Man muss durchs Törchen gehen. Dort, gleich neben dem überdachten Stellplatz für den quietschroten Polo, dessen Heck vor Stickern nur so wimmelt. Hinter dem Törchen liegt Burkhard Dreischers Garten. Wer Dortmunds wohl bekanntesten Wettermann hier in Brambauer besucht, erkennt, was der 65-Jährige zum Leben braucht.
Auf den gut 200 Quadratmetern wachsen Blumen wild, Sträucher ranken sich in die Höhe und Liegestühle stehen überall verteilt, um zu faulenzen. Als Dreischer 2016 in seine Zweizimmerwohnung zog, war der Garten noch Schotter. „Hier war nur ganz wenig, und damit habe ich dann weitergemacht.“
Offenbar mit Erfolg. Der Garten, der sich der Länge nach hinten über das Grundstück erstreckt, wirkt an diesem heißen Sommertag wie gemalt. Es blüht, es summt. Schmetterlinge flattern umher. Vom Himmel strahlt die Sonne herab, ein paar Schleierwolken verhängen das Blau. Dort, wo die Bäume ausreichend Schatten spenden, sitzt Burkhard Dreischer an einem runden Tisch, vor sich eine Tasse schwarzen Tee. „Dieser Garten ist mein Hobby“, erklärt er. Sein Hobby – und sein Arbeitsplatz.
Der gebürtige Dortmunder ist Wettermann bei Radio 91.2. Jeden Montag und jeden Freitag ist er dort zu hören, um die Vorhersage für die Woche und das Wochenende zu machen. Seine Prognosen entstehen hier im Garten in einem kleinen Wetterhäuschen. Darin misst er Temperatur, Luftdruck und relative Luftfeuchtigkeit. Gelernt hat er das Ende der 80er-Jahre an der Schule des Deutschen Wetterdienstes in Essen.
„Das, was ich trage, muss doch mir gefallen“
An seinem Arbeitsplatz ist Dreischer so gekleidet, wie man ihn kennt – knallig bunt. Passend zu seinen rosafarbenen Sneakern trägt der schlanke, fast androgyn wirkende Mann Leo-Pants in Fuchsia und ein pinkes T-Shirt.
„Das war schon immer so“, erzählt Dreischer. „Früher als Junge hatte ich diese bunten Skipullover. Mama hatte nichts dagegen. Vater auch nicht.“ Als Kind sei es trotzdem nicht immer leicht gewesen, sich so kleiden zu wollen wie er. „Die Reaktionen damals waren schlimm. Zum Glück war ich aber immer schlagfertig. Bis heute denke ich: Das, was ich trage, muss doch mir gefallen.“ Wie lange es gedauert habe, dass er so dachte: „Das war schon immer in mir.“

Und damit war Dreischer seiner Zeit voraus. Eine Kleiderordnung nicht am Geschlecht eines Menschen festzumachen, war für ihn stets selbstverständlich. Die Fingernägel trägt der Wettermann kurz und rot lackiert. „Ich nehme aber auch Blau, Gelb oder Grün – ganz egal. Ich liebe Farben“, sagt Dreischer mit seiner krächzenden Stimme und zeigt dabei dieses markante, große Lächeln, das sein ganzes Gesicht einzunehmen scheint und das pinke Shirt noch heller leuchten lässt.
Dass Dreischer an diesem Ort einmal so unbeschwert sein würde, ist nicht selbstverständlich. Die 48-Quadratmeter-Wohnung war die erste, die er allein bezog. Bis 2016 hatte er mit seinen Eltern in der Prinz-Friedrich-Karl-Straße gelebt. 200 Quadratmeter auf zwei Etagen hatten Gertrud und Friedrich Dreischer mit ihrem Sohn Burkhard bezogen. Einige Blumen, die auf dem Balkon der elterlichen Wohnung blühten, wachsen heute bei Dreischer im Garten.
Ein Abschied, den er nie verwinden wird
„Meine Eltern und ich hatten ein inniges Verhältnis“, erzählt er. „Selten gab es Streit. Und wenn, dann war er nicht der Rede wert.“ 2006 starb Vater Friedrich. Als der Arzt bei Gertrud Fischer 2015 Demenz diagnostizierte, war das Ende dieses Lebensabschnitts endgültig gekommen. Mutter Gertrud musste ins Heim. Und Burkhard, der sich die Miete für die große Wohnung nicht mehr leisten konnte, zog um. „Das war eine schlimme Umstellung.“
Umso schwerer wog der Tod der Mutter kurz vor Weihnachten im Jahr 2019. „Mein Vater fehlt mir. Aber wenn die Mutter stirbt, ist das etwas anderes. Da bin ich hergekommen und sie war immer da.“ Die Trauer sei so groß gewesen, dass Dreischer lange nicht über seinen Verlust habe sprechen können. „Die ersten zwei Jahre waren schlimm. Man sagt, die Zeit heile alle Wunden. Ganz weg geht die Trauer aber nie.“

