Dortmunds erstes Weihnachten nach dem Krieg 1945: Feiern in Trümmern

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Dortmunds erstes Weihnachten nach dem Krieg 1945: Feiern in Trümmern

rnHeiligabend vor 75 Jahren

Weihnachten 2020 ist ein Krisen-Fest. Doch im Vergleich zu Heiligabend 1945 ist es immer noch ein Luxusurlaub. Vor 75 Jahren feierten die Dortmunder umgeben von Trümmern und Hunger.

Dortmund

, 24.12.2020, 04:30 Uhr / Lesedauer: 4 min

Heiligabend vor 75 Jahren - das war das erste Weihnachtsfest nach dem Krieg. Die Dortmunder feierten inmitten von Trümmern. Nach den Feiertagen kam es sogar zu einer Katastrophe.

Es werde wohl das härteste Weihnachten, das die Nachkriegsgenerationen je erlebt haben, prophezeite NRW-Ministerpräsident Armin Laschet Ende November. Zumindest diejenigen, die die unmittelbare Nachkriegszeit erlebt haben, dürften da widersprechen.

Vor genau 75 Jahren feierten die Dortmunderinnen und Dortmunder ein entbehrungsreiches Weihnachtsfest - nur wenige Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

An Weihnachtseinkauf war da nicht zu denken: So sah der Westenhellweg zum Ende des Zweiten Weltkriegs aus.

An Weihnachtseinkauf war da nicht zu denken: So sah der Westenhellweg zum Ende des Zweiten Weltkriegs aus. © Stadtarchiv

Geschenke, Festessen - daran war in den meisten Dortmunder Familien zu Weihnachten 1945 nicht zu denken. „Wir haben richtig Kohldampf geschoben“, erinnert sich Franz Sauerwald. Der Berghofer erlebte das erste Nachkriegsweihnachten als 14-Jähriger.

Leben in Ruinen und Notunterkünften

Es war ein Weihnachtsfest in Trümmern. Dortmund war im Bombenhagel der Alliierten in den letzten Kriegsjahren weitgehend zerstört worden. Stadtweit sind zwei Drittel aller Wohnungen verloren gegangen, im Stadtzentrum sogar mehr als 90 Prozent. Viele der 430.000 Bewohner, die im Dezember 1945 in der Stadt leben, haben kaum ein Dach über dem Kopf oder leben in Notunterkünften.

Viele Dortmunder lebten an Weihnachten 1945 notdürftig in zerstörten Häusern.

Viele Dortmunder lebten an Weihnachten 1945 notdürftig in zerstörten Häusern. © Stadtarchiv

Trotzdem kehren immer mehr Dortmunderinnen und Dortmunder, die in den letzten Kriegsmonaten evakuiert worden waren und zeitweise auf dem Land lebten, in die Stadt zurück. Dabei war in den Monaten zuvor immer wieder davor gewarnt worden.

OB warnt: Wer jetzt zurückkehrt, wird auf der Straße liegen

„Kehrt vorerst nicht nach Dortmund zurück. Bleibt da, wo Ihr jetzt seid!“, heißt es in einem Aufruf, der vom kommissarischen Oberbürgermeister Dr. Hermann Ostrop unterzeichnet war. „Wer jetzt zurückkehrt, kann keinen Wohnraum bekommen, er würde buchstäblich auf der Straße liegen.“ Umgekehrt werden sogar Dortmunder ohne richtige Unterkunft aufgefordert, freiwillig aufs Land zu ziehen.

Die, die bleiben oder trotz Warnung zurück in die Stadt kommen, leben oft in heute unvorstellbaren Verhältnissen. Sie richten sich in baufälligen Ruinen ein, leben in Kellern, Abstellräumen, Garagen oder Waschküchen. Große Räume werden geteilt und von zwei Familien bewohnt.

Viele Familien mussten in Dortmund auch in Gemeinschaftsunterkünften leben, wie in diesem Massenquartier an der Burgholzstraße.

Viele Familien mussten in Dortmund auch in Gemeinschaftsunterkünften leben, wie in diesem Massenquartier an der Burgholzstraße. © Stadtarchiv

„Selbstgezimmerte Bretterbuden und Stallungen dienten ebenso wie schrottreife Autobusse als ‚Wohnung‘ für mehrere tausend Menschen in Dortmund“, heißt es in einer Bilanz des Stadtarchivs. „Abgedeckte Dächer wurden behelfsmäßig mit Holz oder Wellblech geschlossen, Nägel waren recht begehrt, Fensterglas war geradezu eine Kostbarkeit. Als Ersatz musste häufig Pappe herhalten, um so die Räume gegen Wind, Kälte, Nässe oder Zugluft einigermaßen abzudichten.“

Katastrophe erschüttert Dortmund nach dem Weihnachtsfest

Unmittelbar nach den Weihnachtstagen kommt es sogar zu einer Katastrophe. Am 28. Dezember, einem Freitag, fegt ein orkanartiger Sturm über Dortmund. Er lässt zahlreiche durch Kriegsschäden baufällige Häuser und Giebelwände wie Kartenhäuser zusammenbrechen. In den einstürzenden Trümmern kommen 15 Menschen ums Leben, 25 werden schwer verletzt.

Behelfsmäßig wurden - wie hier an der Kirchderner Straße - zerstörte Häuser wieder hergerichtet, um dort notdürftig zu leben.

