
Dortmunds verschwundener Party-Keller
Legenden des Dortmunder Nachtlebens: Holiday und Keller
Hier rappte Neven Subotic, hier rockte Mick Jagger: Über 60 Jahre lang war das Untergeschoss der Geschwister-Scholl-Straße 24 die Heimat von legendären Diskos wie dem Keller und dem Holiday. Doch die Geschichte eines der ältesten Feier-Standorte Dortmunds endete mit einem Streit.
„Wer nicht lieb ist, kommt in‘ Keller“ – die meisten Dortmunder zwischen 20 und 40 Jahren verbinden diesen Slogan mit einem dunklen Untergeschoss an der Geschwister-Scholl-Straße 24. Von 1996 bis 2015 war der Keller Schauplatz unzähliger Feier-Nächte.
Donnerstags bis samstags drängelten sich vor allem Studenten zu Rock- und Popklängen auf der fünf mal fünf Meter großen Tanzfläche oder schauten dem Treiben von den Podesten zu. Manche Gäste verbrachten die ganze Nacht am Kickertisch, andere hingen lieber im Bistro rum und hörten Reggae in der winzigen Zweitdisko.
Erste Disko zog 1960 in den Keller ein
Doch schon lange vor dem Keller wurde in seinen Räumen gefeiert: Bereits 1960 hatte mit der Blue Bar die erste Disko im ehemaligen Cognac-Lager der Dortmunder Kornbrennerei Krämer eröffnet.
Richtig Fahrt nahm das Feiertreiben aber erst mit dem Nachfolger auf, der 1966 einzog: Ria’s Saloon, ein Tanzschuppen im Western-Design „mit Kuhfellen auf den Stühlen“, erinnert sich Hans-Hermann Krämer, der Senior-Chef der Kornbrennerei, der der Keller immer noch gehört.
Mick Jagger als Waffe im Diskokrieg
Der damalige Pächter von Ria’s Saloon achtete sehr auf das Erscheinungsbild seines Ladens – schließlich hatte er ihn nach seiner Frau benannt. Als es einmal Bauarbeiten an der Fassade gab, rief er Krämer zu: „Wenn hier irgendwas auf meine Reklame fällt, schieße ich Sie vom Gerüst!“ Der Spruch hat es in den Anekdotenschatz der Familie Krämer geschafft.

Ein früher Vorgänger des Kellers: In Ria's Saloon war auch schon Mick Jagger zu Gast. © Archiv Kornbrennerei Krämer
Wie heftig hinter der holzverzierten Fassade des Saloons gefeiert wurde, ist nicht überliefert. Es muss aber hoch hergegangen sein, erinnert sich Krämer: Der Saloon habe sich eine Art Disko-Krieg mit einem Laden namens Riverboat geliefert. Es gab ständig Konzerte, unter anderem von den Lords, den sogenannten „Deutschen Beatles“. Auch Rock-Gigant Mick Jagger war einmal zu Gast.
Holiday machte 1982 auf
Die Eltern-Generation der Keller-Besucher verbindet aber vor allem einen Namen mit den Räumen an der Geschwister-Scholl-Straße: das Holiday. Günther Link, in der Szene wegen seines exzentrischen Auftretens nur „Lord Link“ genannt, machte die Disko am 12. Juni 1982 auf – zu den Klängen von „Just an Illusion“ von Imagination, einer sanften Achtziger-Jahre-Pop-Nummer mit leichten Restspuren von Disco.
Der Sound passte gut in die neu gestaltete Disko: Alles war knallbunt. In einer Ecke gab es eine kleine Holztribüne, die mit lila Teppich bespannt war, an der Wand prangte das Holiday-Logo, ein gelbes Flugzeug, aus dessen Propeller Noten flogen. Später komplettierten noch künstliche Palmen überall im Raum und ein Reetdach über dem Tresen das Urlaubsflair. Das Holiday wurde zu einer der beliebtesten Diskos im Dortmund der 1980er-Jahre.
Hören Sie in den Soundtrack des Holiday rein:
„Das Holiday stand für Mainstream“, sagt Michael Kalies. Der heute 58-Jährige stand als DJ am Eröffnungsabend hinter den Plattentellern – und danach eigentlich auch immer. „Wir hatten sieben Tage die Woche auf, und ich habe ein Jahr lang durchgearbeitet“, erinnert er sich. Ende der 1980er-Jahre übernahm er den Laden selbst.
Die DJs waren die Stars im Holiday. Kalies war bekannt für seinen schrillen Kleidungsstil: Mal kam er weiß geschminkt im Frack und mit Zylinder, mal trug er einen pinken Overall aus der Frauenabteilung von Karstadt, während er Madonna, Prince und Michael Jackson auflegte.
