Drogenkonsumraum raus aus dem Zentrum? Köln versuchte es - was Dortmund daraus lernen kann

Drogenkonsumraum in der City: Was Dortmund von Köln lernen kann
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Es ist die heikelste Standortsuche seit Jahren in Dortmund: Das „Café Kick“ soll umziehen. Deutschlands größter Drogenkonsumraum benötigt wegen massiven Beschwerden von City-Händlern und Anwohnern eine neue Heimat. Das aktuelle Domizil hinter der Thier-Galerie in der südwestlichen Ecke der City liegt seinen Kritikern zu zentral, zu nah am Westenhellweg.

Im Zuge ihrer monatelangen Suche prüfte die Verwaltung laut Oberbürgermeister Thomas Westphal weit über 100 mögliche Standorte. Die nicht-öffentliche Liste liegt nun bei den Ratsfraktionen, die über sie entscheiden müssen. Dabei wird es auch um die Frage gehen: Wie nah am Stadtzentrum soll der künftige Drogenkonsumraum liegen?

Vor genau dieser Frage stand vor rund 15 Jahren auch die Stadt Köln. Damals gab es in der Millionenstadt am Rhein nur einen kleinen Drogenkonsumraum am Hauptbahnhof - viel zu wenig für die offene Drogenszene, die sich vor allem auf dem Neumarkt im Kölner Zentrum sammelte.

Eine zweite, größere Einrichtung sollte her, betrieben von der Drogenhilfe Köln, einem erfahrenen Akteur des Hilfesystems für Suchtkranke in der Stadt. Mit ihrer Hilfe sollte der Drogenkonsum auf den Straßen der Innenstadt weniger werden, besonders auf dem Neumarkt, wo sich Heroinabhängige in aller Öffentlichkeit ihre Spritzen setzten.

„Wir haben bestimmt zehn Standorte besichtigt“, erinnert sich Dr. Thomas Hambüchen. Der heute 70-Jährige war damals Geschäftsführer der Drogenhilfe Köln und an der langwierigen Suche beteiligt. „Wir waren in leerstehenden Hotels, Turnhallen, ehemaligen Supermärkten.“

Enormer Druck von Nachbarn

Aber immer passte irgendetwas nicht, erzählt Thoralf Wedig. Der heute 59 Jahre alte Sozialpädagoge und Suchttherapeut leitete später den zweiten Kölner Drogenkonsumraum und war ebenfalls von Anfang an bei der Standortsuche dabei: „Alle Objekte in der Innenstadt, die infrage kamen, waren entweder für die Polizei oder das Ordnungsamt bedenklich. Immer war ein schützenswerter Ort, zum Beispiel ein Spielplatz oder eine Kita, zu nah.“

Einmal sei man ganz nah dran gewesen, sagt Hambüchen: „Wir hatten eine Immobilie in A-Lage am Neumarkt, da haben aber die Nachbarn den Eigentümer so stark unter Druck gesetzt, dass der zurückgerudert ist. Das hat die Suche ein dreiviertel Jahr zurückgeworfen.“

Dr. Thomas Hambüchen, Ex-Geschäftsführer der Drogenhilfe Köln
Dr. Thomas Hambüchen, Ex-Geschäftsführer der Drogenhilfe Köln: „Der Standort war eigentlich perfekt.“ © RheinEnergie

Nach zwei langen Jahren sei man schließlich endlich fündig geworden: „Wir haben ein leerstehendes Fitnessstudio erbeutet“, berichtet Hambüchen. „Der Standort war eigentlich perfekt: Es lag in einem Gewerbegebiet, die nächste Wohnbebauung war hunderte Meter entfernt.“

Auch Konsumraum-Leiter Wedig gerät selbst 15 Jahre später noch ins Schwärmen bei der Erinnerung an das Gebäude: „Es war großartig von der Aufteilung. Wir haben uns da gestalterisch ausgetobt. Wir hatten einen großzügigen Aufenthaltsraum, in dem die Konsumenten sich nach dem Konsum ausruhen und erholen konnten.“ Die Konsumboxen ließ man für einen mittleren fünfstelligen Betrag von einem Schreiner maßanfertigen, echte Qualitätsarbeit, ergänzt Hambüchen.

Der Aufenthaltsraum des KAD in Deutz: Hier konnten sich die Drogenabhängigen nach dem Konsum ausruhen.
Der Aufenthaltsraum des KAD in Deutz: Hier konnten sich die Drogenabhängigen nach dem Konsum ausruhen. © Drogenhilfe Köln

Der Standort hatte nur einen Nachteil: Er lag außerhalb des Kölner Zentrums, auf der anderen, der rechten Rheinseite im Stadtteil Deutz. Aus Sicht vieler linksrheinischer Kölner „ist Deutz eigentlich schon der Ferne Osten“, witzelt Hambüchen.

