Schnellen Schrittes führt Melanie Schmickler (44), Leiterin der Dortmunder Ausländerbehörde, durch die Gänge in ihr Büro. Auf Ihrem Schreibtisch liegen Akten, Dokumente und eine Sammlung bunter Stifte und Kugelschreiber. Den Pressetermin hat sie in die Mittagspause geschoben.
„Deswegen ist es hier gerade so ruhig, die meisten machen gerade Pause.“ Sie werde heute wieder mal keine richtige Pause einlegen, sondern das „zwischendurch am Schreibtisch machen“. Inzwischen mache ihr das nicht mehr viel aus, erzählt sie im Gehen.
Der Alltag in der Dortmunder Ausländerbehörde ist oft stressig. Immer mehr Aufgaben kommen auf die Mitarbeitenden zu. Sie kümmern sich um die Ausweisung und Einbürgerung, betreuen Geflüchtete und Ausländer, die schon lange in Deutschland leben. Dazu holen sie verstärkt Fachkräfte aus dem Ausland. Wenn es nach der Politik geht, sollen die Mitarbeitenden immer schneller immer mehr schaffen.
Erst kürzlich sagte Bundeskanzler Olaf Scholz dem Spiegel: „Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben“. Umsetzen müssen diese Forderung die Ausländerbehörden. Und die stehen vor massiven Problemen.
Ausländerbehörden sind überlastet
Wie in anderen Ausländerbehörden herrscht in Dortmund Personalmangel. Und das, obwohl rund 180 Menschen in der Ausländerbehörde beschäftigt sind. 2012 waren es noch 80. Weil die Arbeit aber ständig wächst, kommen die Sachbearbeiter nicht hinterher.
Der Job sei oft fordernd, längere Arbeitszeiten keine Seltenheit. „Eigentlich hat man nie Feierabend“, sagt die 44-Jährige. Im Radio, Fernsehen und in sozialen Medien sei das Thema Migration allgegenwärtig. „Wenn abends ein Bericht über ein Erdbeben in der Türkei zu sehen ist, wissen alle Mitarbeitenden, was am nächsten Tag bei uns los ist“, beschreibt Schmickler.
Man müsse mit einem so polarisierenden Thema umgehen können und nach der Arbeit so gut wie möglich abschalten. Und noch etwas sei wichtig: „Man muss diese Aufgabe lieben, sonst strengt sie einen zu sehr an.“
Sie liebt ihren Beruf, für sie gebe es kaum spannendere Themen als Migration und Einwanderung. Wer in der Ausländerbehörde arbeite, tue das aus Leidenschaft, weil man gern mit Menschen arbeite und eine wirklich relevante Aufgabe habe. „Und man braucht als Mitarbeiter Geduld“, sagt sie, wegen sprachlicher Barrieren, kultureller Unterschiede und der Komplexität im Ausländerwesen.
„Schwierig, neues Personal zu gewinnen“
„Wenige bleiben länger als fünf Jahre. Viele wechseln in besser bezahlte oder vermeintlich ruhigere Stellen“, sagt Schmickler. Immer wieder verliere man so eingearbeitete Kräfte, neue müsse man erst wieder in das komplexe Rechtsgebiet einarbeiten.
Dazu komme, dass die Arbeitsbedingungen weniger flexibel seien. Home-Office sei kaum möglich, weil der direkte Kontakt zu den Menschen essenziell sei. „Unsere Arbeit ist nicht unbedingt attraktiv“, resümiert Schmickler. „Meine größte Sorge ist, dass ich meine Mitarbeiter verliere. Es ist so schwierig, neues Personal zu gewinnen.“
Es sei nicht immer leicht, denn die Beschäftigten möchten ihre Arbeit zuverlässig und schnell erledigen, müssen im Alltag aber oft hinter ihren eigenen Idealen zurückbleiben.
Dieser Zustand wirke sich auf Kunden und Beschäftigte aus. „Natürlich ist das frustrierend, wenn man seine Arbeit nicht schafft“, sagt sie. „Unsere Kunden fühlen sich oft alleingelassen, nicht wertgeschätzt und nicht willkommen. Das wiederum macht was mit unseren Beschäftigten.“
Sie hätten gern mehr Zeit, Sachverhalte ohne Druck zu bearbeiten. „Schließlich treffen wir Entscheidungen mit enormer Tragweite. Wir entscheiden über menschliche Schicksale.“
Digitalisierung: Fehlanzeige
Die Arbeit der Ausländerbehörde wird dadurch auch erschwert, dass die Behörden jeweils auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene mit verschiedenen Computer-Anwendungen arbeiten, die nicht ausreichend miteinander abgestimmt seien. Das gelte auch für Online-Anträge: Daten aus einer eingescannten pdf-Datei müssten Mitarbeitende händisch abtippen, so Schmickler.
Und es gibt noch ein Problem: „Wir arbeiten mit Menschen, die teilweise der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Da haben Online-Anträge ihre Grenzen, Stichwort Verwaltungsdeutsch.“ Auch die Technik könne ein Hindernis sein; nicht jeder habe Zugriff auf eine stabile Internetverbindung und eine E-Mail-Adresse.
Ausländerbehörde braucht Entlastung
Die Folgen dieses Zustands sind gestresste Mitarbeiter und extreme Wartezeiten. Will eine Fachkraft aus dem Ausland in Deutschland arbeiten, dauert das Verfahren von der Anreise bis zur Arbeitsaufnahme in Dortmund etwa 12 Monate. Das liege allerdings im Wesentlichen nicht an der Ausländerbehörde, sondern an vorgeschaltete Stellen.
In Dortmund gebe es eine Besonderheit, sagt die 44-Jährige. 2015/16 seien sehr viele syrische Geflüchtete hergekommen. „Das sind anerkannte Flüchtlinge und die bemühen sich sehr stark um Einbürgerung. Darüber freuen wir uns, aber daraus resultieren sehr hohe Antragsstellungen und ebenfalls sehr lange Wartezeiten.“

Auch hier dauere es rund ein Jahr, bis überhaupt ein Antrag auf Einbürgerung gestellt werden könne. Immerhin: Nach der Antragstellung sind die Bearbeitungs- und Entscheidungszeiten von sechs bis zwölf Monaten stabil geblieben. „Das können wir aktuell noch zusichern.“
Die Ausländerbehörden müssten dringend entlastet werden, sagt Melanie Schmickler. „Irgendwann ist niemand mehr da, der Anträge bearbeitet und vor allem Entscheidungen trifft.“ Für Migranten habe das existenzielle Folgen. Ohne gültiges Aufenthaltsdokument können keine Leistungen beantragt und nicht einmal Handyverträge abgeschlossen werden. „Ganz zu schweigen von der Erteilung einer Arbeitserlaubnis, auf die auch viele Arbeitgeber warten.“
Ausländische Fachkräfte haben es so schwer, nach Deutschland zu kommen – dabei sollen gerade die den aktuellen Fachkräftemangel in vielen Branchen ausgleichen. Und es könnte Menschen das Leben schwer machen, die sich in Deutschland eingelebt haben oder sich hier eine Zukunft aufbauen möchten.
Hinweis der Redaktion: Dieser Text erschien ursprünglich am 8. November 2023.
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