Musik-Pause verscheuchte die Teenies
Schon um 20 Uhr sei das Holiday oft voll gewesen, sagt Kalies: „Aber nur mit Teenies.“ Es war die erste Gästerutsche. Um die rechtzeitig aus dem Laden zu bekommen, bevor gegen 23 Uhr die Hauptklientel anrückte, legten die Holiday-Macher gegen 22.30 Uhr gerne mal eine „Tanz-Pause“ ein.
„Da ging das Licht an und ich spielte nur noch leise Beatles-Musik, damit die Jungen von selbst abhauten – schließlich fuhr um halb zwölf die letzte Bahn.“
Frauen in Strapsen zertrümmerten eine Holzhütte
Die echte Party ging erst danach los. Disko-Betreiber Günther Link war berühmt für seine ausgefallenen Aktionen, mit denen er die Leute ins Holiday lockte. In einer „Chaos-Nacht“ ließ er etwa eine kleine Holzhütte auf der Tanzfläche errichten, die dann vier leichtbekleidete Frauen in Strapsen mit Vorschlaghämmern zu Kleinholz schlugen.
In einer anderen Nacht heuerte Link Schauspieler an, die ein Brautpaar in voller Montur spielten, das sich im Holiday heillos zerstritt und trennte – die Disko war zu der Zeit ein beliebter Endpunkt für die damals geläufigen Brautentführungen an Hochzeiten. So hatten die Gäste am nächsten Tag immer was zu erzählen.
Holiday war nicht mehr zeitgemäß
Doch Anfang der 1990er-Jahre sank der Stern des Holiday: Das neu eröffnete Village am Westenhellweg grub der Disko das Publikum ab, hinzu kamen eigene Fehler, erzählt der damalige Betreiber Kalies: Er änderte die Innen-Deko des Holiday, stellte unter anderem falsche griechische Säulen in den Laden. „Ich wollte den Leuten was Neues bieten, die Leute wollten aber das Alte“, sagt Kalies, der heute einen Lieferservice für Backwaren betreibt.
Die einst beliebte Partyadresse war nicht mehr zeitgemäß: „Einer der letzten Orte in Dortmund, an dem Manta-Witze wahrscheinlich falsch verstanden werden könnten“, schrieben die Ruhr Nachrichten Ende 1993 über das Holiday. Bald danach war die Disko Geschichte.
Keller eröffnete 1996 - und wurde schnell ein Erfolg
Es folgten schwierige Jahre an der Geschwister-Scholl-Straße. Die Namen und die Konzepte der Läden wechselten schnell. Diskos wie das „Ghetto“ und das „Sing-Sing“ (bei dem die Deko einem Gefängnis nachempfunden war) hielten sich nicht lange.
Die Durststrecke endete im Juli 1996. Da eröffnete der Keller. In den 1970er-Jahren hatte die Disko schon einmal so geheißen, doch der neue Keller stellte seinen Namens-Vorgänger schnell in den Schatten.

Der Keller verwandelt das Untergeschoss an der Geschwister-Scholl-Straße 24 ab 1996 in einen beliebten Studentenladen. © Privatarchiv Miriam Graßhoff
Keller war ein gemütliches Party-Wohnzimmer
Miriam Graßhoff war von Anfang an dabei. Die heute 45-Jährige war die Betriebsleiterin, zusammen mit Georg Otto baute sie den neuen Keller auf. Die Idee der beiden war, eine Disko speziell für Studenten zu etablieren: „So etwas gab es damals in Dortmund nicht.“
Im Keller ging es locker zu: „Du konntest im schwarzen Anzug kommen oder im Jogger, das war uns egal“, sagt Graßhoff. Wo einen die Türsteher vor anderen Diskos nur verächtlich musterten, quatschten und scherzten sie hier mit den Wartenden.
Wer die elf Stufen hinunter gestiegen war, betrat eine Art gemütliches Party-Wohnzimmer: Im schwarz-rot gehaltenen Bistro standen Sofas und Kinostühle, auf dem dreistöckigen Kirschbaum-Podest im Hauptraum thronten neben einer Stehlampe eine alte Couch und zwei Sessel – „die beliebtesten Plätze“, sagt Graßhoff.
The Hives, Guano Apes und Sasha traten hier auf
Besonders bei den Studenten-Partys am Donnerstag war der Laden proppenvoll. Oft feierten weit mehr als die eigentlich erlaubten 400 Gäste in der Disko, im „Tatort“, dem winzigen zweiten Raum des Kellers, tummelten sich manchmal 100 Leute auf 30 Quadratmetern.
Musikalisch hatte der Keller zwar immer eine leichte Vorliebe für Rock, doch bediente die Disko im Laufe ihres 19-jährigen Lebens alle Musikrichtungen. Es gab auch Hip-Hop-Partys, im Tatort wurde häufig Reggae gespielt.
Nur eine Grundregel gab es: kein Schlager. Dafür gab es häufig Konzerte. Unter anderem traten im Keller The Hives und die Guano Apes auf, und Sasha, der übrigens Keller-Stammgast gewesen sei, sagt Graßhoff.
