Bücherverbrennung in Dortmund Der Organisator machte später Karriere und wurde geehrt

Ehrung für Organisator der Bücherverbrennung: Wie ein Nazi-Lehrer Karriere machte
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Das Lob prasselte nur so: Von einem „verdienten Pädagogen“, der „in kultureller und bildungsmäßige Hinsicht Vorbildliches“ geleistet habe, war die Rede, von „Hingabe auf dem Feld der Menschenbildung“. Mit diesen lobenden Worten war Dr. Hans Wölbing, langjähriger Leiter der Volkshochschule Zweibrücken, 1974 in der rheinland-pfälzischen Stadt mit der Stadtplakette in Silber ausgezeichnet worden.

Was niemand - außer dem Geehrten selbst - wusste: 40 Jahre zuvor hatte Wölbings Hingabe dem Nationalsozialismus gegolten. Als NSDAP-Funktionär und Lehrer hatte er in Dortmund die Bücherverbrennung organisiert.

„Schwarze Listen“

Die reichsweiten Bücherverbrennungs-Aktionen waren von langer Hand vorbereitet worden. Schon im März 1933 waren vom Verband Deutscher Volksbibliothekare, „Schwarze Listen“ mit „unerwünschtem Schrifttum“ zusammengestellt worden.

Bücher und Schriften, die auf dem Index standen, wurden ab Ende April eingesammelt. Am 10. Mai 1933 loderten dann die Bücher-Scheiterhaufen auf dem Opernplatz in Berlin, aber auch in 21 weiteren deutschen Hochschulstädten.

Bekannte Autoren

Linksliberale, sozialdemokratische, marxistische und andere unliebsame Werke landeten im Feuer. Zu den 134 verfemten Autoren gehörten etwa Bertolt Brecht, Heinrich und Klaus Mann, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig und Erich Kästner.

Dass es in Dortmund am 10. Mai noch keine Bücherverbrennung gab, lag wohl schlicht daran, dass es hier keine Hochschule gab - abgesehen von der Pädagogischen Akademie. Die galt politisch aber eher als „links“ und damit aus Sicht der Nationalsozialisten als „politisch unzuverlässig“.

Das Bild zeigt eine Bücherverbrennung auf dem Marktplatz in Aplerbeck.
Das Bild zeigt eine Bücherverbrennung auf dem Marktplatz in Aplerbeck. © Stadtarchiv

Statt der NS-Studentenschaft übernahm deshalb in Dortmund der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB) die Aufgabe, die Vernichtung unliebsamer Bücher und Schriften zu organisieren. Ein führendes Mitglied des NS-Lehrerbundes in Dortmund war Dr. Hans Wölbing, Studienrat am Bismarck-Realgymnasium, dem heutigen Max-Planck-Gymnasium. Er war seit 1. April 1933 Mitglied der NSDAP und als Leiter der Hauptstelle für Presse und Propaganda im Amt für Erziehung bei der Gauleitung der Partei aktiv.

Und er leitete die sogenannte „Bibliotheksprüfungskommission“. Sie war mit der Säuberung der Bibliotheken von als „undeutsch“ eingestufter Literatur beauftragt. Wölbing fungierte also als „Beauftragter für Säuberung und Reinigung der Dortmunder Bibliotheken“.

„Symbolische Handlung“

Seine Arbeit erschöpfte sich nicht nur im Prüfen und Sammeln unliebsamer Schriften. Mit Schreiben vom 29. Mai 1933 lud Studienrat Wölbing unter dem Briefkopf der NSDAP-Gauleitung zur „Bücherverbrennung“ in Dortmund ein. Vor allem Lehrer und Erzieher wurden dringend aufgefordert, der „symbolischen Handlung“ beizuwohnen.

Stapelweise hatten die Nationalsozialisten auch in Dortmund Bücher unliebsamer Autoren konfisziert.
Stapelweise hatten die Nationalsozialisten auch in Dortmund Bücher unliebsamer Autoren konfisziert. © Ausstellung Steinwache

Die sollte am 30. Mai 1943 - also vor genau 90 Jahren - pünktlich um 21 Uhr auf dem Hansaplatz im Dortmunder Stadtzentrum beginnen. Gut 5000 Bücher und Schriften waren dort mit Lkw zusammengekarrt und mit Reisig vermischt zu einer Art Scheiterhaufen aufgeschichtet worden. Die meisten stammten aus dem Bibliotheksbestand des Gewerkschaftshauses, das am 18. April 1933 von SA-Männern besetzt worden war, aber auch aus Buchhandlungen und Büchereien.

Aus den öffentlichen Bibliotheken der Stadt waren nur wenige Bücher dabei. Dr. Erich Schulz, der damalige Direktor der Stadt- und Landesbibliothek, hatte vorwiegend „Makulatur“ geliefert. Also Bücher, die ohnehin aussortiert worden waren.

