Kaffee trinken und ein bisschen am Sandkasten sitzen? Wie der Alltag für Kita-Erzieher wirklich aussieht

Laute Kita, nervenstarke Erzieher: „Prägendste Zeit ist die vor der Schule“
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Die lange Holzbank schwingt wie eine Schaukel. Aufgehängt an langen Bändern, die festgehakt sind in meterlangen Metallleisten und dicken Holzbalken, da löst sich nichts – auch wenn fünf Kinder Schwung holen. Oder sechs, oder sieben.

Früher war das hier der Gemeindesaal der evangelischen Paul-Gerhardt-Gemeinde am südlichen Rand der Dortmunder Innenstadt. Doch vor einigen Jahren wurde er der Bewegungsraum der Kita. Eine rund 20 mal 12 Meter große Turnhalle für Vorschulkinder. Platz zum Klettern, Hangeln, Hängen, Laufen, Kicken – oder zum kreativen Aufsammeln der kleinen bunten Bälle.

Eier, Zettel, Feinmotorik

„Daniiiii?“ Ein Mädchen stellt sich vor Erzieherin Daniela Ludwig, in der Hand einen Korb voll mit bunten Bällen. „Ich habe Ostereier gesammelt. Die blauen sind für Montag, die weißen für Dienstag, die roten für Mittwoch...“ Äh, was? Die 28-Jährige war gerade dabei, einem Kind leichte Hilfestellung zu bieten. Jetzt reagiert sie sekundenschnell, locker und nebenbei.

„Kannst du mir vielleicht einmal aufmalen, wann ich welches Ei essen darf? So schnell konnte ich mir das nicht merken.“ Fünf Minuten später hat das Mädchen, das im Sommer in die Schule kommt, den Zettel fertig und präsentiert ihn stolz. Dass sie gerade beim Malen ganz nebenbei ihre Feinmotorik trainiert hat, ist ihr nicht bewusst. Der Erzieherin schon.

Klappt es auch mit dem Übergang von der Rolle zum Brett? Erzieherin Daniela Ludwig hat die Kinder genau im Blick – und viele neue Ideen für Parcours und Spiele.
Klappt es auch mit dem Übergang von der Rolle zum Brett? Erzieherin Daniela Ludwig hat die Kinder genau im Blick – und viele neue Ideen für Parcours und Spiele. © Althoff

Kinder entscheiden mit

„Schon als ich klein war, wollte ich Erzieherin werden“, erinnert sich Daniela Ludwig. Heute lässt die 28-Jährige, die einen Übungsleiterschein hat und eine U15-Fußballmannschaft trainiert, die Kinder gerne mit überlegen, was in der Turnhalle aufgebaut werden könnte. Partizipation, Mitbestimmung – das sind wesentliche Schlagworte in der aktuellen Kita-Pädagogik. Kein Vergleich zu früher, wie sich Iris Scheffel erinnert.

Seit 1988 gehört sie zur Kita an der Markgrafenstraße. „Ich bin Inventar, bin immer hier gewesen mit Leib und Seele“, sagt die 57-Jährige und schmunzelt. Damals musste jede Gruppe im eigenen Raum bleiben, jeder Raum hatte Bauteppich, Kreativ-Ecke, Platz für Rollenspiele und Bücher. Längst schon ist das Konzept offen, zumindest in dieser Kita. Und seit den Umbauten vor einigen Jahren ist hier nun Platz für 125 Kinder.

Experimente im „Matschraum“

Die Mädchen und Jungen können selbst entscheiden, wohin sie gehen: ob sie bauen, klettern, toben oder kreativ gestalten wollen – oder ob vielleicht die Werkstatt oder der Experimentier-Raum offen sind. In Letzterem wartet dann oft Iris Scheffel, und das mit Begeisterung.

„Wie funktionieren die Dinge, zum Beispiel ein Vulkan?“ Das probiere man mit Essig und Backpulver aus, im gefliesten „Matschraum“ der Kita. Andere Fragestellungen, so Scheffel: „Erzeugt eine Zitrone tatsächlich Strom? Knistert es? Wo gibt es Regenwürmer? Wie sehen sie aus?“

Ist das Kind auf einem altersgerechten Entwicklungsstand? Wo sollte man helfen? Iris Scheffel sitzt in einem Kita-Raum, beobachtet Kinder beim Spielen und macht sich Notizen.
Ist das Kind auf einem altersgerechten Entwicklungsstand? Wo sollte man helfen? Iris Scheffel sitzt in einem Kita-Raum, beobachtet Kinder beim Spielen und macht sich Notizen. © Althoff

Kaffeetanten vom Sandkasten

Eigentlich sei Erzieher nicht ein Beruf, sondern ganz viele, findet Scheffel: Hauswirtschaftskraft, Pfleger, Elektriker, Wissenschaftler, Sandkasten-Schausteller, Animateur, Sänger, Vortänzerin, Trainerin für Sport, Vorschullehrer, und und und. Dennoch, das alte Vorurteil von früher habe sich gehalten:

„Kaffee trinken, ein bisschen am Sandkasten sitzen“ – das habe sie schon früher zu hören bekommen. Naja, sagt Kita-Chefin Susanne Daum (55): Ganz von ungefähr sei dieses allgemeine Vorurteil ja nicht gekommen, das wisse sie noch aus ihrer Anfangszeit.

