Carsten Strauß (36) barg Leichen nach Erdbeben in der Türkei „Verarbeitet habe ich das noch nicht“

Dortmunder Bestatter Carsten Strauß (36) half im Erdbebengebiet
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Die Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion zählen schon jetzt zu den verheerendsten Naturkatastrophen der letzten hundert Jahre. Bisherigen Schätzungen zufolge sind zehntausende Menschen gestorben, über hunderttausend wurden verletzt. Der Dortmunder Carsten Strauß (36) hat knapp eine Woche in dem Gebiet geholfen.

Täglich hat Strauß in seinem Beruf mit toten Menschen zu tun: Der Bestatter ist Geschäftsführer vom „Bestattungshaus Strauß Rousseau“ in Dortmund, Lünen und Kamen. In der Türkei war aber alles anders, berichtet er.

16-köpfiges Team

Nur wenige Tage nach den Erdbeben machte sich Carsten Strauß auf den Weg nach Münster. Dort ist die Ausrüstung des Vereins „Deathcare“ gelagert. Der humanitäre Verein besteht aus ehrenamtlichen Helfern wie Carsten Strauß, die in Katastrophengebieten verstorbene Menschen versorgen. „Mit unserer Arbeit entlasten wir die Rettungskräfte physisch und psychisch“, erklärt der Dortmunder.

Am Freitag (10.2.), vier Tage nach den Erdbeben, flog Carsten Strauß als Teil eines 16-köpfigen Teams mit einer Maschine von Turkish Airlines von Frankfurt über Istanbul nach Kahramanmaras. Die Stadt liegt im Epizentrum der Erdbeben. „Natürlich hatte ich etwas Angst“, beschreibt der Bestatter seine Gefühle vor der Ankunft. Vor Ort, wo er all das Leid und die Zerstörung mit eigenen Augen sah, rückte diese Angst aber in den Hintergrund.

Turkish Airlines ließ das Team von „Deathcare“ kostenlos fliegen, im Gepäck zwei Luftfrachtcontainer, jeweils über 6 Kubikmeter groß. Darin befand sich jenes Equipment, das Carsten Strauß einen Tag vorher in Münster abgeholt hatte. Darunter etwa Flächen- und Körperdesinfektionsmittel, mobile Versorgungstische, Lampen, Stromerzeuger und Gas.

Bilder, die sich einbrennen

Vor Ort offenbarten sich dem Team um Carsten Strauß grauenvolle Bilder: Tote, Verletzte, weinende Menschen und eingestürzte Gebäude. „Wir haben Tote aus den Trümmern geborgen, die Leichen identifiziert und desinfiziert“, erklärt Carsten Strauß. „Natürlich hätten wir viel lieber Menschenleben gerettet.“

Die ehrenamtlichen Helfer aus Deutschland suchen in den Trümmern nach Menschen.
Die ehrenamtlichen Helfer aus Deutschland suchen in den Trümmern nach Menschen. © DeathCare Embalmingteam Germany e. V.

Wenn er gerade nicht selbst in den Trümmern nach Menschen suchte, arbeitete Strauß in einer Sporthalle. Dorthin brachten die türkischen Einsatzkräfte Leichen zur Identifikation und Desinfektion. Etwa 1700 seien es gewesen, schätzt Strauß. Täglich seien 300 bis 500 Tote alleine zum größten Friedhof der Stadt gebracht worden.

Vergebliche Suche

Ein Erlebnis hat sich ganz besonders in das Gedächtnis des 36-jährigen Dortmunders gebrannt. In Kahramanmaras unterstützte Strauß mit anderen Helfern die Rettungskräfte bei der Suche nach zwei Vermissten. Ein Haus war eingestürzt, 95 Menschen wurden darin vermutet.

93 von ihnen wurden gefunden. Zwei Geschwister blieben aber verschollen. Noch einen Tag, nachdem die türkischen Behörden und Sicherheitskräfte die Suche bereits aufgegeben hatten, suchten Strauß und andere Helfer noch nach ihnen. Vergeblich. „Wir wollten einfach nur, dass jeder Mensch seine toten Angehörigen begraben kann“, sagt Carsten Strauß. „In dem Fall haben wir es nicht geschafft.“ Das nagt an dem Dortmunder.

Carsten Strauß kniet neben einem sogenannten Bodybag. Rund 1700 Tote haben er und sein Team innerhalb weniger Tage versorgt.
Carsten Strauß kniet neben einem sogenannten Bodybag. Rund 1700 Tote haben er und sein Team innerhalb weniger Tage versorgt. © DeathCare Embalmingteam Germany e. V.

In seinem Beruf als Bestatter hat Carsten Strauß täglich mit toten und auch trauernden Menschen zu tun. „Häufig sind das alte oder kranke Menschen. Es ist sehr selten, dass mal ein jüngerer Mensch oder ein Kind mit dabei ist“, meint Strauß, der selbst Vater zweier Kinder ist. Vergleichbar mit dem, was er in der Türkei gesehen und erlebt hat, sei sein beruflicher Alltag nicht.

„Menschen haben uns gedankt“

Strauß ist überwältigt – auch von der Dankbarkeit der türkischen Bevölkerung. „Überall wo wir hinkamen haben uns die Menschen gedankt“. Es sei enorm wichtig, dass Angehörige gefunden und begraben werden können. Begrüßt wurden die deutschen Helfer rund um Carsten Strauß auch vom türkischen Innenminister Süleyman Soylu.

Carsten Strauß zeigte sich am Freitag (17.2.), dem Tag seiner Rückkehr aus dem Katastrophengebiet, schwer beeindruckt von der gegenseitigen Unterstützung.

Das Team von "Deathcare" auf der Suche in den Trümmern.
Das Team von "Deathcare" auf der Suche in den Trümmern. © DeathCare Embalmingteam Germany e. V.

Auf Bitte des türkischen Konsulats war Carsten Strauß mit „Deathcare“ in die Türkei gereist. 1999 wurde der Verein gegründet. Im selben Jahr ereignete sich das Erdbeben von Gölcük in der Türkei, bei dem fast 20.000 Menschen starben und rund 50.000 verletzt wurden. Damals war der Verein ebenfalls vor Ort, ebenso wie beim Erdbeben in Taiwan im selben Jahr. 2004 und 2005 halfen die Ehrenamtler bei der Bergung und Versorgung von Leichen nach dem Tsunami in Asien.

„Die Einsätze führen wir nicht auf eigene Faust durch“, erklärt Strauß. „Wir werden dann angefordert, alles muss genau geplant sein“. Es müsse garantiert werden, dass die Helfer samt ihrer Ausrüstung in das betroffene Land rein und jederzeit wieder rauskommen.

Seit 2011 ist Carsten Strauß Mitglied des Vereins. Für den 36-Jährigen war es der erste Einsatz in einem Katastrophengebiet. In Worte fassen, was er vor Ort erlebt hat, das fällt Carsten Strauß schwer. „Das ist auch für uns in der Kürze der Zeit nicht richtig begreifbar“, meint er. „Verarbeitet habe ich das noch nicht“. Das steht dem Dortmunder noch bevor.

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