Als Ratsherr der Grünen wurde Richard Kelber in Dortmund bekannt. Die Stasi hatte ihn allerdings aus ganz anderen Gründen im Visier - und das gleich doppelt.

Dortmund

, 14.02.2020, 17:45 Uhr / Lesedauer: 3 min

Richard Kelber ist ein kritischer Geist. Das zeigte er nicht nur als früherer Ratsherr der Grünen, als er von 1984 bis 1994 die Dortmunder Politik aufmischte. Aktiv war Kelber Anfang der 1980er-Jahren auch in der Initiative „Bürger beobachten die Polizei“. Und das blieb selbst der Stasi nicht verborgen. Wie sie an diese Erkenntnisse kam, darüber rätselt Kelber bis heute.

Immerhin gibt es einen eindeutigen Hinweis. „Aus dem Bereich gegnerischer Staatsschutzorgane gelangten Angaben zur Kenntnis, die Aussagen über die Existenz von Bürgerinitiativen ‚Bürger beobachten die Polizei‘ im Operationsgebiet zulassen“, heißt es in einem als „streng vertraulich“ gekennzeichneten Aktenvermerk des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) vom Juni 1983.

Ein „undogmatischer Linker“

Beschrieben wird, dass die polizeikritische Initiative 1980 in West-Berlin gegründet worden war und inzwischen Ableger in vier weiteren Städten, unter anderem auch in Dortmund, hatte. „Die Gründung der Bürgerinitiativen wurde aufgrund der härteren Vorgehensweisen des Gegners bei polizeilichen Einsätzen vorgenommen, die nach Ansicht der Initiatoren Rechtsverletzungen darstellen“, heißt es zur Erläuterung. „Zu den Mitgliedern dieser Initiativen zählen nach gegnerischen Erkenntnissen vorwiegend Personen der Fachbereiche Theologie, Rechtswissenschaft und Pädagogik.“

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Richard Kelber wurde dabei als einer der „führenden Vertreter der Initiative in Dortmund“ ausgemacht. Neben Adresse und Telefonnummern von Kelber liefert der Aktenvermerk auch noch den Hinweis: „Kelber ist als Politologe tätig. Er wird vom Gegner der ‚Undogmatischen Linken‘ zugerechnet.“

Fragen an den Verfassungsschutz

Wirkt der Aktenvermerk über die Bürgerinitiative aus heutiger Sicht eher belustigend, gibt Kelber vor allem ein Umstand zu denken - nämlich der Hinweis, dass die Stasi die Hinweise „aus dem Bereich gegnerischer Staatsschutzorgane“ erhalten habe. Gab es beim Verfassungsschutz, im NRW-Innenministerium oder bei der Dortmunder Polizei etwa Mitarbeiter, die der Stasi Informationen geliefert haben?

Eine Frage, die Kelber in Briefen im Juli 2008 auch an die drei in Frage kommenden „Staatsschutzorgane“ richtete. Die Antwort aus dem NRW-Innenministerium fiel wenig überraschend aus. Man habe bei keiner der Behörden Erkenntnisse zu dem Fall, hieß es. „Die Aufbewahrungsvorschriften, denen der Verfassungsschutz und Polizei unterliegen, lassen eine Aktenhaltung über diesen langen Zeitraum grundsätzlich nicht zu. Akten aus dem fraglichen Zeitraum stehen uns deshalb nicht mehr zur Verfügung“, teilt das Ministerium mit.

Denkwürdige Transit-Fahrt

Es war nicht das erste Mal, dass Richard Kelber bei den DDR-Staatsorganen aktenkundig wurde, wie er aus seinen Stasi-Unterlagen erfuhr. Der erste Fall liegt schon etwas länger zurück, als Kelber als Politologie-Student zwischen Westdeutschland und West-Berlin, wo er studierte, pendelte.

