Gerd Kolbe hat im Interview die Auswirkungen der WM auf Dortmunds Partnerstadt Rostow gelobt. Nils Bickenbach lebt in Rostow. Er zeichnet ein viel kritischeres Bild.

von Nils Bickenbach

Rostow/Dortmund

, 08.07.2018, 17:39 Uhr / Lesedauer: 2 min

Rostow am Don ist nicht nur wegen seiner Cafés, Läden, Theater und Museen eine spannende Stadt. Die Gegensätze sind extrem, viele Stile und Epochen, unterschiedliche Gebäude stehen nebeneinander und erzählen ihre Geschichten. Zu den Gegensätzen gehört auch, dass es jenseits der Hauptstraßen viele verfallene oder verfallende Bauten gibt. „Dieses Haus steht 100 Jahre ohne Renovierung – willkommen Weltmeisterschaft“, ist auf eine Altstadt-Hauswand gesprüht. Das Fest in Dortmunds Partnerstadt, von dem Gerd Kolbe in unserer WM-Geschichte vom Donnerstag berichtet hat, fand nur sehr punktuell statt. Räumlich wie zeitlich. Außerhalb der zentralen Fan-Zone war nicht viel davon zu spüren.

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Fußball-Euphorie mit der Holzhammer-Methode

In der Stadt, in der Profi-Fußball keine große Rolle spielte, wurde vor dem kommerziellen Großereignis Fußball mit dem Holzhammer präsent gemacht. Noch 2018 kamen zum Spiel des lokalen Vereins gegen St. Petersburg knapp 13.000 Zuschauer ins alte Stadion, das 16.000 Plätze hat. Andere Gegner zogen nur gut 5000 Zuschauer an. Als der Verein in die für die WM gebaute Arena zog, die 45.000 Zuschauer fasst, kamen laut „transfermarkt.de“ zunächst 13.000, Mitte Mai schon 37.000 Zuschauer. Ob das Stadion dauerhaft profitabel sein kann ist fraglich – Rostow schloss die Saison auf Platz 11 ab. Allerdings soll das Stadion auch für Konzerte genutzt werden.

So oder so: Der Bau kostete dem Magazin „Sowetski Sport“ zufolge 300 Millionen Euro. Geld, das man meiner Meinung nach viel dringender benötigt hätte, um Gebäude zu sanieren, Straßen zu erneuern und andere vernachlässigte Infrastruktur in der Altstadt und abseits des Zentrums herzurichten. Dazu gehört auch die Müllentsorgung. Viele Gegenden sind stark verschmutzt. Die Grüne Insel im Don etwa wird jeden Monat von Freiwilligen aufgeräumt. Noch fehlt Infrastruktur und Bewusstsein, auch wenn unterschiedliche Gruppen sich stark für die Ökologie einsetzen.

Nur punktuelle Verbesserungen

Die Verbesserungen der Infrastruktur, die Gerd Kolbe hervorhebt, sind eher punktuell. Der neue Flughafen war nach seiner Eröffnung kaum belebt. Nun waren im Juni zur WM viele Menschen dort. Doch was kommt nach dem Andrang? Die neue Don-Promenade, die renovierte Brücke und eine kleine Fußgängerzone erhöhen den Freizeitwert im Zentrum.

Andere Bezirke und viele Ecken im Zentrum profitieren jedoch nicht. Ein paar neue Busse, Kleinbusse und Straßenbahnen wurden angeschafft – ein Anfang, wenngleich ein großer Teil der Verkehrslast noch von alten Bahnen und Bussen geschultert wird. Dass alles in allem nicht nachhaltig gewirtschaftet wurde, legen Berechnungen der Ratingagentur Moody’s nahe. Laut Deutscher Presse-Agentur sagt Moody’s, dass im Land kein nachhaltiger positiver Effekt durch die WM für die Wirtschaft zu erwarten ist und dass Rostow Schulden bleiben werden. Die Stadt ist kein Touristenmagnet.

Der glanzvoll hergerichtete Vorplatz der Technischen Universität mit Springbrunnen.

Der glanzvoll hergerichtete Vorplatz der Technischen Universität mit Springbrunnen. © Nils Bickenbach

So, wie es sich in Rostow darstellt, werden die Millionen primär dafür genutzt, sich zu präsentieren. Ein absurdes Beispiel ist der Vorplatz der Technischen Universität. Dieser war in ordentlichem Zustand, wurde aber schnell in den Monaten vor der WM neu gemacht. Jetzt steht dort ein Springbrunnen, der klassische Musik spielt und das Wasser farbig leuchten lässt. Die Uni könnte das Geld aber in meinen Augen an anderen Stellen viel sinnvoller investieren. Das Bildungssystem ist unterfinanziert, Lehrer gehen zum Teil Nebenjobs nach, um genug zu verdienen.

Unterm Strich bleiben viele nicht angepackte Probleme. Das ist sehr schade. Man sieht, dass es Ressourcen im Land gibt, diese werden aber oft verschwendet. Der Fifa war das aber auch in Südafrika und Brasilien schon egal.

Nils Bickenbach hat in Dortmund bis 2016 Journalistik studiert und war bis dahin freier Mitarbeiter dieser Zeitung. Seit September 2016 arbeitet er in Rostow als Deutschlehrer an der Staatlichen Technischen Universität und organisiert Projekte.