Die Stunde und die Minute, als seine Tochter, die Mutter seiner beiden Enkel, starb, wird er nie vergessen. Über drei Jahre ist das schon her. „Am 21. Juni 2020 um 5.40 Uhr hat das Herz eurer Mama Johanna aufgehört zu schlagen“, schreibt Herbert Niewerth in seinem jetzt fertiggestellten Buch an Mata und Moussa.
Die Enkel sind heute 7 und 5 Jahre alt. 2 und 4 Jahre alt waren sie beim Tod ihrer Mutter. „Sie sollen wissen, wer ihre Mutter war und alles über sie erfahren. Deshalb habe ich direkt nach Johannas Tod angefangen, ein Buch zu schreiben - auch als Trauerbewältigung für mich“, sagt Herbert Niewerth.
Wie sollte er beim Blick in die oft irritiert nach ihrer Mutter fragenden Kinderaugen mit dem Schicksalsschlag umgehen? „Das Schreiben war für mich ein Ausweg aus meiner Verzweiflung. Es hat Trost gegeben und dabei geholfen, damit fertig zu werden, dass da zwei kleine Kinder sind, die keine Mama mehr haben. Das ist so traurig, das kann man ja kaum aushalten“, sagt der 75-Jährige aus Lütgendortmund, der von 1991 bis 2011 Leiter des Museums Altes Schiffshebewerk Henrichenburg war.
Johanna Niewerth war von 2012 bis zu ihrem Tod acht Jahre lang als Mitarbeiterin in der Jugendfreizeiteinrichtung Braucks in Brackel tätig. „Das hat sie mit Leib und Seele gemacht. Der Umgang mit den Kindern und Jugendlichen dort hat ihr riesigen Spaß gemacht. Und die Kids haben sie auch geliebt und zu ihrem Tod ein dickes Buch mit Erinnerungen und vielen lieben Worten zu Johanna erstellt“, erzählt Herbert Niewerth. Zudem war seine Tochter auch selbstständige Künstlerin und schuf große Holz- sowie Eisskulpturen. „Sie war so kreativ, so lebensfroh und hatte so viel vor“, sagt Herbert Niewerth. Johanna wurde nur 38 Jahre alt.
Wie in Trance gelebt
Ihr Todestag war ein Tag im Corona-Sommer, im Lockdown. „Es war für mich nicht möglich, zu ihr ins Krankenhaus zu gelangen. Man ließ mich am Tag vor ihrem Tod an der Pforte der Städtischen Kliniken nicht rein“, sagt Herbert Niewerth. In einer Nachricht schrieb er seiner Tochter: „Ich versuche es morgen noch einmal. Ich streichel Dich und drück Dich ganz feste! Dein Papa.“

Es waren die letzten Zeilen an seine Tochter. Herbert Niewerth - und keiner in der Familie - ahnte, dass Johanna am nächsten Morgen, einem Sonntagmorgen nicht mehr aufwachen würde. „Gegen 6 Uhr“, schreibt er im Buch, „hat Euer Papa Joey mich mit gebrochener Stimme angerufen: ‚Johanna ist gestorben.‘ Dieser Satz hat uns allen den Boden unter den Füßen weggezogen und wir haben nur noch wie in Trance gelebt und zunächst einmal nur noch funktioniert, denn das Unfassbare konnten wir einfach nicht begreifen. Wir wussten, dass es Eurer Mama nicht gut ging, aber keiner hatte damit gerechnet, dass sie schon in dieser Nacht sterben würde.“
Johanna Niewerth kämpfte seit Oktober 2015 gegen den Krebs. Sie war mit Mata im sechsten Monat schwanger, als sie die niederschmetternde Diagnose erhielt: Brustkrebs. Sofort nachdem ihre Tochter gesund zur Welt gekommen war, startete die Krebsbehandlung. „Es war schlimm für die kleine Familie. Ihren Freund Joey, der aus Guinea stammt, hatte sie erst im März 2014 kennen und lieben gelernt“, sagt Herbert Niewerth. Ihre Arbeit im Braucks und ihr Kunst- und Design-Studium an der Fachhochschule Dortmund musste Johanna unterbrechen.
Der Brustkrebs kam zurück
Erst „nach unendlich scheinenden Monaten waren Johannas Blutwerte wieder okay und eine positive Zukunftsperspektive schien möglich“, sagt Herbert Niewerth. Es sollte aber alles schlimm bleiben. Joey drohte zwischenzeitlich die Abschiebung nach Guinea, weil er nicht asylberechtigt war. „Das zehrte an den Nerven der jungen Eltern.“

