Bei Wikipedia gibt es einen Artikel über die Sängerin und Schauspielerin Tirzah Haase. Hinter dem Namen steht in Klammern, dass sie „um 1960 in Dortmund“ geboren wurde. Darauf angesprochen, lacht sie. Ihr Alter zählt nicht zu ihren Lieblingsthemen.
Ein bisschen eitel ist Tirzah Haase schon. Ein kurzer Blick in den Spiegel vor dem Foto. Sitzt das Make-up noch? Ja, aber das Oberteil wirkt unvorteilhaft. Schnell wirft sie ein weißes Hemd über. Sie entschuldigt sich mehrmals für die Umstände und sagt: „Ich weiß, ich bin da manchmal schwierig.“
Eine Diva? Tirzah Haase überlegt kurz. Sie habe zwar divenhafte Züge, antwortet sie dann. Aber für eine Diva stehe sie dem Publikum zu nah. „Ich nehme mich selbst nicht so ernst. Und das mag das Publikum.“ Dortmunds Diva mit Augenzwinkern.
Dschungelcamp auf dem Balkon
In ihrer Wohnung im Kaiserviertel lebt Tirzah Haase allein. Sie führt durchs gemütlich eingerichtete Wohnzimmer auf den Balkon. „Herzlich willkommen in meinem Dschungelcamp“, sagt sie. Der Balkon ist eher zum Garten hin ausgerichtet, wo große Bäume in die Höhe ragen. Er ist bepflanzt mit farbenprächtigen Blumen. Auf einem kleinen Regal steht ein Mini-Lautsprecher, der Vogelgezwitscher abspielen kann. Deswegen „Dschungelcamp“.

Wer in Dortmund lebt und Tirzah Haase nicht kennt, hat ihre Stimme wahrscheinlich trotzdem schon gehört. Sie wurde 2008 von DSW21 als Sprecherin für die Durchsagen in Bus und Bahn engagiert. Nächster Halt, Ausstieg links oder rechts und in welcher Fahrtrichtung. Aber auch die Durchsagen, die noch bis vor wenigen Monaten auf die Maskenpflicht hinwiesen, hat sie eingesprochen. Regelmäßig geht sie für DSW21 ins Tonstudio, wenn Durchsagen aktualisiert werden müssen.
Als Frau bei den Tenören
Die Reaktionen, die sie bekommt, seien durchweg positiv, sagt Tirzah Haase. „Ich freue mich, dass meine Stimme wertgeschätzt wird.“ Manchmal werde sie von Fremden auch allein an ihrer Stimme als die Sprecherin in Bus und Bahn erkannt.
Tirzah Haases Stimme ist außergewöhnlich tief für die einer Frau. So tief, dass sie als Teenagerin im Jugendchor der Florianer bei den Tenören mitsingen durfte. Ihr gefiel das. Die Hosen der Tenöre sagten ihr mehr zu als die Outfits der Frauen.
Das war in den 1970ern Jahren und Haases Einstieg in die Kulturlandschaft. Ihr Talent sei ihr in die Wiege gelegt, erzählt die Sängerin. „Meine Mama war sehr musisch.“
Bereits während ihrer Schulzeit trat Tirzah Haase unter dem Künstlernamen Gina Doreen als Schlagersängerin auf. Sie war zu Gast in der damaligen TV-Sendung „Talentschuppen“, in der junge Gesangstalente ihre Stücke vorstellten. Haase arbeitete seinerzeit unter anderem mit Michael Schanze und Dieter Thomas Heck.
Ab auf die Schauspielschule
Für die Schlagerbranche sei sie aber nicht brav genug gewesen. „Ich habe immer die Schnute aufgemacht, wenn mir etwas nicht gepasst hat“, sagt sie. „Ich singe nur das, wo ich dahinterstehen kann.“ Haase wurde damals klar: „Ich muss auf die Schauspielschule.“

Von 1980 bis 1983 absolvierte die Dortmunderin Schauspiel- und Gesangsausbildungen an der staatlichen Hochschule für bildende Künste Hamburg und an der Musical-Schule in Hamburg. Das Studium zahlte sich schnell aus. Sie erhielt feste Theaterengagements - beispielsweise am Thalia-Theater. Heute sagt sie: „Die Stadt Hamburg hat mich geprägt. Dort habe ich das Rüstzeug bekommen, das ich dringend brauchte.“
Danach ging sie nach Trier. Ob Theater oder Musical - ein Engagement folgte aufs nächste. „Es war toll. Ich habe da gelebt, wo andere Urlaub machen“, sagt Tirzah Haase. Später performte sie auch am Bremer Theater, auf der Bühne des Westfälischen Landestheaters und in der Comödie Bochum.
Rollen im Fernsehen
Ende der 1980er Jahre kehrte Tirzia Haase nach Dortmund zurück und ist seither freischaffend tätig. In den 90ern hatte sie eine kleine Rolle in einem Fernsehfilm von Dieter Wedel, der sich viele Jahre später mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung konfrontiert sah. „Mich hat er in Ruhe gelassen“, sagt Tirzah Haase über die Zusammenarbeit mit dem Regisseur, der im vergangenen Jahr verstarb. Seinen Umgang mit anderen Kollegen und Kolleginnen habe sie jedoch teils als unangemessen empfunden.
Haase war außerdem in den TV-Soaps „Unter uns“ und „Verbotene Liebe“ zu sehen. Sie wurde zudem als Fernseh-Ansagerin von unterschiedlichen WDR-Landesstudios gebucht. Sie spielte weiterhin Theater, produzierte Hörspiele und verfasste Essays.
„Ich bin immer tätig, ich muss in Bewegung sein“, sagt Haase über sich selbst. Als Corona kam, war es damit schlagartig vorbei. Haase probte im März 2020 für ein Konzert, bei dem sie Lieder der in den 1960er Jahren sehr bekannten Chanson-Sängerin Alexandra präsentieren sollte.
Als klar wurde, dass das Konzert wegen Corona ausfallen musste, „habe ich gepläddert“, sagt Tirzah Haase. Am 22.3., ein Sonntagabend und der Beginn des ersten Corona-Lockdowns, sang sie aus ihrem Fenster Beethovens „Ode an die Freude“ und viele Nachbarn stimmten ein.
Während Corona neu erfunden
Während der Pandemie habe sie sich neu erfunden, neu erfinden müssen, erzählt die Sängerin. Ab und an wurde sie noch als Sprecherin für Werbung gebucht. Ansonsten ging nichts außerhalb ihrer Wohnung im Kaiserviertel. Tirzah Haase entdeckte das Internet für sich. Sie bot zum Beispiel digitales Lesetraining für Kinder an, denen das Lesen schwerfällt.
Es war keine einfache Zeit für die Entertainerin. Sie mistete Kleider- und Bücherschrank aus, ging häufig spazieren. „Es war so trist in der Stadt“, erinnert sie sich.

Doch der Glaube daran, dass sich die Lage wieder bessern wird, verließ sie nie. „Ich bin ein Mensch, der positiv denkt. Es nutzt nichts, sich selbst unglücklich zu machen.“ Dennoch habe die Pandemie „Narben hinterlassen“.
Dieser Artikel erschien erstmals am 11. Juni 2023
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