Behelfsmäßig wurden - wie hier an der Kirchderner Straße - zerstörte Häuser wieder hergerichtet, um dort notdürftig zu leben. © Stadtarchiv

Das Wohnen auf engstem Raum führt auch zu Konflikten - besonders im Winter. Oft kann nur ein Raum beheizt werden, in dem dann alle zusammenrücken. Gas- und Stromverbrauch sind rationiert, Heizmaterial ist knapp.

Zwar wird schon auf Dortmunder Zechen wieder Kohle gefördert, doch die kommt nicht unbedingt bei der heimischen Bevölkerung an. In Ruinen und Trümmern wird deshalb überall verwertbares Holz gesucht, um den heimischen Herd heizen zu können.

Die Schuttberge waren ein Spielplatz für Kinder, aber auch eine Fundgrube für noch verwertbares Material.

Die Schuttberge waren ein Spielplatz für Kinder, aber auch eine Fundgrube für noch verwertbares Material. © Stadtarchiv

Kälte, Enge, Hunger und die mangelhaften hygienischen Verhältnisse, bedingt auch durch die teilweise zerstörte Kanalisation, führen zu gesundheitlichen Problemen.

Oberbürgermeister Ostrop warnte schon im Sommer 1945 vor Seuchen und Epidemien. Tatsächlich breiten sich Diphterie und Typhus in einigen Vororten aus. Allein 1945 sterben 621 Dortmunder an Lungentuberkulose. Die Säuglingssterblichkeit steigt auf dramatische 29,7 Prozent.

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Knapp und streng rationiert sind natürlich auch die Lebensmittel. Die Rationen, bemessen in Kalorien, die jedem Bewohner mit Lebensmittelkarten zugeteilt werden, sind äußerst knapp - drei Pfund Brot ohne Mehl und 50 bis 100 Gramm Fleisch, ein wenig Gemüse, Butter oder Margarine sollen für einen Erwachsenen pro Woche reichen. Von „Hungern auf Karten“ und „Papierkalorien“ ist die Rede.

Schlangestehen für einen Laib Brot. Das undatierte Foto aus dem Jahr 1945 stammt aus Berlin. In Dortmund dürfte es aber ähnlich ausgesehen haben.

Schlangestehen für einen Laib Brot. Das undatierte Foto aus dem Jahr 1945 stammt aus Berlin. In Dortmund dürfte es aber ähnlich ausgesehen haben. © dpa

Viele Dortmunder versuchen sich deshalb bei Hamsterfahrten in völlig überfüllten Zügen ins Umland zu versorgen, tauschten ihre wenige Habseligkeiten vom Schmuck bis zum Teppich bei Bauern gegen Lebensmittel ein.

Welche Ausmaße das annimmt, zeigt ein offizieller Bericht über polizeiliche Kontrollen. Danach kommen „auf dem Weg des Hamsterns allein mit den Personenzügen an einem Tag mehr Kartoffeln nach Dortmund als der ordnungsgemäß zuständige Kartoffelgroßhandel zugeteilt bekam“.

Zigaretten auf dem Schwarzmarkt

Der Schwarzmarkt blüht - oft mit den gehamsterten Lebensmitteln. In Dortmund richtet er sich erst im Umfeld des heutigen Westentores, später im Bereich Heilige-Garten-Straße in der Nordstadt ein. Brot, Speck und Butter, aber auch Zigaretten, Stückpreis bis zu 5 Reichsmark, und Schnaps sind heiß begehrte Waren - für viele das schönste Weihnachtsgeschenk. Für andere sind es selbst genähte Kleidungsstücke oder aus Lederresten zusammengeschusterte Schuhe.

Zum Kriegsende 1945 ist vor allem das Stadtzentrum, hier die Kampstraße mit der Petrikirche, fast vollständig zerstört.

Zum Kriegsende 1945 ist vor allem das Stadtzentrum, hier die Kampstraße mit der Petrikirche, fast vollständig zerstört. © Stadtarchiv

Die Bescherung vor 75 Jahren fällt also äußerst bescheiden aus - wenn es überhaupt eine gibt. Auch die Kirchen sind weitgehend zerstört. Weihnachtsgottesdienste finden in einigen Gemeinde in Ruinen oder im Freien statt. Wobei es die Dortmunder nicht unbedingt ins Freie zieht. Der 24. Dezember 1945 ist ein nasskalter, grauer Montag. Da ist eine warme Stube schon echtes Weihnachtsglück.

Hungersnot in den folgenden Jahren

Besserung lässt lange auf sich warten. Die Weihnachtsfeste der folgenden Jahre werden für viele Dortmunder noch härter. Vor allem der extreme Winter 1946/47 verschärft die Situation in der durch Rückkehrer und Flüchtlinge weiter anwachsenden Stadt. Die Stadt muss in einigen Bunkern angesichts der klirrenden Kälte öffentliche Wärmestunden einrichten, in denen man sich zumindest zeitweise „auftauen“ kann.

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Die Ernährungslage spitzt sich ebenfalls dramatisch zu. Nicht einmal die knapp bemessenen Mengen an Nahrungsmitteln, die die Bezugsscheine versprechen, sind zu bekommen. Im Frühjahr 1947 kommt es zu einer regelrechten Hungersnot. Es gibt Proteststreiks und Hungerdemonstrationen.

Erinnerungen, die die Bezeichnung vom „härtesten Weihnachten“ für die Nachkriegsgeneration im Corona-Jahr 2020 in ein anderes Licht rücken.

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