Als ein Bier 85 Pfennig kostete Heinz Kessler (74) war fast 50 Jahre lang Wirt im DUB-Krug

Heinz Kessler war fast 50 Jahre lang Wirt im DUB-Krug
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Auf den Tischen sind überall kleine Rillen mitten auf der Platte zu erkennen. Kellnerin Alina, für viele das Gesicht des DUB-Krug, hat schon so oft Striche auf Bierdeckel gekritzelt, dass sie sich inzwischen im Holz verewigt haben. Bei den zahllosen Fahnen und Schals in schwarz-gelb fühlen sich besonders BVB-Fans wohl in der alten Kneipen an der Langen Straße 21 nahe der Dortmunder Innenstadt.

Seit langem ist die Kneipe dafür bekannt, auch noch dann geöffnet zu haben, wenn andere schon das Licht gelöscht haben. Etwa ein halbes Jahrhundert lang wurde hier Bier ausgeschenkt. Damit in Ende März Schluss: Heinz Kessler, seit fast einem halben Jahrhundert hier hinter der Theke, kann nicht mehr. Mit uns blickt er auf die guten alten Zeiten zurück und erzählt, warum ihm Bier überhaupt nicht schmeckt.

Ein Vollblut-Gastronom

Dass Heinz ein geborener Gastronom ist, ist dem 74-Jährigen schon früh klar. Er ist ausgebildeter Koch und Kellner. Begonnen hat er seine Karriere im ehemaligen 3-Sterne-Hotel Landhaus Syburg. Doch dort wechselt irgendwann der Besitzer. Der neue Käufer will Heinz damals als Restaurantchef behalten, doch Heinz lehnt ab, weil der neue Geschäftsführer zu wenig Lohn zahlen will.

Kneipenwirt Heinz Kessler im DUB-Krug an der Langen Straße in Dortmund
Zum 20. Geschäftsjubiläum bekam Wirt Heinz Kessler diesen 5-Liter-Bierkrug geschenkt. © Julia Segantini

Heinz ist das recht, schließlich findet er eine neue Berufung: die Kneipe an der Langen Straße parallel zur Rheinischen Straße. Seit ein paar Jahren war dort damals eine Kneipe untergebracht, bis Heinz den Laden übernimmt. Das war 1979, Heinz ist da 28 Jahre alt. „Damals dachte ich: Das mache ich jetzt mal fünf Jahre oder so“, sagt Heinz und muss lachen. Aus den fünf Jahren sind am Ende fast 50 geworden.

Im DUB-Krug ist die Kasse damals regelmäßig voll. „Das waren die guten Zeiten“, schwärmt der 74-Jährige, der sich gern an die aktiven Zeiten der Union-, Germania- und Ritterbrauerei und an ein belebtes Dortmunder Brauereiviertel, das sich einst vom Westentor bis zur Dorstfelder Brücke erstreckte, erinnert. „Damals war von morgens bis nachts um drei, vier Uhr die Kneipe auf“, erzählt Heinz.

Für viele Arbeiter gehört der Kneipenbesuch zum Alltag. Weil die Arbeiter in Bergwerken oder bei Hoesch im Schichtdienst arbeiten, gibt es fast zu jeder Uhrzeit genug Gäste. „Wenn wir morgens die Türen aufgeschlossen haben, standen sie schon und haben gewartet.“

Die guten, alten Zeiten

Über ein Dutzend weitere Kneipen in einem Umkreis von etwa 500 Metern säumen damals die Straßen. „Hier waren das Autostübchen, der Bürgerkrug, die Ritterstuben, das Körbchen und noch viel mehr - und alle Kneipen waren voll.“

Freitags bekommen die Arbeiter von Hoesch oder der Zeche ihre Lohntüten in die Hand gedrückt. „Damit sind manche über den Zaun abgehauen oder haben ein Scheinchen versteckt, weil vorne die Ehefrauen standen und wussten, wo das Geld sonst landet“, sagt Heinz mit einem schelmischen Lächeln. „Die Arbeiter mussten erstmal ihre Deckel bezahlen.“

Kneipe DUB-Krug an der Langen Straße in Dortmund
Im DUB-Krug scheint die Zeit stillzustehen. Die Polster erinnern aus vergangene Zeiten. © Julia Segantini

Nicht nur die Kumpel, auch Fußballvereine sorgen für volle Bierkrüge und volle Kassen. Für die jungen Leute vom Fußball sei der DUB-Krug so etwas wie das Vereinsheim gewesen, stundenlang hätten sie in Knobelclubs Würfelspiele gespielt. Tagsüber seien fast nur Männer in die Kneipe gekommen, abends dann auch Frauen und Pärchen. „Da haben wir noch Musik auf Schallplatte gespielt und es wurde richtig getanzt. Früher war es lebendiger als heute, die Leute sind mehr rausgegangen.“ Die beste Uhrzeit in der Kneipe: 17 Uhr. Das Glas Bier kostet damals 85 Pfennig. Heute kaum vorstellbar.

