Ehepaar Gerner aus Dortmund nahm 150 Flüchtlinge auf Kein Ende der Hilfe in Sicht

Ukraine-Hilfe: Ehepaar Gerner hat 150 Flüchtlinge aufgenommen
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Es ist 16.30 Uhr, das Ehepaar Gerner ist noch nicht lange von der Arbeit zurück. Lisa Gerner (51) öffnet die Tür, ihr Mann Ivan Gerner (51) telefoniert – wie so häufig. Viele Ukrainer rufen bei ihm an. Denn sie brauchen seine Hilfe.

Seit fast einem Jahr wütet Krieg in der Ukraine. Das Ehepaar Gerner hat seitdem über 150 Flüchtlinge zwischenzeitlich bei sich aufgenommen. Die genaue Zahl wissen sie selbst nicht – irgendwann haben sie aufgehört zu zählen. Die meisten haben ein paar Tage oder ein paar Wochen bei ihnen gelebt, erzählt Ivan Gerner.

Familie hat viele Freunde in der Ukraine

Angefangen hat das alles vor knapp einem Jahr. Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine überfiel, rief Ivan Gerner seine Bekannten und Freunde in dem Land an. Er selbst hat deutsche, russische und ukrainische Wurzeln. Lange Zeit war er mehrmals im Jahr beruflich als Bibellehrer und privat in der Ukraine, dem Land seiner Mutter. Gerner gab dort Bibelkurse und brachte jungen Menschen bei, wie man predigt.

Nach Kriegsbeginn half er vielen Menschen am Telefon, organisierte über seine Gemeinde erste Fahrten von der Ukraine nach Deutschland. Auch auf Facebook half er, stellte dort regelmäßig Informationen für Geflüchtete bereit.

Viele Anrufe

Plötzlich, während des Gesprächs, klingelt Gerners Handy. Die Nummer kennt er gar nicht. Er geht nicht ran, sonst aber schon, meint er. Viele Ukrainer hätten seine Nummer mittlerweile. „Ich weiß nicht, woher“, sagt der 51-Jährige. Die Menschen rufen an, weil sie Fragen haben. Manchmal brauchen sie einen Rat, manchmal eine Information oder einen Übersetzer. „Ist ja ganz klar. Die Menschen haben hier keine Bezugsperson“, erklärt Lisa Gerner. Dann rufen sie bei Ivan Gerner an.

Heute nimmt das Ehepaar keine Flüchtlinge mehr bei sich auf. In Dortmund würden nämlich kaum noch welche ankommen. Helfen wollen sie aber trotzdem noch. Ivan Gerner vermittelt Wohnungen an Geflüchtete. Dazu stehe er im engen Austausch mit einem Mitarbeiter der Peach Property Group, einem Unternehmen mit Sitz in Köln. Das habe Anfang 2022 rund 100 Häuser im Ortsteil Lanstrop gekauft, erzählt Ivan Gerner. Viele Ukrainer würden dort mittlerweile leben. Wenn eine Wohnung frei wird, melde sich der Mitarbeiter, um zu fragen, ob Gerner jemanden kennt, der gerade eine Wohnung braucht. Das sei auch eigentlich immer der Fall.

Als die Ruhr Nachrichten zu Beginn des Krieges das erste Mal über die Hilfsaktion der Gerners berichteten, arbeitete Ivan Gerner noch Teilzeit als Bibellehrer. Nur wenige Tage nach dem Besuch unseres Reporters Anfang März hatte er wegen einer Familie, die er bei sich aufgenommen hatte, mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) zusammengearbeitet. Auch wegen seiner Russisch-Kenntnisse, so erzählt er, bot man dem gelernten Seelsorger dort eine Stelle als Sozialarbeiter an. Lisa Gerner bekam dort zwei Wochen später ebenfalls eine Stelle.

