Die Bundestagswahl ist durch, doch in etwas mehr als einem Jahr steht bereits die nächste Wahl an: Am 14. September wählt Dortmund seinen Oberbürgermeister. Der Dortmunder Unternehmer Martin Cremer könnte ersten Hinweisen zufolge als Parteiloser das Rennen der Kandidaten von SPD, CDU und Grünen aufmischen. Cremer soll der bürgerlichen Mitte nahestehen und Unterstützer aus der Wirtschaft haben. Jörg Bogumil lehrt an der Bochumer Ruhruniversität Stadt- und Regionalpolitik und ordnet im Interview die Chancen eines parteilosen Kandidaten ein.
Herr Bogumil, wie wird man Oberbürgermeisterkandidat in einer Stadt wie Dortmund?
In einer Großstadt wie Dortmund wird man das in der Regel über die Parteien. Hier ist es relativ ungewöhnlich, dass jemand ein Kandidat wird, der keiner Partei zugehörig ist. Es gibt zwar manchmal Parteilose, die aber dann zumindest von Parteien nominiert wurden. Es gibt aber Unterschiede zwischen kleineren und größeren Kommunen in Deutschland.
Parteien in großen Städten wichtiger
Welche sind das?
In kleinen Städten kennt man die Personen besser. In großen Städten orientiert man sich dagegen stärker an Parteien. Dort ist auch der Parteienwettbewerb größer, auch bei der Bürgermeisterwahl. Natürlich geht es auch um die Kompetenzen des Kandidaten, weil er direkt gewählt wird. Aber Strukturen und damit auch die Bedeutung der Parteien, um den Wahlkampf zu gestalten, sind hier größer als in kleinen Kommunen.
Gab es schon parteilose Kandidaten in großen Städten?
Schon, aber die wurden mitunter von Parteien unterstützt. Das Besondere an Cremer ist nicht, dass er parteilos ist, sondern dass bisher keine Partei hinter ihm steht. Vor allem in Baden-Württemberg gab es auch parteilose Kandidaten, die bekannt geworden sind. Aber auch dort passierte das eher nicht in sehr großen Kommunen wie Stuttgart, eher in Klein- oder Mittelstädten.

Spricht klassische CDU-Wähler an
In Dortmund haben die großen Parteien SPD, CDU, Grüne und FDP ihre Kandidaten bereits gewählt, AfD und Linke wollen noch nachziehen. Was hätte ein Parteiloser überhaupt für Chancen?
Aus meiner Sicht keine besonders guten. Die Frage ist: Wer kennt ihn überhaupt und welche Möglichkeiten hat er, bekannt zu werden? Das ist in einer so großen Stadt schwierig. Weil er im Moment keine politische Funktion hat, ist er wenig in der Lokalpresse erwähnt worden. Er braucht auf jeden Fall irgendeine Unterstützung, zum Beispiel von Wirtschaftsverbänden, alleine wird er das nicht schaffen. Die Situation ist besonders schwierig, weil die CDU ja ihren eigenen Kandidaten Alexander Kalouti hat. Es wäre eine andere Situation, wenn die CDU Cremer unterstützen würde.
Warum ist vor allem der CDU-Kandidat ein Konkurrent für den parteilosen Cremer?
Weil sie ähnliche Wählerpotenziale ansprechen. Prinzipiell sind CDU und FDP ja der Wirtschaft etwas näher, sowohl was ihr Programm als auch was ihre Kontakte angeht, beispielsweise über die Industrie- und Handelskammer. Vom Profil eben eher die bürgerliche Mitte.

Wirtschaft darf nur ein Aspekt sein
Noch wissen wir sehr wenig darüber, wer Cremer unterstützen wird. Was würde es bedeuten, wenn sich bedeutende Wirtschaftsunternehmen hinter ihn stellen würden?
Ich glaube, es hängt vor allen Dingen davon ab, mit welchen Inhalten er sich profiliert. Mit welchen Themen will er Dortmund voranbringen? Welche Themen kritisiert er, die andere Kandidaten nicht abdecken? Ein grundsätzliches Problem entsteht auch nach der Wahl: Der Oberbürgermeister ist Verwaltungschef, das heißt, er kann einiges entscheiden. Für die Haushaltsgestaltung und andere wesentliche Entscheidungen braucht er aber eine Ratsmehrheit. Und die zu bekommen, ist nicht ganz einfach, wenn man selber von keiner dieser Parteien benannt wurde. Das geht zwar - man muss dann versuchen, das parteiübergreifend hinzukriegen. Aber einfach wird es nicht, weil Dortmund eine Stadt ist, in der Parteienwettbewerb keine geringe Rolle steht.