Hören Sie in den Soundtrack des Kellers rein:
BVB-Spieler mit dicken Goldketten kamen nicht in den Keller
Graßhoff strahlt, wenn sie von den alten Zeiten erzählt. Etwa, wenn der Keller nach Heimspielen des BVB voller Borussen-Fans war. „Da haben wir um zwei Uhr morgens ‚You’ll never walk alone‘ gespielt. Alle reckten ihre Schals in die Höhe und grölten mit. Das war die Süd in klein!“
Auch viele BVB-Spieler kamen regelmäßig in den Keller – Neven Subotic habe sogar einmal spontan eine halbe Stunde gerappt, erinnert sich Graßhoff. Für manche Fußballstars war aber schon an der Kasse Schluss. „Das einzige, was wir nicht mochten, waren diese dicken Rapper-Goldketten. Wenn ein BVB-Spieler mit so einer hier aufkreuzte, habe ich ihn weggeschickt. Wenn er dann ohne wiederkam, durfte er rein.“
Es habe den Spielern gefallen, dass sie hier wie normale Gäste behandelt wurden. „Die wurden nie blöd von der Seite angequatscht“, sagt Graßhoff. Bevor Christoph Metzelder zu Real Madrid wechselte, sei er vor Öffnung der Disko vorbeigekommen, um Erinnerungsfotos zu schießen.
Mitarbeiterin feierte im Hochzeitskleid im Keller
Das Erfolgsgeheimnis des Kellers war die familiäre Atmosphäre, findet Graßhoff. Die meisten der Angestellten – die Barkeeper, die Türsteher, die Garderobiere – seien jahrelang geblieben. Das schweißte zusammen. Graßhoff spricht liebevoll von „den Kleinen“, wenn sie von ihnen erzählt. „Eine Mitarbeiterin hat nach ihrer Hochzeit noch im Hochzeitskleid mit uns im Keller gefeiert.“
Auch für viele Gäste war der Keller ein erweitertes Zuhause. Dabei half, dass sich an der Einrichtung des Kellers über all die Jahre nichts veränderte. „Du konntest drei Jahre im Ausland sein, wenn du wiederkamst, war der Keller noch derselbe“, sagt Graßhoff.
Keller war extrem sanierungsbedürftig
Dieser abgerockte Charme führte letztlich zum Ende des Kellers: Nach über 60 Jahren durchgängigem Disko-Betrieb waren die Räume extrem sanierungsbedürftig. Es hatte sich Schimmel gebildet, die Heizung funktionierte nicht mehr richtig.
Und die Toiletten waren in einem katastrophalen Zustand. „Manche Gäste sagten: ‚Wenn die Klos noch nicht übergelaufen sind, ist es noch keine richtige Keller-Party‘“, erzählt Graßhoff.
Ende für den Disko-Standort kommt 2015
Hinzu kam, dass die Krämers – die Besitzer der Kornbrennerei und Vermieter des Kellers – das Haus über der Disko grundsanierten und aufwerteten. Wegen der Bauarbeiten und der Höhe der Mietzahlungen gerieten beide Parteien 2015 aneinander. „Es gab ordentlich Zoff“, erinnert sich Geschäftsführer Felix Krämer.
Am Ende einigten sich die Krämers und die Keller-Geschäftsführung darauf, den Mietvertrag aufzulösen. Nach 65 Jahren endete die Geschichte des Kellers der Geschwister-Scholl-Straße als Party-Tempel.
Keller besteht heute aus Bauschutt und Gerümpel
Wo früher junges Feiervolk bis zur Sperrstunde um 5 Uhr feierte, liegen heute Bauschutt und Gerümpel. Die Wände sind aufgerissen, Kabelstränge hängen offen von der Decke. Neben dem alten DJ-Pult stehen alte Munitionskisten, in denen die Krämers während des Zweiten Weltkriegs Schnaps versteckt und eingegraben hatten, für die Zeit danach.
Was mit den Räumen des alten Kellers passiert, weiß Felix Krämer noch nicht. Es gebe zwar Pläne, doch noch nichts Definitives. Eines sei aber klar: Eine Disko wird nie mehr in der Geschwister-Scholl-Straße 24 einziehen.
Ihren Erinnerungen an den Keller können die Dortmunder aber trotzdem weiter frönen: Seit 2016 gibt es jeden Donnerstag eine Keller-Party im Alten Weinkeller, einer neuen Disko an der Märkischen Straße. Sogar der alte Keller-Kickertisch hat es in die neue Bleibe geschafft.
1984 geboren, schreibe ich mich seit 2009 durch die verschiedenen Redaktionen von Lensing Media. Seit 2013 bin ich in der Lokalredaktion Dortmund, was meiner Vorliebe zu Schwarzgelb entgegenkommt. Daneben pflege ich meine Schwächen für Stadtgeschichte (einmal Historiker, immer Historiker), schöne Texte und Tresengespräche.