Im August 2017 wurde Johanna dann ein zweites Mal schwanger. Und das Schicksal schlug wieder erbarmungslos zu: „Der Brustkrebs war wiedergekommen und das schreckliche Procedere musste noch einmal durchlebt werden. Wieder konnten Bestrahlung und Brust-OP erst nach der Geburt des Kindes erfolgen.“ Auch Moussa kam kerngesund zur Welt - und wieder war auch die Bestrahlung erfolgreich.
„Für eine kurze Zeit haben wir Johanna als eine liebevolle, kreative, manchmal auch chaotische, aber immer lebensbejahende Mama von zwei kleinen Kindern erlebt. Eineinhalb Jahre später, im Herbst 2019, tauchten dann aber Metastasen auf, die besonders die Lunge befallen hatten“, erzählt Herbert Niewerth. Von da an habe man damit rechnen müssen, dass „unsere wunderbare Johanna“, die sich in ihrer Pubertät „ohne Vorwarnung“ vom liebenswerten Mädchen in einen genauso liebenswerten Punk verwandelt hatte, wohl irgendwann sterben werde.
„Deine Mama ist eingeschlafen“
„Am schlimmsten war es dann, die kleinen Kinder zu sehen, wie sie eigentlich nicht in der Lage waren, den Tod ihrer Mutter zu begreifen. Dank großartiger Unterstützung einer Erzieherin aus dem Kindergarten und einer Ärztin haben wir das aber wohl gut gehändelt“, sagt Herbert Niewerth.

Die 4-jährige Mata, das war der Rat der Expertinnen, sollte sich ruhig am Totenbett von ihrer Mutter verabschieden. „Wir waren hin und her gerissen, haben uns dann aber dafür entschieden, dass Mata mit ins Krankenhaus geht, um für immer ‚Tschüss Mama‘ zu sagen.“
So stand das kleine Kind also dann am Bett, in dem die Mama regungslos lag. Herbert Niewerth erzählt: „Die Ärztin hat zur ihr gesagt: ‚Deine Mama ist eingeschlafen. Du kannst sie gerne streicheln.‘ Das war schön, aber Mata blieb verunsichert. Sie trug weiter die Hoffnung in sich, ihre Mama würde noch wieder aufwachen.“
„Wahrheit muss gesagt werden“
Die Sehnsucht der Kinder nach ihrer Mutter und die Gewissheit, dass sie sie nie mehr wiedersehen werden, ist für den Opa bis heute schwer zu ertragen. „Aber“, sagt er, „die Wahrheit muss ja gesagt werden.“ Ein Trost ist es für Herbert Niewerth, nun für Moussa und Mata aufgeschrieben zu haben, wer ihre Mama war.
Ihr Vater Joey arbeitet heute als Baustoffprüfer im Labor einer Wittener Firma. „Er kümmert sich mit unserer Familie um Mata und Moussa“, sagt Herbert Niewerth. „Gestorben“, schreibt er in seinem Buch an die Enkel, „ist nur der Körper von eurer Mama, ihre Seele bleibt immer bei uns, so lange wir an sie denken.“
Und Herbert Niewerth denkt oft an Johanna. Seine letzte WhatsApp-Nachricht an sie blieb zwar unbeantwortet, hat aber zwei blaue Haken. „Tröstlich ist für mich“, sagt er, „dass ich weiß, dass sie die Nachricht gelesen hat.“
Dieser Artikel ist erstmals am 22.10.2023 erschienen.
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