Dreischers Eltern sind in seinem Leben nach wie vor allgegenwärtig. An einer silbernen Halskette trägt er einen Engel. Die Gravur: „Mama Papa Burkhard“. In der Wohnung stehen die Möbel aus der Prinz-Friedrich-Karl-Straße – der Esstisch in der Küche, das Büffet im Wohnzimmer, der Wandschrank im Schlafzimmer. Die Zimmer wirken wie das Innere eines Antiquariats, ein bisschen vollgestopft. „Ich kann nichts wegschmeißen. Schon gar nichts von den Eltern.“
Ob auf den Fensterbänken oder an den Wänden: Jeder freie Platz scheint belegt. Da sind mehr als ein Dutzend Minigolf-Pokale – Dreischer spielt beim SC Olympia Dortmund –, da sind Thermometer, da sind Zimmerpflanzen, da sind Bilder. Fotos seiner Eltern, Stillleben und ein Meisterbrief.
Wie seine Eltern ist Dreischer gelernter Frisör. Seine Ausbildung machte er damals bei Pawlowsky, seinerzeit eine der Top-Adressen in Dortmund. 1983 folgte der Meister. Dreischer arbeitete in verschiedenen Salons, auch bei seinen Eltern, die ein eigenes Geschäft in Dortmund betrieben. Einen dauerhaften Platz fand er schließlich in Hörde, im Salon Schnipp-Schnapp.
Bis 2015 blieb er dort. Als sein Chef in Rente ging, konnte Dreischer den Laden selbst nicht lange halten. Seitdem muss er mit wenig auskommen. „Damals kam alles zusammen: die Diagnose meiner Mutter, der Umzug, dass ich aus dem Salon rausmusste. Das war wohl die schlimmste Zeit in meinem Leben.“
Migräne begleitet Dreischer schon sein Leben lang
Der Grund, weshalb Dreischer den Laden nicht allein führen konnte, ist einfach wie schwerwiegend: Seit seinem vierten Lebensjahr leidet der Dortmunder an Migräne. Plötzliche, extreme Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen sind die steten Begleiter. An Tagen, da es besonders schlimm ist, schafft er es nicht einmal aus dem Bett. Dreischer hat gelernt, mit der Krankheit zu leben. Er kennt die Vorzeichen, nimmt Medizin, wenn es nötig ist.
Eine Partnerin an seiner Seite fehle ihm auch zu solch schweren Zeiten nicht. Dreischer gibt sich stoisch. „Ich habe mich immer gefragt, warum ich mir eine Frau nehmen sollte, wenn ich ohnehin immer krank bin und ihr nichts bieten kann.“ Aus ihm spricht offenbar die Erfahrung. Keine von Dreischers Beziehungen hielt lange. „Wenn Frauen kamen, waren sie auch schnell wieder weg, als sie merkten, da ist nicht viel, wenn ich mal krank bin.“

Auch Freundschaften seien an seiner Krankheit zerbrochen – oder vielmehr an der mangelnden Empathie des Gegenübers. „Migräneanfälle kommen manchmal über Nacht, und man liegt damit mehrere Tage flach. Wenn ich Verabredungen dann nicht einhalten kann, verstehen das viele nicht.“
Um schweren Migräneschüben vorzubeugen, geht Dreischer in die Natur. Wie heilsam das sein kann, wussten bereits seine Eltern. Oft fuhren sie mit ihrem Sohn nach Österreich in die Alpen, zum Wandern, zum Skifahren. Das macht Dreischer heute noch. Jedes Jahr kauft er sich einen Pass für Winterberg, ist Mitglied im ansässigen Skiclub. „Die Natur gibt mir Entspannung“; erklärt Dreischer. „Wenn es mir schlecht geht und ich einen Arzttermin habe, dann setze ich mich vorher eine Stunde raus. In den Garten oder in den Park. Danach geht es mir besser.“
„Wenn es einen Umschwung gibt, dann spüre ich das“
Dass Dreischer sich so für das Wetter begeistern kann, ist deshalb wohl nicht verwunderlich. Schon als er Kind war, sei das so gewesen. „Ich hatte immer gerne Schnee. Wenn meine Eltern im Winter arbeiten mussten, waren meine Großeltern bei uns zu Hause. Oft standen wir gemeinsam am Fenster und ich habe gefragt: ‚Opa, ab wann schneit es?‘ – ‚Ab 0 Grad‘, sagte der dann.“
Heute kann Dreischer diese Frage präziser beantworten als sein Großvater damals. Mit 29 Jahren ging er an die Wetterschule in Essen, um Meteorologe zu werden. „Ich wollte wissen, ob ich den Anforderungen gerecht werde“, sagt Dreischer. „Mich faszinieren die Zusammenhänge, die beim Wetter eine Rolle spielen. Sie sind so logisch, und doch ist das Wetter unberechenbar.“
Seine Ausbildung konnte er damals nicht beenden. Wieder die Migräne. Den Wechseldienst und die Arbeit am Bildschirm hätte Dreischer gesundheitlich nicht verkraftet. Dass eine Reporterin von Radio 91.2 ihn 2005 entdeckte, erscheint deshalb wie eine glückliche Fügung. Der Sender sei damals auf Dreischers Schneemänner aufmerksam geworden, die nicht schmelzen. Der Trick: Er legt eine nasse Decke um sie, sodass die Kerntemperatur nicht über 0 Grad Celsius steigt und der Schnee nur sehr langsam taut.
Dem Angebot, einfach so zum Spaß als Wettermann fürs Radio zu fungieren, habe er sofort zugestimmt. So könne er sich mit dem Wetter beschäftigen, jedoch nach seinen eigenen Bedingungen. Zu Hause im Garten an seinem Wetterhäuschen – gleich hinter dem Törchen. Und immerhin: Seine Migräne hilft bei den Vorhersagen. „Wenn es einen Umschwung gibt, dann spüre ich das.“
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 3. August 2024.
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