschaftlichen Kontext zu verstehen, aus dem Musik entsteht – vor allem im Jazz.“ Schließlich war diese Musik, begonnen beim Blues – im Grunde Sklavengesängen bei der Feldarbeit – auch später eine Form des Protests der unterdrückten schwarzen Bevölkerung in Amerika.
Improvisation ist entscheidend
So ist auch vor dem Hintergrund dieser Tradition die Improvisation beim Wettbewerb der entscheidende Faktor: mit dem Instrument, den Linien und Rhythmen eine Geschichte zu erzählen, die die Jury berührt. Die Ausschreibung zum Wettbewerb ist im Gegensatz zu der von „Jugend Musiziert“ fast spartanisch: „Jeder Teilnehmer sollte Musik vortragen, die er mag. (...) Die Jury freut sich auf kommunikative und originelle Beiträge“. Es gehe, sagt Haberkamp, um gute Kommunikation zwischen den Musikern und beim solistischen Spiel am Ende um „eine Lebensgeschichte“ – die stehe in so jungem Alter bis 24 Jahre natürlich noch sehr am Anfang.
Haberkamp sitzt, obwohl er sie auswählt, selbst zwar nicht in der Jury des „Jugend Jazzt“-Wettbewerbs, wohl aber in verschiedenen Gremien bei „Jugend Musiziert“. „Da fragt man sich am Ende immer das gleiche: Haben die Jugendlichen Musik gemacht?“ Er lacht kurz. „Es reicht ja nicht, dass etwas technisch perfekt war – es muss auch bei mir als Hörer ankommen.“ Das technische Niveau sei stetig gestiegen in den Jahren, die er den Wettbewerb schon verfolgt und betreut.
Vor allem aber mache sich eins bemerkbar: „Die Jugendlichen können viel schneller und leichter online Interpretationen der Jazzgrößen, ihrer Idole, anhören. Das ging früher nicht.“ Sie kämen mit „zwei Instrumenten“ zum Wettbewerb: Musikinstrument und Laptop. „Sie bekommen so viel schneller ein Gefühl dafür, wie es klingen muss.“ Ob das nur Vorteile habe? „Nein, nicht unbedingt“, sagt Haberkamp. „Es besteht die Gefahr, dass man dadurch manchmal vergisst, was die Ursprünge im Jazz sind.“
Konzert als Matinee im Opernhaus
Auch nach so langer Geschichte läuft aber noch nicht alles ganz rund. „Wir würden die Preisträger gerne auch nach dem Wettbewerb weiter betreuen“, sagt Haberkamp, „sie nicht einfach so, auf sich allein gestellt, in die Welt entlassen.“ Für entsprechende Workshops und berufsvorbereitende Seminare, „die auch über das Instrumentale hinaus gehen“, fehlt jedoch das Geld. „Die neue Landesregierung hat zwar schon gut was obendraufgelegt“, sagt Haberkamp. „Luft nach oben“ sei trotzdem.
Die Preisträgerkonzerte fanden, bevor sie ins Domicil verlegt wurden, als Matinee im Opernhaus statt. Nun kehrt das Konzert dorthin zurück. Am 9. Dezember, 11 Uhr, stehen nicht nur die Preisträger des aktuellen Wettbewerbs auf der Opernhaus-Bühne, sondern auch frühere Preisträger. Im Programmheft erzählen sie von ihren Erfahrungen mit „Jugend Jazzt“: „,Jugend Jazzt‘ war einer der wichtigsten musikalischen Wendepunkte in meinem Leben“, wird zum Beispiel Trompeter und Sänger Jeff Cascaro zitiert. „Bis heute denke ich, dass mir nichts Besseres hätte passieren können (...) Für mich war die Teilnahme eine Art Konfirmation!“
Im Dortmunder Süden groß geworden, mittlerweile Innenstadtbewohnerin. Hat an der TU Dortmund Musik mit Hauptfach Orgel, Germanistik und Bildungswissenschaften studiert, studiert jetzt zusätzlich Musikjournalismus. Seit 2010 bei den Ruhr Nachrichten. Schreibt am liebsten über Kultur und erzählt Geschichten von Menschen.