Ein Makel, den die gute Verkehrsanbindung ausmerzen sollte, hofften die Drogenkonsumraum-Betreiber. Mit der Stadtbahn, wie das kombinierte U- und Straßenbahn-Netz auch in Köln heißt, brauchte man vom Neumarkt lediglich sieben Minuten zur Einrichtung. „Die Haltestelle lag direkt auf der anderen Straßenseite unserer Eingangstür, von ihr fuhr die Linie 7 bis zum Neumarkt durch“, sagt Hambüchen.

Gratis-Tickets, keine Drogen-Kontrollen

Die Idee war einfach: Die „7“ solle entlang ihrer Strecke durch die Innenstadt überall die Suchtkranken einsammeln. Um ihnen den Weg nach Deutz möglichst einfach zu machen, habe die Drogenhilfe einiges unternommen, erzählt Hambüchen. Man habe den Drogenabhängigen beispielsweise kostenlose Fahrtickets organisiert. Und mit den Behörden habe man den Deal gehabt, dass zwischen Neumarkt und Deutz keine Passagiere auf Drogen kontrolliert werden.

Als die „Kölner Anlaufstelle für schwerst Drogenabhängige“ (KAD) im Frühling 2010 bereit war, ihre Türen zu öffnen, war die Euphorie bei der Drogenhilfe Köln groß, sagt Hambüchen: „Wir hatten genug Geld von der Stadt, wir hatten ein tolles Gebäude, wir hatten gutes und erfahrenes Personal.“

Die KAD in Deutz von außen - das ehemalige Fitnessstudio war für Hunderttausende Euro zum Drogenkonsumraum umgebaut worden.
Die KAD in Deutz von außen - das ehemalige Fitnessstudio war für Hunderttausende Euro zum Drogenkonsumraum umgebaut worden. © Drogenhilfe Köln

Und dann passierte – nichts. „Am Eröffnungstag guckten wir aus dem Fenster und es kam niemand“, sagt KAD-Leiter Wedig. Aus dem schlechten Start wurde eine trostlose Anfangszeit. Thoralf Wedig kramt alte Statistiken heraus, die er damals zur Nutzung der KAD geführt hat: Im ersten Betriebsmonat, dem April 2010, wurde im Drogenkonsumraum lediglich 61 Mal Drogen genommen – im gesamten Monat, wohlgemerkt. Der Monatsrekord aus dem ersten Kalenderjahr lag nur unwesentlich höher, bei 72 im November. Zum Vergleich: 2023 kam es in Dortmunds „Café Kick“ zu durchschnittlich 224 Konsumvorgängen – pro Tag.

Es war eine schwere Zeit für Wedig und seine mehr als zehn Mitarbeiter in der KAD: „Wir waren extrem an der Belastungsgrenze, durch den ‚Bore Out‘ [dauerhafte Unterforderung und Langeweile am Arbeitsplatz, Anmerkung der Redaktion]. Es war schwer auszuhalten. Wir hatten viel zu viel Kapazitäten für die geringe Nachfrage.“ Um etwas zu tun zu haben, übte das Team viel, simulierte Notfälle, um für den Ernstfall optimal gerüstet zu sein, sollte die Einrichtung einmal stärker genutzt werden.

Auch Bestechung mit Zigaretten funktioniert nicht

Die Drogenhilfe Köln versuchte gegenzusteuern. Drei Streetworker waren auf dem Neumarkt unterwegs, sprachen die Drogenabhängigen an und versuchten sie zu überzeugen, zum Konsumieren zur KAD zu fahren. „Wir haben sie sogar mit Zigarettenpackungen bestochen, nach Deutz zu kommen“, erinnert sich Ex-Geschäftsführer Hambüchen, „aber auch das hat schnell nichts mehr gebracht“. Ein Shuttlebusdienst zwischen Neumarkt und KAD wurde angedacht, aber schließlich wieder verworfen.