Das Foto zeigt Ivan Gerner im März 2022 als er gerade Luftmatratzen für eine Familie vorbereitet. Mehrere Tage hat er sie bei sich wohnen lassen.
Das Foto zeigt Ivan Gerner im März 2022 als er gerade Luftmatratzen für eine Familie vorbereitet. Mehrere Tage hat er sie bei sich wohnen lassen. © Johannes Staab (Archiv)

Es klingelt wieder, diesmal nicht Ivan Gerners Handy, sondern an der Tür. Ein Ehepaar parkt mit ihrem Auto vor dem Haus der Gerners. Sie haben Sachspenden mitgebracht: zwei große Tüten voll. Und eine Kaffeemaschine. „Die funktioniert noch wunderbar“, sagt die Frau und übergibt die Maschine an Lisa Gerner. Die verstaut die Spenden im Auto. Sie wird sie an die Geflüchteten im Übergangsheim des DRK übergeben.

Angesprochen darauf, woher sie die Gerners kennt, entgegnet die Frau: „Von nebenan.de“ – einer Plattform zum Austausch innerhalb von Nachbarschaften. Unangekündigt seien sie gekommen. „Wärt ihr nicht da gewesen, hätte ich die Sachen einfach vor die Tür gestellt“, meint die Spenderin. Noch kurzer Smalltalk. Dann bedanken und verabschieden sich alle. „Sie bringt immer gute Sachen“, meint Lisa Gerner während sie die Tür schließt.

Zu wenig Dolmetscher

Den Geflüchteten gehe es „im Großen und Ganzen“ gut in Deutschland, meint Ivan Gerner und seine Frau Lisa fügt hinzu: „Wenn sie die Bürokratie überwunden haben“. Die sei für viele ein Problem. Die größte Hürde sei dabei die Sprache. Fragt man nämlich Ivan Gerner gibt es viel zu wenig Dolmetscher. Oft wird er angerufen, damit er übersetzt.

Lisa Gerner kenne eine junge Frau, die schon studiert. Eine andere war Lehrerin in der Ukraine und nimmt nun intensiv an einem Deutsch-Kurs teil, um auch hier zu unterrichten.

An Ivan Gerners Kühlschrank hängen viele Magneten. Er hat sie von seinen unzähligen Reisen aus der Ukraine mitgebracht.
An Ivan Gerners Kühlschrank hängen viele Magneten. Er hat sie von seinen unzähligen Reisen aus der Ukraine mitgebracht. © Julien März

Manche Ukrainer möchten auch nach dem Krieg in Deutschland bleiben, meint Ivan Gerner. Der 51-Jährige kennt aber auch Menschen, die so bald wie möglich wieder in ihre Heimat wollen. Einige Familien, drei oder vier von denen er weiß, seien auch schon wieder zurück in die Ukraine gegangen. Das seien aber meist ältere, meint Lisa Gerner. „Junge Menschen sehen, dass es hier mehr Zukunft für sie gibt“.

Hilfe direkt vor Ort

Nicht nur Zukunft, sondern auch Hilfe gibt es hier für sie. Dank Menschen wie Ivan und Lisa Gerner. Im September war das Ehepaar für eine Woche in die Ukraine gereist. Sie haben Freunde im Westen des Landes besucht, erzählen sie. Da hatten sie die Idee, vorher Spenden für Flüchtlinge zu sammeln. Denn viele Ukrainer sind von den umkämpften Gebieten im Osten in den Westen des Landes geflohen.

Mit vollgepacktem Auto machten sich die Gerners auf die Reise. Eine Woche lang waren sie vor Ort, verteilten Sachspenden, aber auch Geld, das im Vorfeld gespendet wurde. Die Dankbarkeit der Menschen hat das Ehepaar berührt. „Viele hatten Tränen in den Augen“, erinnert sich Ivan Gerner.

Ein Jahr helfen er und seine Frau nun schon. Müde seien sie manchmal, erschöpft. Denn nach der Arbeit beim Roten Kreuz geht es für die Gerners oft weiter, etwa wenn wieder das Handy klingelt. „Es ist anstrengend“, meint der 51-Jährige. Sein Glaube treibe ihn aber an und gebe ihm Halt. Ans Aufhören denkt das Ehepaar nicht. „Wie denn auch“, scherzt Ivan. „Die haben ja meine Handynummer“.

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