„Du wirst deine Entscheidung gegen eigene Kinder bereuen!“ Charlotte Schuster über taktlose Ratschläge

„Du wirst deine Entscheidung gegen eigene Kinder bereuen!“
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Als ich noch ein kleines Kind war, fragte meine Tante mich, ob ich einmal einen Mann und Kinder haben wolle. Mit aller Entschlossenheit erwiderte ich: „Ich möchte später lieber fünf Katzen haben."

Heutzutage bin ich ganz klar Team Hund und habe nur noch wenig für Katzen übrig. Trotzdem ist meine Kindheitsvorstellung für mich noch immer realistischer als das klassische Familienmodell. Und das ist auch gut so.

Doch offensichtlich bin ich auch die Einzige, für die das vollkommen okay ist. Für die ein Leben ohne Partner und ohne Kinder Erfüllung verspricht.

Neulich war ich bei einem befreundeten Pärchen zu Besuch. Sie sind verheiratet, haben eine dreijährige Tochter namens Luna und leben in einem Einfamilienhaus mit großem Garten auf dem Dorf. Ihr Tag ist von Routinen bestimmt. Sie stehen jeden Tag um 6 Uhr auf, frühstücken gemeinsam. Mittags ist „Spielzeit". Während ihre Tochter daraufhin einen Mittagsschlaf macht, bereitet einer von ihnen das Abendessen vor. Das muss schließlich um 18 Uhr auf dem Tisch stehen, damit sie Luna pünktlich schlafen legen können. Kurz gesagt: Ihr Leben verläuft vollkommen anders als meins.

Unser Tag zu viert war wirklich schön. Wir haben gespielt, getobt und gemeinsam zu Abend gegessen. Und die Routinen dabei natürlich nicht außer Acht gelassen. So musste Luna auch pünktlich um 19:30 Uhr ins Bett. Endlich Zeit für ein Glas Wein und Erwachsenengespräche.

Toxisches Single-Shaming

Die beiden erzählten mir über ihr Vorhaben, ein zweites Kind zu bekommen. Es würde schließlich so gut laufen. Und ein Geschwisterchen wäre für Luna sicherlich toll. Wenn alles nach ihren Vorstellungen läuft, wären die Kinder nur vier Jahre auseinander. Das wäre perfekt. Und sowieso sei es Zeit für den nächsten Schritt.

Im gleichen Atemzug fragte meine Freundin mich: „Willst du denn keine Kinder? Falls doch, solltest du dir endlich mal einen Partner suchen!"

Ich musste tief Luft holen. Antwortete dann aber nüchtern, dass ich ein sehr glückliches Single-Leben führe und mir eigene Kinder für meine Zukunft ohnehin nicht vorstellen könne. In dem Moment fiel meiner Freundin alles aus dem Gesicht.

Es vergingen sicherlich 30 Sekunden bis sie ihre Gedanken in Worte fassen konnte: „Du wirst deine Entscheidung gegen eigene Kinder später bereuen! Erst seit Luna auf der Welt ist, kenne ich den wahren Sinn des Lebens."

Ich unterstelle mal: Meine Freundin hat ihre Aussage nicht so böse gemeint, wie sie rüberkam. Trotzdem ist es nichts anderes als toxisches Single-Shaming. Als sei eine Frau ohne Partner nichts wert.

Als sei eine Frau ohne Kinder nichts wert. Als würden alleinstehende Frauen ohne Nachwuchs automatisch ein weniger erfülltes Leben führen als Frauen mit Familie.

Welche Ziele man im Leben verfolgt und ob dazu überhaupt ein Partner und Kinder gehören, spielt für unsere heteronormative Gesellschaft dabei keine Rolle. Was für eine realitätsfremde Sicht der Dinge. Als wären wir im Jahr 1960 stecken geblieben.

Frauen mit Partner und Kindern müssen sich für ihr Lebensmodell nie rechtfertigen. Man stelle sich nur mal kurz vor, ich hätte dem befreundeten Pärchen auf die Infos zu ihrer Zukunftsplanung entgegnet, dass sie ihre Entscheidung für Kinder eines Tages sicherlich bereuen werden.

Das wäre im besten Falle als pietätlos eingeordnet worden. Wird die Entscheidung einer Single-Frau ohne Kinderwunsch aber infrage gestellt, ist das augenscheinlich für viele vollkommen vertretbar. Selbst für Freunde dieser Frau, wie es scheint. Sie weiß schließlich noch gar nicht, was sie sich ohne Kinder entgehen lässt, weil sie noch nie in den Genuss gekommen ist...

Ein Appell

Was ich sagen will: Ich bin nicht weniger wert, weil ich mir nicht das traditionelle Familienmodell wünsche. Denn nur, weil ich eine Frau bin, besteht mein Lebensinhalt nicht darauf, einen Mann abzubekommen und mich fortzupflanzen. Die Familiengründung ist schließlich kein Must-have. Jeder Menschen hat andere Wünsche für sein Leben – und das ist auch gut so.

An alle Paare und Familien da draußen: Mir ist es egal, nach wie vielen Beziehungsjahren ihr euch für das erste Kind entscheiden, wie viele Nachkommen ihr bekommt oder wie häufig ihr fremdflirtet. Es ist euer Leben. Ihr müsst damit glücklich sein, nicht ich. Seid ihr zufrieden, freue ich mich für euch. Das Gleiche erwarte ich aber auch von euch. Deshalb klemmt es euch bitte, Alleinstehenden eurer Lebensmodell anzuschwatzen.

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