In ihrem zweiten Betriebsjahr stiegen die Nutzerzahlen der KAD zwar auf rund 200 Konsumvorgänge pro Monat, aber von dem eigenen Ziel, 100 Konsumvorgänge pro Tag in der Einrichtung zu haben, sei man „meilenweit entfernt“ gewesen, so Wedig. „In diesen Bereich wären wir nie gekommen.“

Der Neumarkt im Kölner Zentrum ist der Haupt-Treffpunkt der Drogenszene der Stadt. Von hier fuhr die Linie 7 direkt vor die Tür der KAD.
Der Neumarkt im Kölner Zentrum ist der Haupt-Treffpunkt der Drogenszene der Stadt. Von hier fuhr die Linie 7 direkt vor die Tür der KAD. © Stadt Köln

„Die Nutzungszahlen waren lächerlich für die Größe der gesamten Szene“, sagt Hambüchen, auch im Vergleich zum getätigten finanziellen Einsatz. „Wir hatten hunderttausende Euro investiert, dazu kamen Betriebskosten in siebenstelliger Höhe.“ Im Februar 2012 zog die Drogenhilfe Köln die Notbremse und schloss den Drogenkonsumraum.

13 Jahre später fällt Wedigs Urteil über „seine“ KAD eindeutig aus: „Ich fand die Einrichtung gut, aber den Ort richtig ungeeignet. Die Treffpunkte der Drogenszene waren viel zu weit weg.“ Dem pflichtet Hambüchen bei: „Suchtkranke brauchen kurze Wege, sie schaffen es nicht, auf den Konsum zu warten.“ Auch nicht für eine nur kurze, kostenlose Stadtbahnfahrt ohne die Angst vor einer Kontrolle. „Wir haben es nicht geschafft, die Szene davon zu überzeugen, dass der Weg nicht zu lang ist.“ Er zitiert einen Spruch des damaligen Kölner Drogenbeauftragten: „Der Kölner Drogenjunkie schafft es nicht, mehr als sieben Minuten zu laufen, bevor er konsumiert.“

Ex-Chef der Drogenhilfe Köln für Konsumräume direkt an Einkaufsstraßen

Für Hambüchen ist die Konsequenz des Scheiterns der KAD in Deutz klar: Drogenkonsumräume müssen unmittelbar dahin, wo die offene Drogenszene sei, wo die Abhängigen das Geld für ihren Konsum erbetteln oder sich sonst wie beschaffen, und das seien nun mal die Einkaufszonen. „Wenn es in Dortmund nur eine echte Einkaufsstraße gibt, dann müssen Sie einen Standort an dieser Straße bekommen, sonst wird es nicht klappen.“ Ein guter Ort seien aus seiner Sicht Ladezonen von ehemaligen Kaufhäusern, die meist an der Rückseite solcher Einkaufsstraßen liegen und durch ihre Begrenzung gut zu kontrollieren seien.

Auch die Stadt Köln verfolgt inzwischen diesen Ansatz. 2022 eröffnete sie in Eigenregie einen neuen Drogenkonsumraum, im Gesundheitsamt direkt am Neumarkt. „Konsumräume sind immer dort sinnvoll, wo sich die Szene und Konsumierende illegaler Drogen aufhalten und konsumieren“, schreibt die Stadt auf Anfrage unserer Redaktion. „Der Neumarkt ist der größte ‚Hotspot‘ in Köln.“

„Man muss auch auf die Stadtgesellschaft achten“

Ex-KAD-Leiter Wedig, der heute zwei andere Suchthilfeeinrichtungen der Drogenhilfe Köln führt, hat da eine etwas andere Meinung: „Der jetzige Standort direkt am Neumarkt ist zu zentral, die Händler dort leiden enorm. Aus meiner persönlichen Sicht hat der Drogenkonsumraum zu einer Verschlechterung der Lage am Neumarkt geführt. Man darf nicht nur auf die Klientel gucken, sondern muss auch auf das Stadtbild und die Stadtgesellschaft achten.“

Der 59-Jährige, der seit 1996 bei der Drogenhilfe Köln arbeitet, würde bei der Standortwahl eines Drogenkonsumraums inzwischen zu einer gesunden Halbdistanz zu den Szeneorten raten: „500 Meter, vielleicht ein Kilometer wäre eine gute Entfernung.“

Der alte Drogenkonsumraum im „Café Kick“ am Eisenmarkt. Der Dortmunder Drogenkonsumraum übernahm einige der Konsumboxen aus der geschlossenen Kölner Einrichtung.
Der alte Drogenkonsumraum im „Café Kick“ am Eisenmarkt. Der Dortmunder Drogenkonsumraum übernahm einige der Konsumboxen aus der geschlossenen Kölner Einrichtung. © RN-Archiv

Für Köln war das Schicksal der KAD in Deutz eine (teure) Lehrstunde, dass Drogenkonsumräume weit entfernt von Drogen-Hotspots nicht funktionieren. Ein kleiner Teil der gescheiterten KAD lebte noch ein paar Jahre weiter - ausgerechnet in Dortmund: Das „Café Kick“, das damals noch am Eisenmarkt in der City lag, bekam die teuren, maßgeschneiderten Konsumboxen aus Deutz geschenkt.

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