Gastroführer teils „reine Willkür“, Google-Kritiken falsch Dortmunder Gastronomen hadern mit Lokal-Bewertungen

Gastronomen hadern mit Bewertungen von Gastro-Führern und Google
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Wenn man Detlef Lotte so richtig ärgern will, spricht man ihn auf das Ranking der besten Dortmunder Restaurants an, das unsere Redaktion diesen Sommer veröffentlicht hat. Es basierte auf einer bundesweiten, über 4000 Lokale umfassenden Auswertung, in der die Bewertungen aller wichtigen Gastroführer mit Hilfe eines komplizierten Verrechnungsschlüssels zu einer Rangliste verschmolzen werden.

„Auf den vorderen Plätzen ist das vielleicht noch aussagekräftig, aber hinten ist das reine Willkür“, echauffiert sich Lotte, der das „Dieckmann’s“ im Dortmunder Süden und das „Schönes Leben“ im Kreuzviertel betreibt, noch heute über die Liste.

Welche Restaurants lohnen den Besuch, welche sind die besten? Diese Fragen stellen sich Menschen schon immer. Gastroführer gelten in der riesigen und unübersichtlichen Restaurant-Landschaft als die klassischen Wegweiser am kulinarischen Straßenrand. Doch der bekannte Gastronom Lotte, seit fast 50 Jahren im Geschäft, hält von den meisten Gastroführern nicht viel.

„Es gibt eine A-Klasse. Dazu gehören der Michelin, der Gault-Millau und Gusto“, sagt der 70-Jährige. Den Rest solle man lieber mit Vorsicht genießen: „Man muss nicht alles glauben, was da drin steht.“

„Es zählen nicht nur gastronomische Kriterien“

Es gebe Gastro-Führer, die es mit der Aktualität ihrer Empfehlungen nicht so genau nehmen: „Wenn du einmal drin bist, wirst du mitgeschleppt.“ Generell sei die Lokalauswahl mit Vorsicht zu genießen: „Bei manchen Gastro-Führern zählen nicht nur gastronomische Kriterien bei der Aufnahme von Restaurants.“ Was er genau damit meint, will er nicht sagen.

Sein Kollege Till Hoppe wird da konkreter. Hoppe ist Mitbetreiber der U-Turm-Restaurants „Brauturm“ und „Emil“. Vor zehn Jahren habe man ein Mal Geld für eine Listung des „Emil“ in einem Gastro-Führer gezahlt, sagt Hoppe freimütig im Gespräch mit unserer Redaktion, das sei damals von jenem Gastro-Führer angeboten worden. Das „Emil“ wird dort bis heute empfohlen.

Till Hoppe (links) betreibt zusammen mit seinem Kompagnon Thomas Pieper den „Brauturm“ (im Hintergrund) und das „Emil“ im Dortmunder U.
Till Hoppe (links) betreibt zusammen mit seinem Kompagnon Thomas Pieper den „Brauturm“ (im Hintergrund) und das „Emil“ im Dortmunder U. © Bastian Pietsch (Archivbild)

Für Hoppe sind jedoch eine andere Art von Bewertungen im Tagesgeschäft viel entscheidender: Punktesysteme im Internet, allen voran bei Google und Tripadvisor. Dort kann jede Nutzerin und jeder Nutzer eigene Kritiken schreiben und Punkte vergeben, die dann prominent bei den Suchergebnissen der Portale auftauchen - ein im Gegensatz zu den klassischen Gastro-Führern allgegenwärtiges und sofortiges Urteil über ein Lokal.

„Die Bewertungen sind extrem wichtig für uns“, sagt Hoppe, dessen Restaurants „Emil“ (4,4 Sterne auf Google) und „Brauturm“ (4,3) ganz ordentlich dastehen. Gleichzeitig setze das System einen auch ziemlich unter Druck: „Eine 1-Sterne-Bewertung haut alles kaputt.“ Die Gesamtpunktzahl spiele bei vielen Gästen eine große Rolle bei der Entscheidung für oder gegen einen Besuch.

Manche schreiben extra falsche Bewertungen

Dabei sei das System sehr anfällig für Manipulationen, warnt der U-Gastronom. Er berichtet von Menschen, die extra falsche schlechte Bewertungen schreiben und dann anbieten, sie im Gegenzug für einen Restaurant-Gutschein zu löschen.

Hoppe hat eine noch perfidere Geschichte auf Lager: Ein Betreiber eines anderen Restaurants habe einmal einen Mitarbeiter dazu angehalten, eine negative Kritik für das „Emil“ zu schreiben. Da die Dortmunder Gastro-Szene manchmal ein Dorf ist, sei der Strippenzieher aufgeflogen, erzählt Hoppe. Man habe den konkurrierenden Gastronom einbestellt und mit rechtlichen Schritten gedroht. Daraufhin verschwand die schlechte Bewertung.

Selvi Aksünger ist die Chefin des „Café Rot“ im Kaiserviertel.
Selvi Aksünger ist die Chefin des „Café Rot“ im Kaiserviertel. © Stephan Schütze

Selvi Aksünger hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Der Betreiberin des „Café Rot“ im Kaiserviertel (4,6 Sterne auf Google) ist besonders ein Fall in Erinnerung geblieben. Ein Gast hatte sein Essen erst nach einem anderen Tisch bekommen, obwohl er früher bestellt hatte - ein Fehler, für den sie sich sofort entschuldigt habe. Doch der Mann sei so ausfällig und beleidigend geworden, dass sie ihn aus ihrem Laden geworfen habe.

Das habe er offenbar nicht auf sich sitzen lassen wollen, vermutet Aksünger. Denn danach seien in kurzer Abfolge fünf, sechs Bewertungen hintereinander mit nur einem Stern auf Google aufgetaucht, die offensichtlich zusammenhingen. „Der Typ hat seine gesamte Sippschaft angestiftet, uns schlecht zu bewerten“, sagt Aksünger.

„Das ist geschäftsschädigend“

Die 31-Jährige steckt so etwas nicht gut weg: „Ich bin sehr emotional bei schlechten Bewertungen. Das ist geschäftsschädigend.“ Konkret etwas dagegen tun könne man aber nicht - „außer auf die Kritik zu reagieren“. Das macht das Café-Rot-Team gewissenhaft, antwortet ausführlich und entschuldigt sich gegebenenfalls. Hoppes Betriebe im U halten es ähnlich, auch wenn das laut ihrem Chef jede Woche einige Stunden Arbeitszeit frisst.

Manchmal lohne sich der Aufwand, sagt Aksünger: Einmal habe eine Besucherin nachträglich ihre Bewertung für das „Café Rot“ um zwei Punkte verbessert.

Bewertungen mit Vorsicht genießen

Detlef Lotte fährt für seine Lokale eine andere Strategie: „Wir antworten selten auf schlechte Bewertungen, weil wir dadurch Schwäche zeigen würden“, sagt der Chef des „Dieckmann‘s“ (4,1 Sterne auf Google) und des „Schönes Leben“ (4,3). „Da machen wir ein Tor auf, das wir nicht öffnen wollen.“

Lotte rät, Online-Bewertungen mit Vorsicht zu genießen - das gelte auch für die guten: „Viele schreiben sich die eigenen Bewertungen.“ Er misstraue jeder Kritik, die zu überschwänglich daherkommt.

Sein Fazit: „Online-Bewertungen sind Fluch und Segen, die Schwierigkeit besteht im Differenzieren.“

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