Gäste werden Freunde

Bekannt ist der DUB-Krug immer schon für seine niedrigen Preise. Ein Bier kostet heute 1,70 Euro, während der aktuellen Rabattaktion kosten das Nullzweier-Glas Bier, das Pinnchen Genever oder der Kümmerling 1,50 Euro. Warum hat Kessler die niedrigen Preise beibehalten, statt sie wie andere Wirte anzuheben?

Zu sehen ist ein Archivbild des Gebäudes der Ritter-Brauerei in Lütgendortmund
Die Ritter-Brauerei wurde 1889 im Dortmunder Brauereiviertel gegründet und zog später nach Lütgendortmund. Das Gebäude wurde 2011 abgerissen. (Archivbild) © Stephan Schuetze

„Das ist die Geschichte von diesem Laden. Hier war es immer schon günstig und deswegen wollte ich, dass es so bleibt, auch, wenn ich dann etwas mehr arbeiten muss.“ Übrigens: Heinz Kessler trinkt selbst kein Bier. „Als junger Mensch habe ich das erste Mal Bier getrunken, wahrscheinlich an die zehn Stößchen. Das ist mir sehr schlecht bekommen und geschmeckt hat es auch nicht. Seitdem trinke ich kein Bier mehr.“ Heinz‘ Getränk der Wahl: Ein Glas Sekt oder Wein.

Und das bei einem Wirt, der den ganzen Keller voll hat mit Bierfässern und in seinem Leben zig Hektoliter verkauft hat. Tagsüber schenkt er vor allem älteren Männern aus. Insgesamt kommen tagsüber deutlich weniger zahlende Kunden als früher. Die jungen Leute kämen erst gegen 23 Uhr abends und blieben manchmal bis tief in die Nacht. „Die Jungen kenne ich alle gar nicht mehr. Komischerweise wissen die aber alle, wer ich bin.“ Dafür kennt Heinz manche ältere Gäste schon seit dem ersten Tag.

Für Heinz sind die Gäste mehr als Kunden, wie er es formunliert. Und für die Gäste ist Heinz mehr als der Mann, der ihnen das Bier ausschenkt. Er hat immer ein offenes Ohr - und stellt nie zu viele Fragen. Seine Art ist ein bisschen ruppig. Gefühlsduselig ist er nicht, aber dafür herzlich. Typisch Ruhrpott eben.

Weil ihm manche Bewegungen nicht mehr so leicht fallen wie früher, ist es für Stammgäste Ehrensache, auch mal mit anzupacken, wenn etwas Schweres getragen werden muss. Über Heinz‘ Gesicht huscht für einen Moment ein Ausdruck der Rührung, als er davon erzählt.

Der Ruhestand winkt

Noch immer steht er an sieben Tagen die Woche hinter der Theke. Er schließt morgens die Kneipe auf und bleibt meistens bis etwa halb drei. Dann schließt er die Tür ab, bevor später Chefkellnerin Alina übernimmt. „Nur manchmal, wenn Fußball ist, bleibe ich länger, dann werden es schon mal zehn Stunden oder mehr.“

Dass das mit 74 Jahren nicht mehr so leicht ist, ist verständlich. Zumal Heinz vor elf Jahren einen Schlaganfall und vor acht Jahren eine Hirnblutung erlitt. Seitdem ist er schlechter zu Fuß, kann nicht mehr so schwer tragen und hat ein leichtes Zittern in den Händen. Deswegen ist er abends kaum noch in der Kneipe.

Er weiß, dass er Alina den Laden dann bedenkenlos überlassen kann. „So eine Bedienung habe ich noch nie gehabt. Sie liebt ihren Job, ist unheimlich beliebt und lässt sich gleichzeitig von niemandem etwas gefallen.“ Sie sei dem DUB-Krug sehr verbunden und wolle mit ihm aufhören, wenn die Kneipe schließt.

Was Heinz im Ruhestand erwartet? Er hat Familie in Berlin und Hamburg, für die dann endlich mehr Zeit sei. Sein Schwiegersohn arbeite als Pilot. „Urlaub war mir immer wichtig“, sagt Heinz. Er freut sich schon auf kommende Reisen mit seiner Lebensgefährtin.

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