Die Stimmung hat etwas von einem Jugendtreff: An den beiden fest verschraubten Sitzbank-Tisch-Garnituren und in den offenen alten Frachtcontainern stehen und sitzen rund 30 Menschen zusammen. Es wird entspannt gequatscht, von irgendwoher kommt Musik, wahrscheinlich aus einer kleinen tragbaren Lautsprecherbox, die irgendjemand mitgebracht hat.
Eine idyllische Szene. Wäre da nicht die kaputte Crack-Pfeife, die gut sichtbar auf dem weißen Schotter liegt. Sie macht klar, dass man hier nicht ein paar Teenagern beim Abhängen zuschaut, sondern den Kern der offenen Dortmunder Drogenszene vor sich hat. Auf dem neuen Freiluft-Treffpunkt der Szene im Schatten der Thier-Galerie.
„Crack-Tsunami“ hinterließ Spuren
Der „Crack-Tsunami“ (wie es der Leiter des Dortmunder Drogenkonsumraums „Café Kick“ einst nannte), der um die Jahre 2019/20 herum über Dortmund und viele andere deutsche Großstädte hereinbrach, hat tiefe Spuren in der City hinterlassen, besonders rund um das „Café Kick“ in der Straße „Grafenhof“ in der südwestlichen Ecke der City.
Dort waren oft verwahrloste Drogenabhängige unterwegs, die auf offener Straße, hinter Hecken und in Hauseingängen Drogen nahmen oder ihre Notdurft verrichteten. Anwohner berichteten immer wieder von berauschten Menschen, die bewusstlos in Einfahrten lagen, einige sprachen von „Zombies“.

Der Druck aus der Nachbarschaft und von den umliegenden Händlern wurde so groß, dass der Stadtrat seit Anfang 2024 nach alternativen Standorten für den Konsumraum suchen lässt, erst als kompletten Ersatz, seit kurzem möglicherweise nur noch als zusätzliche Ergänzung für den Standort am Grafenhof.
Da sich diese Suche als sehr schwierig und langwierig erwies, mietete die Stadt eine 350 Quadratmeter große Brachfläche an der Ecke Grafenhof / Martinstraße an und richtete sie zu einem Outdoor-Treffpunkt für die Drogenszene her. Das Ziel des neuen Treffpunktes formulierte Gesundheitsamtsleiter Holger Keßling wenige Tage vor der Eröffnung so: Er solle „eine Entlastung für das Klientel und auch spürbar für das öffentliche Umfeld“ sein.
Zwei Monate später haben wir nachgeschaut: Hat das geklappt? Dazu waren wir ein halbes Dutzend Mal vor Ort, an mehreren Tagen und zu unterschiedlichen Zeiten.

Einer, der sofort merkt, wenn sich etwas rund um das „Café Kick“ verändert, ist Shellton de Franca. Der Straßenfeger sammelt für die EDG-Tochter Dolog zweimal täglich Müll im Umfeld des Drogenkonsumraums. „Vorher war das eine Katastrophe!“, sagt er, als wir ihn am Grafenhof treffen.
Aber seit der Eröffnung der Freifläche habe sich die Lage deutlich verbessert. Es liege viel weniger Abfall herum. Gleiches sagt eine Postbotin, als sie gerade im Grafenhof von Briefkasten zu Briefkasten huscht.

Nicht nur er hat hier jetzt etwas weniger zu tun. Sirac Omairat sitzt an einem schönen Freitagvormittag Ende März auf der Treppe eines Hauseingangs gegenüber des Café-Kick-Eingangs in der milden Frühlingssonne. „Seitdem die Freifläche eröffnet wurde, ist es viel ruhiger auf der Straße“, sagt er.
Der Mann mit dem breiten Kreuz und der signalgelben Weste gehört zum Sicherheitsdienst des Drogenkonsumraums, der zu den Öffnungszeiten des „Café Kick“ für Ruhe und Ordnung vor der Einrichtung sorgen soll. „Jetzt können wir den Leuten sagen: ‚Geht ins Café Kick oder dahin‘, und die machen das.“
Anfängliches Schimpfen über den „Affenkäfig“
Tatsächlich beobachten wir bei unseren Besuchen einen regen Pendelverkehr zwischen der Freifläche und dem Konsumraum. Bis auf ein paar Drogenabhängige unmittelbar vor dem Eingangstor des „Café Kick“ gibt es keine Menschenansammlungen mehr auf den Bürgersteigen wie früher.
Es habe aber etwas gedauert, bis sich die Drogenabhängigen mit dem neuen Treffpunkt, der von einem massiven schwarzen Zaun mit Sichtschutzelementen umgeben ist, anfreundeten, erzählt Omairat: „Anfangs haben sie über den ‚Affenkäfig‘ geschimpft, jetzt nutzen sie ihn.“

Einer dieser Nutzer ist Pascal. Der 26-Jährige nimmt nach eigener Aussage Heroin und Kokain und ist täglich am neuen Treffpunkt. „Es ist viel angenehmer hier, die Leute treiben sich nicht mehr rum, es gibt viel weniger Streit“, sagt er. „Früher hat man sich um die Ecke getroffen und sich ins Gesicht geschlagen - jetzt ist der Sicherheitsdienst sofort da.“
Pascal mag „das Setting“, die alten Container, den Schotter - und auch, dass es auf der Freifläche Dixie-Klos und Pissoirs gibt: „Die Leute pinkeln und scheißen hier nicht mehr in die Hauseingänge und Ecken.“