Früher Kaffee, heute BaSiK

„Da kam man in die Kita und dann wurde sich erst einmal zusammengesetzt und ein Käffchen getrunken, obwohl schon Kinder im Haus waren. Aber damals wurde ja auch noch in der Küche geraucht.“ Daum schüttelt den Kopf. „Dabei ist die Zeit vor der Schule doch die prägendste Zeit.“

Lange vorbei, diese Zeit. Heute dokumentieren Erzieher die Entwicklung jedes Kindes – nicht nach grober Überlegung und eigener Einschätzung, sondern streng entlang vorgegebener Bögen. Zum Beispiel „BaSiK“, ohne Abkürzung: „begleitende alltagsintegrierte Sprachentwicklungsbeobachtung in Kindertageseinrichtungen“.

Eine der Fragen, die hinter diesem Bogen stecken: Wäre es ratsam, ein Kind noch vor der Schule zur Logopädie zu schicken, um ihm einen guten Start zu ermöglichen?

Susanne Daum leitet die evangelische Kita Paul Gerhardt an der Marktgrafenstraße.
Susanne Daum leitet die evangelische Kita Paul Gerhardt an der Marktgrafenstraße. © Althoff

Was kann das Kind wie gut?

Der Erzieherberuf wird wissenschaftlicher. Zum Alltag gehöre es längst schon, Berichte zu schreiben über die einzelnen Kinder, sich nachmittags mit drei oder vier Kollegen auszutauschen: Kann das Kind rückwärts laufen, auf einem Bein stehen, einen Stift halten wie ein Schulkind, sich in die Rolle des anderen hineinversetzen?

„Kinderfallbesprechung“ nennt sich das notwendige Hilfsmittel, denn: Wenn die Mädchen und Jungen sich frei in Räumen auf drei Etagen bewegen können – ihre Erzieher bleiben ja als Ansprechpartner in einem Raum. Und können nicht wissen, was „ihre“ Kinder am anderen Ende der Kita erleben, wie sie sich geben.

Wenn Zweijährige groß werden

Koray Elcin hingegen begleitet „seine“ Kinder an diesem Tag. „Um einen Überforderung und eine Unterforderung zu vermeiden“, wie der 43-Jährige erklärt. Es gibt U3- und Ü3-Kinder, bei drei Jahren also ist die Grenze. Die aber natürlich eine fließende ist. Wer älter als zwei ist, darf schon zu den Großen – in Begleitung. Wie an diesem Tag ein Junge zusammen mit Koray.

Elcin war ursprünglich Kinderpfleger, machte dann zusätzlich die Ausbildung zum Erzieher. Dass er an diesem Tag den Begleiter gibt, passt zum Ansatz, wie er die Aufgabe in seinem Beruf sieht: „Die Kinder da abholen, wo sie sind. Impulse setzen, auf Impulse reagieren. Verständnisvoll sein.“

Koray Elcin (43) war ursprünglich Kinderpfleger, ist heute Erzieher im U3-Bereich.
Koray Elcin (43) war ursprünglich Kinderpfleger, ist heute Erzieher im U3-Bereich. © Althoff

Das große Gewusel

Wie das ganz praktisch geht, beweist morgens um 9 Uhr schon die Erzieherin, deren Morgenkreis Elcin und der Junge besuchen. „Nimm deine Schuhe mit“, ruft Andrea Rachelski einem Jungen zu – „Komm jetzt bitte“, einem anderen. „Ich weiß auch nicht“, sagt eine Mutter, an deren linken Bein sich ein Mädchen klammert, „sie hat den ganzen Morgen nur geweint“.

Dieses Mädchen wird fünf Minuten später wieder mit Mama die Kita verlassen haben. Rachelski lehnt dann an der Heizung, zwei kleine Jungs kuscheln sich an sie. Zwei Mädchen starren sie mit offenen Augen an, warten auf die nächste Geschichte zum Thema „Ostern“. „Können wir ruhig sein, bitte?“, sagt die Erzieherin in die andere Richtung, während sie das Buch öffnet und vorher noch die Aufgaben verteilt.

„Es soll Sommer werden!“

Du darfst die elektrische Kerze anzünden. Du darfst die Steine mit den Namen darauf nehmen – und dann schauen wir, ob alle Kinder da sind. Nein, dein Buch schauen wir uns später an. Lässt du sie bitte in Ruhe? Jetzt singen wir ein Lied – und wie soll dieser Tag für euch werden?

„Es soll endlich Sommer werden!“, ruft ein Junge. Rachelski nickt. Am Ende der Morgenrunde stürmen die Kinder los – auf in die verschiedene Bereiche, einen spannenden Tag erleben. Die Erzieherin geht zwei Räume weiter. Zwischen Arche, Figuren und Gitarren an der Wand hat sie gerade ihre Ruhe. Falls sie sich während des Aufbauens fragen sollte: Welches Kind hat sich gerade in welchem Aspekt altersgerecht verhalten?

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