Cremer soll unter dem vorläufigen Arbeitstitel „Mehr für Dortmund“ antreten, vermutlich spielt das auf einen Wirtschaftsschwerpunkt an. Kann man damit eine Wahl gewinnen?
In Dortmund wird man mit einem nur auf die Wirtschaft bezogenen Wahlkampf aus meiner Sicht nicht gewinnen. Die Wirtschaft ist nur ein Aspekt, der die Menschen bei den Kommunalwahl anspricht. Man wird hier auch Themen wie Stadtentwicklung, Wohnraum und soziale Sicherheit berücksichtigen müssen. Aber das ist natürlich eine Frage der Einschätzung.
Parteien beeinflussen Wahlentscheidung
Cremer hat durch seine Unbekanntheit einen klaren Nachteil. Wird die finanzielle Unterfütterung, die er möglicherweise mitbringt, seinen Wahlkampf reißen können?
Es kommt auf die Inhalte an. Wenn Sie viele Ressourcen haben, viel plakatieren, einen Werbespot machen und sich auf Social Media profilieren, aber keinen guten Inhalt haben, nützt Ihnen das nichts. Natürlich ist seine Ausgangssituation mit guten finanziellen Ressourcen besser, aber das sagt noch überhaupt nichts über seine Chancen.
Also sagen Sie, dass es allein auf die Inhalte ankommt?
Kommunalwahlverhalten wird nicht nur vom Plakatieren und von den vorhandenen Ressourcen beeinflusst. 50 Prozent der Leute wählen sowieso aus bundespolitischen Gründen, maximal 50 Prozent aus kommunalpolitischen Gründen. Das Wählverhalten ist komplex. Natürlich, wer präsenter ist, über den wird möglicherweise auch mehr gesprochen. Ob er damit aber die anderen Nachteile - vor allem nicht parteipolitisch verankert zu sein - damit ausgleicht, kann man jetzt noch nicht sagen. Jetzt schon klar ist aber, dass es für keinen Kandidaten im ersten Wahlgang eine Mehrheit geben wird. Also kommt es darauf an, welche beiden Personen in die Stichwahl kommen. Und dann ist wichtig, wie sich die anderen Parteien zu den beiden verhalten. Was macht die CDU, was machen die Grünen? Für wen sprechen sie sich aus? Das wird die Wahl entscheiden.
Bessere Chancen bei vielen Kandidaten
Am Anfang von keiner Partei unterstützt zu werden heißt demnach erstmal noch gar nichts?
Nein. Er müsste aber erstmal in die Stichwahl kommen. Dafür müsste er mehr Stimmen bekommen als die Kandidaten von Grüne und CDU. Das ist nicht einfach. Allerdings zersplitten sich die Stimmen, umso mehr Kandidaten ich habe. Und umso größer werden auch die Chancen von Cremer, sich zu profilieren. Wenn CDU und Grüne einen gemeinsamen Kandidaten aufgestellt hätten, wären die Chancen der anderen Kandidaten kleiner, weil sich die Stimmen dann weniger verteilen.
Sie sagen, auch bei der Kommunalwahl wählen 50 Prozent der Leute wegen der Bundespolitik - hätte dann sogar der künftige AfD-Kandidat in Dortmund eine Chance?
Es ist noch ein halbes Jahr hin bis zur Kommunalwahl, die aktuellen bundespolitischen Trends kann nicht einfach hochrechnen. Es gibt im Wählerverhalten hohe Unsicherheiten. Dass die AfD so stark bei der Bundestagswahl war, heißt nicht, dass sie auch so stark bei der Kommunalwahl sein wird.
Zusammenfassend - welche Chancen räumen Sie Martin Cremer ein?
Keine guten.
Vielen Dank für das Gespräch.
OB-Kandidat aus Dortmunds Wirtschaft: Welche Chancen hätte ein Parteiloser?
Dortmunder Unternehmer will Oberbürgermeister werden : Mischt Parteiloser den Wahlkampf auf?
Transparenzhinweis: Martin Cremer war in den Jahren 2017 bis 2024 in verschiedenen Unternehmen der Lensing Media Gruppe (zu der auch diese Zeitung gehört) in den Segmenten Druck, Logistik und Immobilien führend tätig.