Dass sich die Drogenabhängigen auf dem neuen Treffpunkt sammeln und nicht mehr im Umfeld, merkt auch Lion Gökman. Er betreibt seit 20 Jahren eine Schneiderei an der Martinstraße zwischen Grafenhof und Westenhellweg, nur wenige Meter von der Freifläche entfernt.
„Es hat sich verbessert“, sagt der Schneider. „Früher waren die ständig vor meinem Laden, das ist 90 Prozent weniger geworden. Es fällt mir gar nicht mehr auf.“
Stadt Dortmund zieht „positive Zwischenbilanz“
Auch das Dortmunder Gesundheitsamt zieht „eine positive Zwischenbilanz“. Aktuell gebe es keine Beschwerden. Zu den Stoßzeiten - etwa zwischen 11 und 14 Uhr und zwischen 16 und 18 Uhr - hielten sich manchmal bis zu 40 Menschen auf der Fläche auf, so die Stadt, zwischendurch seien es 15 bis 25 Drogenabhängige. „Schon in den frühen Morgenstunden ab 7 Uhr - vor der Öffnung des Drogenkonsumraums - nutzen etwa zehn Menschen die Entlastungsfläche.“
Gelobt werde von den Drogenabhängigen „die Möglichkeit, sich aus dem öffentlichen Raum zurückziehen und etwas zur Ruhe kommen zu können“.
„Die lassen uns hier in Ruhe“
Was das vor Ort heißt, zeigt sich bei einem unserer Besuche: Während draußen auf dem Grafenhof eine Ordnungsamt-Streife einen offensichtlich Drogenabhängigen kontrolliert, bleiben die Menschen auf der Freifläche unter sich.
„Die lassen uns hier in Ruhe“, sagt Amin, ein Drogenabhängiger, der den Treffpunkt mehrfach die Woche besucht. Wir sprechen auf dem Bürgersteig vor dem Eingang zur Freifläche. Als sich ein Ordnungsamt-Mitarbeiter in Uniform in unsere Richtung bewegt, unterbricht Amin das Gespräch. „Ich geh‘ lieber rein.“

Der Treffpunkt scheint sich als sicherer Rückzugsort für die Szene etabliert zu haben. Dort gelten klare Regeln, sie sind auf gelben Schildern gut sichtbar angeschlagen: keine Gewalt, keine Waffen, kein Drogenkonsum, kein Dealen.
Doch mit den beiden letzten Punkten scheinen es einige der Besucher nicht so genau zu nehmen. Bis auf eine Ausnahme entdecken wir bei jedem unserer Besuche schnell jemanden, der an einer Crack-Pfeife zieht, meist in einem der beiden Container im hinteren Teil der Freifläche.
„Unter der Hand läuft da schon was“
Ebenso wechseln auf dem Treffpunkt anscheinend immer wieder die Drogen den Besitzer. „Unter der Hand läuft da schon was“, sagt etwa der Heroin- und Kokain-Konsument Pascal. Es gebe Tricks, um das diskret zu machen.
Die Stadt schreibt, dass es zu den „Daueraufgaben des Sicherheitsdienstes und des Umfeldmanagements“ gehöre, „dafür zu sorgen, dass alle die Regeln einhalten“. Es komme aber „immer wieder zu Verstößen gegen die Regeln. Zumeist betrifft das den Konsum und den Mikrohandel.“

Das bestätigt auch Paul. „Ich sehe von oben, wie sie sich die ganze Zeit was zustecken“, sagt der Bewohner eines Nachbarhauses, der eigentlich anders heißt, aber seinen richtigen Namen nicht in der Öffentlichkeit lesen möchte. Er erlebt den Treffpunkt als Entlastung der Nachbarschaft, sagt Paul: „Das ist eine gute Sache.“
Und zwar nicht nur für das direkte Umfeld, findet Jean-Vinh-Phuc, ein täglicher Besucher des Drogenkonsumraums: „Man merkt, dass es in der Stadt ruhiger ist, weil die Leute sich hier aufhalten.“ Dass es dort trotz Verbots Drogenkonsum und Mikrohandel gebe, findet er nicht schlimm. „Lieber hier, als in der Stadt.“

Holt der neue Treffpunkt also einen Teil von Dortmunds offener Drogenszene von den Straßen und Plätzen der City? Die Polizei spricht zumindest von einer „deutlichen Entlastung der sonstigen Fußgängerzone“ und einem „spürbaren Nachlassen der Beschwerdelage“.
Dazu passt eine Beobachtung, die Straßenfeger Shellton de Franca gemacht hat. Manchmal habe er früher an Wochenenden beispielsweise jeweils 20 Spritzen an der Einmündung der Martinstraße zum Wall und an der Kampstraßen-Seite der Petrikirche gefunden. Seit der Eröffnung der Freifläche finde er dort bestimmt 80 Prozent weniger Abfall, der mit Drogenkonsum zu tun hat.

An einem lauen Frühlingsabend Anfang April gegen 19 Uhr sind auf der Freifläche immer noch knapp 25 Menschen. In einer Ecke des Platzes, in der Nische zwischen dem Dixi-Klo, dem Außenzaun und der Mauer des Nachbarhauses, zündet sich ein Mann eine Crack-Pfeife an.
Wenige Meter entfernt, ohne direkte Sicht auf den Crack-Raucher, genießen die beiden Sicherheitskräfte am Eingang des Treffpunkts die letzten Sonnenstrahlen.
Die Straße vor ihnen liegt bereits im Schatten. Auf ihr sind keine Menschen zu sehen. Alles ist ruhig.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 12. April 2025.