Eine Zeitungsseite des Dortmunder General-Anzeiger vom 31. Mai 1933
So berichtete der Dortmunder General-Anzeiger am 31. Mai über die Bücherverbrennung auf dem Hansaplatz. © Stadtarchiv

Die Bücherverbrennung sollte ein Massenspektakel werden. Neben dem NS-Lehrerbund hatten auch SA, SS, Hitlerjugend und BDM zur Teilnahme aufgerufen. Von 50.000 Menschen, die auf dem Hansaplatz zusammengekommen waren, war die Rede. Die von den Nationalsozialisten bereits gleichgeschalteten Zeitungen berichteten ausführlich über das Spektakel. „Undeutscher Geist ging in Flammen auf“, lautete die Schlagzeile im „Dortmunder Anzeiger“. „Es war ein Feuerwerk, wie es Dortmund noch nie gesehen hatte“, hieß es im Bericht der „Dortmunder Zeitung“.

Ausführlich wurde aus den Reden zitiert. Zu den Wortführen gehörte auch Hans Wölbing. Er bezeichnete die Bücherverbrennung als einen „revolutionären Akt“, durch den die „Schmutz- und Schundliteratur“ sowie die „undeutschen marxistischen und verhetzenden Bücher und Schriften“ vernichtet werden. Er schloss seine Rede mit einem Hoch auf den Führer.

Schüler im Einsatz

Auch Schüler des Bismarck-Realgymnasiums, an dem Wölbing unterrichtete, waren eingespannt. Unter der Leitung ihres Studienreferendars Friedhelm Kaiser sprachen sie bei der Bücherverbrennung, dessen Sprechchor „Brandfackel“. „Habt ihr die Feinde erkannt? Reinigt das deutsche Land! Her mit dem flammenden Brand!“, heißt es darin. „Fort mit den falschen Propheten! Laßt sie von andern anbeten. Wir aber wollen sie töten!“

Wölbing und die anderen Redner, so heißt es in den Berichten, erhielten „reichen Beifall“. Heute erinnert eine Gedenkplatte im Boden des Hansaplatzes an die unselige Bücherverbrennung. Am Kopf steht ein schon im 19. Jahrhundert formuliertert Satz von Heinrich Heine: „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Er sollte leider Recht behalten.

Karriere in neuer Heimat

Und was wurde aus Wölbing? Prof. Hans Bohrmann, langähriger Leiter des Instituts für Zeitungsforschung der Stadt Dortmund, für das Wölbing ebenfalls gearbeitet hatte, ging 2013 seiner „Karriere“ nach. Danach war Wölbing mindestens noch bis 1943 als Lehrer aktiv.

Nach dem Krieg ging er erst nach Koblenz, später nach Zweibrücken, wo er ebenfalls als Lehrer arbeitete. Er war zunächst in der FDP, später in der SPD politisch aktiv, engagierte sich für den Wiederaufbau der historisch orientierten „Bibliotheca Bipontina“. Von 1964 bis 1974 war er schließlich Leiter der Volkshochschule in Zweibrücken.

Nicht zuletzt verfasste er Beiträge zur Heimatgeschichte. Auf einen solchen Beitrag stieß Bohrmann zufällig - und wunderte sich über die Namensgleichheit des Autors mit dem Dortmunder NS-Lehrer. Bei Recherchen vor Ort stellte er fest, dass es sich um ein und dieselbe Person handelte. „In Zweibrücken“, stellte Bohrmann fest, „war Wölbing ein geachteter Bürger, den anscheinend niemand nach seiner Vergangenheit gefragt hatte.“ Wölbing habe es offensichtlich geschafft, seine Spuren zu verwischen.

Einen Versuch, nach 1945 nach Dortmund zurückzukehren, hat Wölbing offensichtlich aufgegeben. Er fragte nach dem Krieg bei der Bezirksregierung Münster an, ob er in Dortmund wieder als Lehrer arbeiten könne, brachte Bohrmann in Erfahrung. „Dafür hätte er sich aber entnazifizieren lassen müssen. Er hat sich nie wieder gemeldet“, berichtet der Historiker. In der französischen Besatzungszone, zu der Rheinland-Pfalz gehörte, habe man es nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Entnazifizierung nicht so genau genommen.

Das Bild aus der Personalakte von Hans Wölbing
Das Bild aus der Personalakte von Hans Wölbing. © Andreas Ganter

Letzte Gewissheit zur Einheit von Wölbing in Dortmund und Zweibrücken brachten die Recherchen des Journalisten Andreas Ganter. Er nahm die Veröffentlichung Bohrmanns von 2013 zum Anlass, vor Ort der Geschichte des mehrfach ausgezeichneten Pädagogen weiter auf den Grund zu gehen.

Im Landesarchiv konnte er die Personalakte Wölbings einsehen. „Daran finden sich deutliche Hinweise und Belege auf dessen Wirken in Dortmund und die Rolle, die er in der NSDAP spielte“, berichtet Ganter. Das dunkle Kapitel seiner Geschichte habe er in seiner neuen Heimat zeitlebens verschwiegen. „Hier wusste niemand davon“, erklärt Ganter.

Seine Veröffentlichung in der Zeitung „Rheinpfalz“ 2017 schlug denn auch hohe Wellen. Es gab zahlreiche Leserbriefe, der Stadtrat, befasst sich mit der „Causa Wölbing“ und die Bibliothek veranstaltete eine Podiumsdiskussion. Wölbing kann heute als Paradebeispiel dafür dienen, wie es Menschen gelungen ist, nach Ende der NS-Zeit in Vergangenheit zu tilgen und so weiter zu leben als sei nichts geschehen.

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Dieser Artikel erschien ursprünglich am 30. Mai 2023.