Bei einer dieser Touren am 17. Dezember 1969 nahm Kelber, der mit drei weiteren Studenten in seinem bunt angemalten VW-Bus über die Transitstrecke auf dem Weg von Berlin nach Westdeutschland war, einen jungen Anhalter mit, der nach eigenen Angaben zu seiner Tante nach Marienborn, dem DDR-Grenzort, wollte. „Es war affenkalt und der hatte nur ein Hemd an“, erinnert sich Kelber.

Die ehemalige Grenzübergangsstelle Helmstedt/Marienborn mussten alle Autofahrer passieren, die über die A2 von und nach Berlin fuhren. Die Gebäude wurden allerdings erst 1974 eingerichtet, fünf Jahre nach der aktenkundigen Autofahrt von Richard Kelber. Heute sind die Gebäude Teil der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn.

Die ehemalige Grenzübergangsstelle Helmstedt/Marienborn mussten alle Autofahrer passieren, die über die A2 von und nach Berlin fuhren. Die Gebäude wurden allerdings erst 1974 eingerichtet, fünf Jahre nach der aktenkundigen Autofahrt von Richard Kelber. Heute sind die Gebäude Teil der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn. © dpa

Wie aus den Aufzeichnungen der MfS-Hauptabteilung XXII hervorgeht, war der VW-Bus wegen „Fahrzeitüberschreitung“ aufgefallen. Denn die DDR-Behörden kontrollierten penibel, wie lange die Fahrten zwischen den Grenzübergängen dauerten. Dass der VW-Bus mit dem Dortmunder Kennzeichen für die 160 Kilometer lange Strecke von Drewitz bei Berlin bis zum Grenzübergang Helmstedt/Marienborn mehr als vier Stunden brauchte, machte die Beobachter stutzig.

Die Erklärung lieferten ausführliche Schilderungen über die Mitnahme des Anhalters, mit dem Kelber und seine Mitfahrer noch eine Pause an der Raststätte Börde bei Magdeburg einlegten, bis sie weiterfuhren und ihren Fahrgast dann gegen 14.15 Uhr vor der Grenze absetzten.

Ausführliche Befragung

Die Folge für Kelber: Er wurde ausführlich von den DDR-Grenzschützern befragt - was bei ihm nicht gerade auf Begeisterung stieß. „Es war im Gespräch mit K. eine gewisse Gereiztheit feststellbar“, heißt es dazu im Stasi-Bericht. Kelber habe erklärt, den mitgenommenen Schüler nicht näher zu kennen und mit ihm „lediglich belanglose Reden geführt“ zu haben.

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Umso überraschter war Richard Kelber, als er aus seiner Stasi-Akte erfuhr, dass der mitgenommene Schüler ganz andere Angaben gemacht hatte. „Bei der Befragung des Schülers durch die Sicherungskräfte gab dieser an, daß er von den Insassen des Busses Angebote zur Ausschleusung erhalten habe. Der Schüler will die Angebote abgelehnt haben“, heißt es im Bericht der Grenzer.

„Ein dickes Ding“

Eine „weibliche Person“ habe dem Schüler erklärt, ihn in einer Toilette im Wagen verstecken zu können, heißt es weiter in einem ausführlichen Bericht der Stasi-Kreisdienststelle Haldensleben. „Das war ein dickes Ding“, stellt Kelber rückblickend fest. „Wir waren aber zum Glück mehrere Leute im Bus.“

So blieb auch den DDR-Grenzern nichts anderes übrig, als Kelber und seine Mitfahrer am späten Nachmittag gen Westen weiterfahren zu lassen. „Da der Verdacht der Schleusung bzw. des Schleusungsversuchs nicht bestätigt wurde, wird vorgeschlagen das Material zur Ablage zu bringen“, heißt es in dem Bericht. Abgelegt wurde er dann auch - in der Stasi-Akte von Richard Kelber.

DDR-Spione in Dortmund: Hier geht‘s zur gesamten Serie.

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